Dienstag, 2. September 2025

Bücher nochmal lesen

Sieht dieses Buch für euch gebraucht aus?
Mehr mißbraucht, findet ihr? Ihr habt sowas von recht und ich werde nicht mal das Innere mit den Zeichnungen zeigen ... ich fürchte, daß ich da sehr zu beigetragen habe, aber zu meiner Verteidigung, dem Stil der Zeichnungen nach sind sie aus der Zeit, bevor ich in die Schule kam. Ich lernte schnell, meine Bücher besser zu behandeln.


Dies ist unser Familienexemplar (der einzige Grund, warum das Buch noch da ist). Es wird euch nicht überraschen zu hören, daß meine Lieblingsgeschichte immer "Die Katze, die ihre eigenen Wege ging" (im Deutschen gibt es verschiedene Titel dafür) war, ich liebe sie so sehr, daß wir sie in einem Jahr sogar als Ausdruck den Weihnachtsgeschenken für unsere Tierarztpraxis beilegten.
Ich schweife total ab, sorry.

Kürzlich schrieb eine andere Bloggerin, daß sie Bücher nicht oft nochmal liest. Wenn ich so darüber nachdenke, verstehe ich das auch, schließlich gibt es so viele Bücher da draußen, neue Welten, neue Charaktere, neue Autoren und Autorinnen, neue Schreibstile, und so wenig Zeit, aber ich glaube, ich habe das noch nie vorher mit jemandem diskutiert oder mich auch nur gefragt, warum ich selber "wiederlese".

Ich könnte euch nicht sagen, wie oft ich "Das kommt davon" während meines Lebens gelesen habe, nicht immer alle Geschichten, aber wenigstens meine liebsten. Tatsächlich gibt es eine Menge Bücher, die ich ein, zwei, zehn Mal oder mehr gelesen habe.
Manche haben einen Plan dafür, wann sie bestimmte Bücher wiederlesen. Ich habe das nur für die Weihnachtszeit, übrigens sowohl für das Wiederlesen als auch das Wiederanschauen, ja sogar das Wiederspielen. Weihnachten fehlt etwas, wenn ich nicht zumindest "Wintersonnenwende" gelesen, "Jede Frau braucht einen Engel" und "Fröhliche Weihnachten, Charlie Brown" gesehen und "Jewel Match Winter Wonderland 2" gespielt habe.

Dieses Buch hat sein Cover ursprünglich nicht
durch langen Gebrauch verloren, sondern
durch einen Unfall. Nicht daß ihr
denkt, ich behandle all meine Bücher so!

Warum aber lese ich Bücher nochmal? Und was sind die Vor- und Nachteile?
Ich sollte noch erwähnen, daß sich dieser Post nur auf Privatlektüre bezieht und es nicht um Lernmethoden geht. Natürlich schließt er trotzdem Fiktion und Sachbücher ein, für die Gründe, sie nochmal zu lesen, unterschiedlich sein können, aber nicht müssen.
Außerdem werde ich am Ende ein paar (englische) Artikellinks anhängen, der Post selbst wird jedoch nur meine persönlichen Gründe in willkürlicher Reihenfolge auflisten.

1. Wenn ich ein Buch liebe, möchte ich das Gefühl heraufbeschwören, das ich hatte, als ich es das erste Mal gelesen habe. Ah! Ich höre euch fragen, ob das nicht gefährlich sein kann. Ihr habt natürlich recht, das kann es.
Es kann schrecklich sein, wenn ein Buch mit der Zeit seine Magie verliert, zum Beispiel geliebte Kinderbücher. 
Andererseits ist es absolut wundervoll, wenn mein inneres Kind die Magie immer noch spürt und mich zurückversetzt. Die Magie mag ja nicht so stark sein - es ist eine ganze Weile her, daß ich mir ein lebendiges Kasperle gewünscht habe 😉 -, aber für mich kann schon die Erinnerung an eine gute Zeit ausreichen.


Wenn ich aber schockiert bin, weil ein Buch für mich so gar nicht gut gealtert ist - und das kann alle möglichen Gründe haben von einem schlechten Schreibstil bis zu einer schrecklichen Handlung, aber auch Frauenfeindlichkeit, Rassismus usw. (die Kinderbücher waren ja nur ein Beispiel) - heißt das dann nicht einfach ...

2. daß ich inzwischen dazugelernt habe? Reifer geworden bin? Mein kritisches Denken fortentwickelt habe?
Vielleicht hat sich aber auch nur mein Geschmack verändert. Als Kind haßte ich Rosenkohl und liebte Chinakohl, nun liebe ich den Rosenkohl und bin kein Fan mehr von Chinakohl.
Ich kann bestimmen, ob meine Freude an einem Buch komplett verschwunden ist und nur getrübt ist.
Ich hatte nie vor der Möglichkeit Angst, ein Buch nicht mehr zu mögen, aber ich verstehe vollkommen, wenn jemand nicht das Risiko eingehen möchte, eine gute Erinnerung zu verderben.

3. Ich finde jedes Mal, wenn ich ein Pratchett-Buch nochmal lese, etwas, das ich vergessen oder vielleicht gar nie erst bemerkt hatte. Ich bin eine schnelle Leserin und bin mir sicher, daß ich hier und da Details übersehe.
Natürlich gilt das auch für andere Bücher.
Oder vielleicht verstehe ich plötzlich einen Witz, ein Zitat oder ein Wortspiel, weil ich seit dem letzten Mal etwas gelernt oder erfahren habe, was mir jetzt ermöglicht, das zu verstehen. Ich liebe diese "ooooooh"-Momente. Ich lese auf Deutsch und Englisch und natürlich verstehe ich nicht unbedingt alle englischen Wortspiele oder Anspielungen auf bestimmte Dinge, und natürlich kann ich sie auch nicht nachschlagen, wenn ich sie in diesem Moment gar nicht erst erkenne.
Es kann auch sein, daß ich das Buch beim ersten Mal anders gelesen habe, weil ich mental anders drauf war und deshalb dann beim Wiederlesen Dinge bemerke, die ich vorher nicht sehen konnte.

Die deutsche Ausgabe von "Witches Abroad"
- "Total Verhext" - war der allererste
Scheibenwelt-Roman, den ich gelesen habe, ein
Spontankauf im alten Buchladen im Bahnhof.
Pratchett hatte mich schon nach ein paar Sätzen.

4. Ich habe zuweilen ein sehr selektives Gedächtnis. Es gibt Bücher, an die ich mich sehr gut erinnern kann, und es gibt Bücher, von denen ich schwören würde, sie nie gelesen zu haben.
Darum hasse ich es, wenn Bücher unter verschiedenen Titeln veröffentlicht werden. Manche der Vintage-Krimis, die ich gerade lese, haben solche für verschiedene deutsche Ausgaben, aber sogar manche der englischen Originale wurden im Vereinigten Königreich und in den USA nicht unter demselben Titel verlegt.
Also ja, es ist mir schon passiert, daß ich Bücher doppelt gekauft habe und dann beim Lesen des zweiten Buchs ein Déja Vu hatte, kein Wunder, weil ich es ja schon kannte, das aber von der Kurzbeschreibung her nicht erkennen konnte.
Jetzt prüfe ich das bei alten Büchern vorher.
Auf jeden Fall könnt ihr mich fragen, wer der Mörder ist, und es ist möglich, daß ich euch das nicht mehr sagen kann, wenn es lang genug her ist.
Selbst wenn ich aber den Mörder kenne, genieße ich vielleicht einfach die Geschichte, wie er geschnappt wird.

5. Ich lese gern Reihen, wenn ich (wenigstens ein paar) der Charaktere mag. Es besteht die Möglichkeit, daß ich ein oder das andere Buch aus der Reihe nochmal lese, wenn ein neues herauskommt. Vielleicht will ich damit nur mein Gedächtnis zu einem Handlungsstrang oder einem Charakter auffrischen und vielleicht will ich mich einfach in die richtige Stimmung bringen.
Wahrscheinlich lese ich aber nicht die gesamte Reihe, denn wer hat schon die Geduld dafür, wenn ein neues wartet?

6. Früher behielt ich fast alle meiner gekauften Bücher und baute so meine kleine Bibliothek auf. Als ich älter wurde, war ich dafür bereit, die ziehen zu lassen, die ich nicht mehr lesen werde, also schaue ich meine Bibliothek durch, um zu sehen, welche Bücher ich lang nicht gelesen habe und ob es Zeit für sie wird weiterzuziehen.
Sie nochmal zu lesen - oder ein paar davon, falls es eine Reihe ist - kann bei dieser Entscheidung helfen, wenn die Kurzbeschreibung nicht ausreicht, und kann es leichter machen, ein Buch abzugeben.

Bücher, die darauf warten, in die Wildnis entlassen
zu werden, sprich zum öffentlichen Bücherschrank
gebracht zu werden

7. Ritual. Das habe ich oben schon erwähnt. Das mache ich allerdings nicht mit vielen Büchern.

8. Seelennahrung. Es gibt Bücher, die nicht in die Ritualkategorie gehören, die ich aber dennoch ziemlich oft lese.
Das sind normalerweise Bücher, die ich heraushole, wenn ich ein Bedürfnis nach ihnen habe, das Bedürfnis zu entfliehen, glückliche Erinnerungen heraufzubeschwören, zu lachen, das Bedürfnis nach einem Happy End und manchmal sogar danach, mich auszuweinen.
Es können Kinderbücher sein, Krimis, Geistergeschichten, Memoiren, Anthologien, Kurzgeschichten, Liebesromane, Fantasy, Katzenbücher, was auch immer.
Es ist gut, von allem ein bißchen zu haben, damit man sich das richtige Buch für den speziellen Moment aussuchen kann.

9. Etwas nochmal lesen, in das ich beim ersten Mal nicht so wirklich reingekommen bin oder das ein bißchen naja war, vielleicht sogar eins, das ich nicht fertiggelesen habe. Um ehrlich zu sein, das mache ich nicht so oft und habe es auch länger nicht getan, aber es hat bei mir schon geklappt.

Nimmt mir Wiederlesen nicht kostbare Zeit weg, die ich für meine Leseliste brauche?
Nein, denn ich habe nicht wirklich eine Leseliste, außer der auf The Internet Archive, wo ich recht willkürlich Bücher hinzufüge oder lösche. Das gleiche gilt für mein Bibliothekskonto.
Ich habe keine Bücherstapel mehr herumliegen. Damit habe ich aufgehört, als mein Zuckerkater Merlin Probleme damit hatte, es rechtzeitig zum Katzenklo zu schaffen (oder möglicherweise angefangen hatte, als Bücherkritiker zu arbeiten, egal wie, es war kein Spaß).
Ich bin auch nicht auf dem laufenden, was neue Veröffentlichungen betrifft. Ich bin nicht auf Goodreads, NetGalley und all diese Seiten, deren Namen ich nicht mal kenne. Ich habe kein Amazon Prime oder einen Kindle. Ich schaue mir keine BookTuber an (es sei denn, eine der Empfehlungen auf der Startseite sieht wirklich interessant aus) oder Bookstagram oder BookTok, tatsächlich habe ich nicht mal einen TikTok-Account.
Ich habe gerade erst damit angefangen, 
Leute kennenzulernen, die über Bücher bloggen, habe aber zum Beispiel nie an einer Challenge teilgenommen.

Versteht mich aber nicht falsch, ich sage nicht, daß mit diesen Dingen irgendetwas nicht stimmt, sie sind nur nichts für mich, jedenfalls im Moment nicht.

Ob ihr selber "Wiederleser" seid oder nicht, ich würde gern eure Gründe dafür hören
 😊


Artikel (englischsprachig):

1. Sage Nestler: The 3 Healing Benefits of Re-Reading. Auf: Peachy Keen Reviews & Bibliotherapy, 10. August 2023
2. Hellsim Omar: 10 Psychological Benefits of Rereading Your Favorite Books. Auf: Haven Read, 16. September 2024
3. "C8lin": Why Reread Books? The Pros and Cons of Rereading. Auf: The Artifice, 18. November 2016


Es tut mir leid, daß meine Quellen meist nur englischsprachig sind, aber mein englischer Blog wird einfach mehr frequentiert und der Zeitaufwand für die Recherche ist oft so groß, daß ich nicht auch noch die Zeit finde, adäquate deutsche Quellen zu suchen. Sollte euch ein Artikel interessieren, gibt es Übersetzungsprogramme, die zumindest einen Eindruck vermitteln können.