Dienstag, 1. Juli 2025

Die tollkühne Hexe in ihrem fliegenden Bett

Lisa von Boondock Ramblings hat zur Zeit auf ihrem Blog den "Summer of Angela (Lansbury)". Ich kann nicht komplett daran teilnehmen, weil ich nicht zu allen Filmen Zugang habe. Den ersten habe ich schon verpaßt und mit diesem Post bin ich ein paar Tage später dran, weil der eigentliche Tag schon von einem anderen Post besetzt war.

Der heutige Film ist Die tollkühne Hexe in ihrem fliegenden Bett. Der englische Titel ist "Bedknobs and Broomsticks", die deutsche Übersetzung wurde von dem Film "Die tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten" inspiriert.
Ihr könnt Lisas Post (auf Englisch) hier finden.


Mit diesem Film von 1971 verbinde ich zwei ganz bestimmte Erinnerungen.
Die erste ist eine alte Fernsehserie für Kinder, die "Sport-Spiel-Spannung" hieß. Den Teil "Spannung" mochte ich am liebsten, weil sie da Ausschnitte aus Filmen, zum Beispiel von Disney, zeigten.
Ich weiß nicht, ob ich mir das einbilde, aber es fühlt sich so an, als ob eine bestimmte Szene aus "Die tollkühne Hexe ..." (ich werde den langen Titel so im Post abkürzen) mehr als einmal auftauchte. Ich glaube auch nicht, daß es Wiederholungen der Serie gab, also sah ich die Szene entweder mehr als einmal, weil sie sehr beliebt war, oder sie kam nur zwei oder drei Mal und es kam mir nur vor wie mehr als das?
Es ist aber auch möglich, daß sie in Disney-Sendungen auftauchte, weil ich gelesen habe, daß manche Leute deshalb dachten, daß es ein Zeichentrickkurzfilm war und nicht ein Teil eines abendfüllenden Films.

Die zweite ist, daß wir den Film tatsächlich im Kino sahen, was damals nicht so oft vorkam. Wir bekamen sogar Geld für Snacks - das waren noch die Zeiten, in denen man die eigenen Snacks unversteckt mitbringen konnte - und gingen in den großen Einkaufsladen. Die Wahl war nicht einfach für uns, wir entschieden uns schließlich für eine braune "Crunch"-Schokolade (im Gegensatz zur weißen, die braune gab es dann auch jahrelang gar nicht mehr). Ich werde die Firma nicht nennen, weil ich ihre Produkte nicht mehr kaufe.

Nun da ihr mein Schwelgen in Erinnerungen überlebt habt, kommen wir endlich zum Film, in Ordnung?
Fangen wir mit der Handlung an (Spoileralarm!). Halt, aber welche Handlung? Die originale? Die geschnittene Version? Oder die deutsche geschnittene Version? Wie wäre es mit der geschnittenen Version, denn das ist die einzige, die ich anschauen konnte, und dann sprechen wir später über die Schnitte, ja?

England 1940.
Drei Waisen - Charles, Carey und Paul Rawlins - werden mit anderen Kindern zusammen aus London auf das Land evakuiert, um den Flugangriffen der Deutschen zu entkommen.
Alle Kinder sind schon von Familien mitgenommen worden, nur die Rawlins-Kinder sind noch übrig, als Miss Caroline (im Original Eglantine) Price hereinkommt, um ein Paket abzuholen und unfreiwillig mit der Aufgabe betraut wird, sich um die Kinder zu kümmern.
Der Start läuft nicht allzu gut. Die Kinder möchten nicht auf dem Land bleiben und Miss Price hat keine Erfahrung mit Kindern.

Als die Kinder eingeschlafen sind, packt Miss Price ihr Paket aus, das von der Zauberschule von Emelius Browne kommt. Leider werden die Kinder Zeugen davon, wie sie fliegt, als sie sich bereitmachen, nach London zurückzukehren, und Miss Price muß ihnen sagen, daß sie einen Hexenkurs mitmacht, weil sie hofft, so bei den Kriegsanstrengungen zu helfen. Im Tausch gegen ihr Schweigen belegt Miss Price einen Bettknauf, den Paul vom Bett genommen hat, mit einem Reisezauber.

Als die Schule ihre Schließung bekanntgibt, bevor sie den wichtigsten Zauber erhalten hat, überzeugt Miss Price die Kinder, mit dem Bett nach London zu fliegen, wo sie Professor Browne treffen. Er ist ein (nicht sehr guter) Straßenzauberer, der die Lektionen einem alten Buch entnommen hat, dessen letzter Teil noch bei dem Buchverkäufer ist.
Als sie dorthingehen, finden sie heraus, daß die wichtigen Worte für den Bewegungszauber auf dem Sternenmedaillon eines Zauberers eingraviert sind.
Um das Medallion zu finden, reisen sie zur Insel Naboombu, auf der sprechende Tiere leben, vom Zauberer mit Magie belegt. Sie finden Leo(nidas), den König der Tiere, der den Stern trägt. Nach einem Fußballspiel, für das Browne als Schiedsrichter agiert, gelingt es diesem, den Stern gegen seine Pfeife zu tauschen, und sie können gerade so von der Insel entkommen.
Dieses Fußballspiel ist übrigens die erwähnte Szene.
 


Zu Hause probieren sie den Zauber aus, um Kleidung dazu zu bringen, sich zu bewegen, das endet aber im Chaos.
Professor Browne geht zum Bahnhof, um einen Zug zurück nach London zu nehmen, muß aber dort schlafen, weil der letzte bereits gefahren ist.
Inzwischen sind Nazi-Soldaten an der Küste gelandet, eine Aktion, um die Furcht vor einer Invasion zu schüren. Sie wählen Miss Prices Haus als Hauptquartier aus und bringen sie und die Kinder zur alten Burg.
Browne belauscht zwei der Nazis und geht zurück, um Miss Price zu helfen, die daraufhin den Zauber auf die Rüstungen anwendet, damit sie die Nazis angreifen und vertreiben, was auch gelingt. Leider verwüsten sie auch ihren Arbeitsraum und beenden so ihr Leben als Hexe.
Am Schluß hat Miss Price die Kinder adoptiert und Professor Browne ist in die Armee eingetreten, verspricht aber mit einem Kuß, daß er zurückkommt.

"Die tollkühne Hexe ..." basiert auf zwei Büchern von Mary Norton, "The Magic Bedknob; or How to Become a Witch in Ten Easy Lessons", das in Deutschland zuerst als "Das Zauberbett" und dann als "Die tolle Hexe" erschien, und "Bonfires and Broomsticks", für das ich keine eigene Übersetzung finden konnte. Im Englischen wurden die beiden Bücher später zu "Bed-Knob and Broomstick" zusammengefaßt.
Ich habe beide Bücher gelesen, nachdem ich den Film nochmal angeschaut habe, und obwohl ich jetzt keine Details verraten möchte, weil ich vielleicht irgendwann einen Post darüber schreibe, kann ich verraten, daß dies für mich ein schwerer Fall von "Wie sind sie von dem hier auf das da gekommen?" ist.

Ihr denkt vielleicht, daß sich "Die tollkühne Hexe ..." ein wenig wie "Mary Poppins light" anhört. Eine Dame, drei Kinder, Magie ... aber obwohl "Mary Poppins" sieben Jahr vor diesem Film herauskam, ist das Projekt tatsächlich älter. Disney kaufte die Rechte, kurz nachdem das erste Buch 1943 veröffentlicht wurde, die Fortsetzung folgte 1947.
Als die Verhandlungen mit P.L. Travers über die Rechte für "Mary Poppins" länger als erhofft dauerten, fingen sie stattdessen mit "Die tollkühne Hexe ..." an. Nachdem sie aber die Rechte für "Mary Poppins" erworben hatten, wurde dieser Film wegen der Ähnlichkeiten auf Eis gelegt, sogar mehr als einmal.

Nachdem der Film endlich herauskam, waren Kritiker und Publikum in ihren Meinungen geteilt. Zu lang, ein Mischmasch von Ideen, nicht genug Herz, erfindungsreich, unterhaltsam, beste Animation je, magisch, bezaubernd, ein Durcheinander, unterschätzt ...

Ich erinne mich nicht daran, wie gut er mir selber als Kind gefiel, aber ich bekam ja sowieso nicht diese Version zu sehen.

Der Film hatte ursprünglich eine Lauflänge von 141 Minuten. Ich bin ehrlich, ich finde, daß war keine sehr gute Idee für einen Film, der sich zunächst mal an Kinder richtete. Für die Premiere wurde er allerdings um 23 Minuten zurückgeschnitten. Das sind dann immer noch fast zwei Stunden (und die englische Version, die ich gesehen habe), immer noch recht lang für Kinder.
Eine Menge Leute scheint es verwirrt zu haben, daß Roddy McDowall im Vorspann direkt hinter Angela Lansbury und Davide Tomlinson aufgeführt wurde. Der Grund dafür war, daß die komplette Unterhandlung, in der Vikar Miss Price umgarnte, um ihr Land in die Finger zu kriegen, herausgeschnitten wurde. Eine gute Wahl, wenn ihr mich fragt. Ich habe die Szenen zwar nicht gesehen, aber ich kann mir nicht vorstellen, wie das die Handlung irgendwie hätte weiterbringen sollen.
Ein paar Jahre später wurde sogar noch mehr geschnitten, ich kann euch aber nicht sagen, was genau es da war. 
Es wurde für mich dann doch etwas verwirrend mit all den verschiedenen Versionen!

Welche Version bekam also ich als kleines deutsches Kind zu sehen? Das ist nicht so schwer zu erraten. Wir hatten hier nicht so viele Szenen mit den Nazis. Sie wurden geschnitten, was das Ende wahrscheinlich etwas verwirrend macht. Auch andere Szenen fielen der Schere zum Opfer, schließlich landeten wir bei gerade mal 90 Minuten, aber die Nazis hatten daran sicher den größten Anteil.
Ich habe ein paar Forumsdiskussionen gelesen und liebte, wie jemand meinte, das wäre doch eine Chance dafür gewesen, mit den Kindern über Geschichte zu sprechen. Nicht viele Leute waren in den 70ern dazu bereit, mit ihren kleinen Kinder über diesen Teil der Geschichte zu reden. Daß wir jetzt die komplette Version zu sehen bekommen, okay, wir haben dazugelernt, aber damals war Geschichte eine Angelegenheit für die Schule.

Was ich interessant finde ist, wie es überhaupt Nazis in den Film geschafft haben. Nicht weil ich Deutsche bin und das nicht ertragen kann, sondern weil ich die Bücher gelesen habe.
Während der Krieg zwar im ersten Buch erwähnt wird, bezieht sich die einzige andere Erwähnung auf Butterrationen. Keine Home Guard, keine Soldaten. Keine Hilfe bei den Kriegsanstrengungen. Den Zauber gibt es schon, aber aus einem völlig anderen Grund (der allerdings genauso traumatisierend sein kann, aber Disney hat mich ja auch mit mehr als einem Film traumatisiert).
Ich sage es nochmal 
"Wie sind sie von dem hier auf das da gekommen?"

Trotzdem hat mir der Film gefallen. Ich finde, Lansbury hat die angehende Hexe (die nicht klischeehaft aussieht) sehr gut gespielt. Ich mochte Tomlinson und die Kinder waren okay.
Ich stimme dem zu, daß der Film lang war (ich habe kein Interesse daran, die noch längere Version zu sehen), aber er war unterhaltsam. Hier und da ist er vielleicht nicht so gut gealtert, wie zu erwarten war, und das Fußballspiel war vielleicht nicht ganz so aufregend, wie die kleine Cat es damals fand, aber es war trotzdem lustig.
Mein Lieblingslied ist übrigens "Portobello Road" (trotz Akkordeon), vielleicht spricht mich da die Mischung aus Melodie und Marktatmosphäre an?

Natürlich wird der Film oft mit "Mary Poppins" verglichen (übrigens wollten sie eigentlich Julie Andrews als Miss Price habenb), gewöhnlich mit dem Ergebnis, daß der letztere ja so viel brillianter ist.
Ich weiß, daß ich jetzt gefährliches Terrain betrete, aber ich mag "Mary Poppins" nicht. Da, ich hab's gesagt.
Ich liebe die Bücher, aber der Film ist viel zu lang für mich, auch einige der Lieder, und ich finde auch, daß sie die Mary aus den Büchern viel zu sehr disneyfiziert haben.
Also ja, wenn ihr mir die Wahl lassen würdet, welchen von beiden wir für einen Disney-Abend anschauen sollten, wäre das für mich definitiv "Die tollkühne Hexe in ihrem fliegenden Bett".