Dienstag, 20. Mai 2025

Nostalgie - Princess / Prinzess Victoria Nadeln

Vor einigen Jahren, als ich noch die "Fundstücke der Woche"-Posts machte, hatte ich ein paar, "Ich bin eine Sammlerin" genannt, in denen ich Vintagestücke gezeigt habe.
Im Laufe der Zeit sind meine Sammlungen zum größten Teil nicht mehr gewachsen, aus unterschiedlichen Gründen, aber sie sind noch da und immer noch geliebt. Ich habe auch Vintagestücke, manche geerbt, manche geschenkt, manche von Flohmärkten, manche interessanter als andere.
Ich dachte also, es könnte Spaß machen, immer mal wieder welche davon zu zeigen und ihre Geschichte zu erzählen.

Tatsächlich habe ich über die kleine Sammlung von heute schon vor ein paar Jahren als Teil einer Hommage an Nadeln gesprochen. Damals wußte ich nur noch nicht, daß das eine eigene Sammlung werden würde.
Seit ich mit Perlenarbeiten angefangen habe, habe ich schon so einige Nadeln benutzt und kaputtgemacht. Perlenstickerei, vor allem auf den Perlen-Turnschuhen (keine Ahnung, warum Blogger in diesem Post zum Teil auf extra Zeilenabstand bestand) und den HeatherCat-Schuhen (das ist der letzte von vier Posts, er enthält alle Links, falls ihr interessiert seid), war besonders schwer für sie (und auch meine Hände).

Im Hommage-Post erzählte ich davon, wie ich auf der Suche nach Perlennadeln vintage Papiernadelheftchen entdeckte und wie ich mich in manche der Aufkleber verliebte.

Am faszinierendsten waren für mich die Princess Victoria Nadeln, weil es Variationen gab, und ich dachte mir, daß sie inzwischen einen eigenen Post verdienen, auch weil es vermutlich den einen oder anderen Zuwachs dazu geben wird.
Das bedeutet, daß ich dann anstatt dem anderen, der sonst wohl etwas zu lang würde, diesen Post hier aktualisieren werde.
Tatsächlich ist dieser hier auch schon ziemlich lang.

Nett ist aber, daß die Heftchen nicht viel Platz wegnehmen, und natürlich kann ich die Nadeln auch jederzeit benutzen, wenn ich sie brauche, da die meisten Heftchen voll sind, also ist das nicht nur Dekoration (das rede ich mir jedenfalls selber ein). Die Päckchen sind über meine Steiffsammlung verstreut, recht passend, finde ich, immerhin besteht sie ja überwiegend aus genähten Tieren.

Was also sind Princess Victoria Nadeln? Ich wünschte ehrlich, ich wüßte, wie sie zu dem Namen gekommen sind.
Als ich das erste winzige Heftchen mit langen Nadeln ("Sharps") in Größe 12 bekam - nicht mal 2,5 cm - fing ich an zu suchen, aber ohne Erfolg.
Was ich weiß ist, daß es alle möglichen Größen gibt, daß die Päckchen einen roten oder goldenen Rand und ebenso das "Banner" um Victoria herum in rot oder gold haben können, und daß es unterschiedliche Bilder von Victoria gibt. Manche sehen mehr vintage aus, manche ziemlich modern, manche haben einen verschwommenen oder unsauberen Druck, manche einen sehr klaren modern aussehenden.

Manche Aufkleber sind komplett auf Englisch, manche komplett auf Deutsch (dort steht Prinzess statt Princess und es werden die deutschen Ausdrücke für die Nadeln benutzt, zum Beispiel Frauennadeln), manche sind eine Mischung aus Englisch und Deutsch, dort steht dann beispielsweise "Prinzess" und "feinste", aber der Begriff "sharps".
Auf eBay UK fand ich sogar ein Heftchen mit einem italienischen Aufkleber (und wünschte jetzt, ich hätte das gekauft)!
Dann gibt es die ohne Herkunftsland, aber auch einige, die es angeben, "Germany", "Made in Germany"
, "M.i W. Germany, Imp. Allemagne OCC" (zwischen 1949 und 1989), aber auch "Made in Czechoslovakia" (das heißt zwischen 1918 und 1992) oder "Made in the Czech Republic" (nach 1992).
Zu guter Letzt haben die meisten, die ich gesehen habe, keinen Firmenaufdruck, es gibt jedoch Ausnahmen. Bis jetzt habe ich "Prym", "Rhein Nadel" und einen Namen gesehen, bei dem ich mir nicht sicher bin, "St. Witte", "Stowitte"? Was hat das zu bedeuten?
Ging die Nadelproduktion von einem Unternehmen zum nächsten?

Und wer ist eigentlich diese Prinzessin Victoria?
Bezieht sich der Name auf eine tatsächliche Prinzessin Victoria, wie die Tochter von Queen Victoria (die irgendwann deutsche Kaiserin wurde) oder die Tochter von Edward VII.? Oder bezieht er sich auf die Queen selber? Ich denke, das ist möglich, da es auch Queen Victoria Nadeln mit einer ähnlichen Victoria auf einem etwas anderen Hintergrund gibt (davon habe ich keine). Macht es nicht irgendwie Sinn, daß es dieselbe ist?
Wie ihr weiter unten sehen werdet, gibt es die Nadeln schon lang, aber schließlich wurde Victoria 1838 gekrönt.
Ich bezweifle, daß sie wirklich wichtig genug war, um jemanden denken zu lassen, der
Name würde Käufer ansprechen, bevor sie Königin wurde.

Zu irgendeinem Zeitpunkt muß doch jemand gesagt haben "nennen wir sie doch auf immer und ewig so", aber warum? Ihr müßt nämlich wissen, daß man tatsächlich immer noch eine Mischung von Größen von Prym bekommen, nur in einem Plastikröhrchen und auch nicht mehr mit Silber- oder Goldöhr um "die Umwelt zu schützen".
Möglicherweise hat der (haben die?) Hersteller sie hauptsächlich für den englischen Markt vorgesehen und daher den Namen benutzt, um die Käufer dort anzusprechen? Warum würden sie sich dann überhaupt die Mühe machen, einen Unterschied zwischen den "Princess" und "Queen" Nadeln zu machen?

Dann habe ich
diesen älteren Blogpost von Papergreat (auf Englisch) wiedergefunden, den ich schon 2022 kommentiert und dann sofort wieder vergessen hatte.
Chris hatte das folgende in The Economist vom 18. November 1899, Seite 1629 - 1630 vom Korrespondenten in Frankreich gefunden:
"Eine Abordnung von Krawattenherstellern wurde diese Woche vom Handelsminister empfangen, um sich über die Benutzung falscher Markenzeichen bei der Einfuhr der von ihnen verkauften Artikel aus Deutschland, Österreich, Belgien und Italien zu äußern. Diese Waren, erklärte die Abordnung, sind mit der Aufschrift "Made in London" oder anderen Worten versehen, die implizieren, daß sie englischer Herkunft sind, was für Käufer eine Empfehlung zu sein scheint, und daher wurde der Minister gebeten, Artikel 2 des Abkommens von Madrid anzuwenden, nach dem sie beschlagnahmt werden können. ... Die Preise, zu denen diese Waren verkauft werden, sind wahrscheinlich niedriger als die Preise, zu denen sie aus England importiert werden können, und französische Hersteller sind durch die höheren Kosten und die hohen Zölle vor Importen aus England geschützt. Es ist jedoch gängige Praxis, deutsche Waren, die als englische gekennzeichnet sind
, zu importieren, und kürzlich wurde die Britische Handelskammer auf den Verkauf von Nadelheftchen in Frankreich aufmerksam gemacht, die ein Porträt der Queen mit den Worten "Prinzess Victoria Needles" und dem Namen eines fiktiven Herstellers in Redditch (Anmerkung: da frage ich mich doch, ob auf den Heftchen Redditch stand) trugen. Die Schreibweise des Wortes "Princess" verriet die Herkunft des Artikels, würde dem Käufer aber entgehen."

Heißt das also, daß einige deutsche Unternehmen diesen Namen für die Nadeln in dem Versuch verwendeten zu verbergen, woher sie kamen - aber warum dann die Mischung der Sprachen und warum die unterschiedlichen Victorias? Könnten sie mir vielleicht etwas über das Alter der Nadeln sagen, so wie unterschiedliche Steiff-Knöpfe etwas über die Zeitspanne aussagen, in dem ein Tier hergestellt wurde?
Es wird nur noch faszinierender. Ich fürchte, ich bin mit diesem Kaninchenloch noch nicht fertig. Ich bin Bibliothekarin und entschlossen, was heißt, daß ich wahrscheinlich mal in ein paar unserer Datenbanken reinschauen muß, um zu sehen, wie weit ich damit komme.
Ok, ich bin wohl nicht nur entschlossen, sondern inzwiscchen auch besessen hiervon.

Klickt auf die Fotos, um die Details besser sehen zu können.

Das ist das eine, mit dem alles anfing. So ein winziges Heftchen, gerade mal in etwa 2,5 cm!


Update Victoria Nadeln April 2025:
Ich habe noch ein paar mehr Heftchen bekommen. Eins davon ist so winzig wie das ganz oben. Diesmal haben wir tatsächlich einen Namen, aber ich bin mir nicht sicher, wie der ist.
Auf Google kann ich ein Ergebnis für "St. Witte & Co." finden, das gar nicht weiterhilft, aber da ist doch etwas zwischen dem T und dem W. Könnte das ein schlecht gedrucktes O sein (ich habe den Namen Stowitte gefunden, aber auch das ohne weitere Informationen) oder ist das eine Art Abkürzung?
Der einzig andere Name, den ich finden konnte, war "Schmidt, Witte & Co.", eine Schiffahrtsgesellschaft, aber auch das half nicht groß weiter. Oder könnte es sich um ein fiktives Unternehmen handeln?
Auf jeden Fall haben wir diesmal deutsche Bezeichnungen für diese "Langen" in Größe 10, und auch die Prinzess wird wie im Deutschen mit z geschrieben.



Diese drei Heftchen habe ich zu einem sehr guten Preis bekommen. Alle sind unbenutzt und voller großer, dicker Nadeln der Größe 2. Wie ihr sehen könnt, sind wir wieder zurück bei englischen Begriffen.


Um euch den Größenunterschied zu zeigen, habe ich ein Bild all meiner Neuerwerbungen zusammen gemacht.


Dann bekam ich diese hier - ein paar "Lange" und ein paar "Halblange" ("betweens" auf Englisch"), zwei davon mit deutschem Aufdruck und eine von "Rhein Nadel", einem weiteren ehemaligen Nadelhersteller in Aachen (der sein Arbeitsgebiet schließlich von Nadeln auf Automation umstellte, also muß dieses Heftchen vor 2003 produziert worden sein).


Da steht "Made in Germany" auf Englisch, die Prinzess hat aber wieder mal ein z. Noch lustiger ist, daß der Aufdruck sehr klar und moderner aussieht, daß "Prinzess Victoria" aber spiegelverkehrt gedruckt wurde!
Dieses Päckchen ist identisch mit einem, das ich mit Prym markiert gesehen habe. Hat ein Unternehmen die Heftchen gemacht und dann für verschiedene Firmen bedruckt oder hat Prym einfach von Rhein Nadel übernommen?
Ist das eine Verschwörung, um mich in den Wahnsinn zu treiben?
😂


Dann ging ich auf eine kleine Einkaufstour im Netz, aber das ist es dann für eine Weile, ich schwöre!
Wenn ich etwas Neues bekomme, wird es eine Variation sein müssen (oh-oh, ich habe vielleicht ... im Mai ...).
Das ist ein Ergebnis dieses Einkaufs. Es ist alter Neubestand von einer Verkäuferin, die ihre ungebrauchten Artikel in Lagerhäusern findet.
Nun habe ich alle Größen der "Langen" und endlich auch ein paar Päckchen mit dem roten statt dem goldenen "Banner". Die Ränder sind auf allen golden - bis auf eins, das gelb ist!

Ich denke, das mit der Aufschrift "gold ey'd" müßte das älteste sein, es ist auch das einzige mit dem "Princess"-Druck und ohne Herkunftsland.
Alle anderen sind mit "Prinzess" und "Made in Czechoslovakia" bedruckt, bis auf eins, auf dem "Made in Czech Republic" steht, aber da es unterschiedliche Fonts gibt, glaube ich nicht, daß sie alle gleich alt sind. Meiner Einschätzung nach sind die mit den roten Bannern jünger, auch weil eins davon aus der Tschechischen Republik ist, was, wie wir ja wissen, nach 1992 gewesen sein muß.


Hier ist ein Vergleich zwischen den zwei Heftchen mit den "Langen" in Größe 0.
Der Druck auf dem alten Päckchen ist soviel hübscher und detaillierter, die Kronen sind völlig unterschiedlich, Victoria hat viel mehr Details bis hin zum Anhänger, den sie trägt! Sogar die Blumen sind schöner.


So sehen die Goldöhre übrigens aus. Ein paar der Nadeln sind korrodiert, aber ich wette, sie sind um die 100 Jahre alt, wenn nicht älter, also ist das zu erwarten.


Update Mai 2025.

Dieses Päckchen gehört ebenfalls zu den Winzlingen.
Es ist das erste, auf dem die Bezeichnung auf Deutsch und Englisch steht, "Frauen Nadeln" und "Sharps", und wieder einmal sieht Victoria anders aus.
Der Farbdruck ist allerdings ganz schön unsauber.


Das hier ist bis jetzt mein Favorit. Ich schätze, es war eine Musterkarte, vielleicht wurde sie zur Vorlage in Kurzwarengeschäften benutzt.
Darin sind die Größen 1 bis 10 sicher in Fadenschlaufen eingesteckt und es gibt noch ein extra Nadelheftchen mit der Aufschrift 1/9, wobei die /9 in Handschrift ergänzt wurde, tatsächlich sind aber 12 verschiedene Nadeln darin.
Die Zahlen unter den Nadelproben mit der Artikelnummer 126 und "Et. 925" ((noch) keine Ahnung, was das heißen könnte) sind ebenfalls von Hand geschrieben, sehr sorgfältig.
Das Päckchen hat die Aufschrift "Gold Ey'd Sharps" und "Made in Germany".
Außerdem - nochmal eine andere "Prinzess Victoria"!



Das hier ist eine andere Art von Nadelbuch, in dem meine letzte Neuerwerbung eingeklebt ist. Ich habe mehrere Beispiele für dieses Nadelbuch aus dem frühen 20. Jahrhundert in vergangenen Auktionen gefunden, und eins davon bildete genau das gleiche Nadelpäckchen ab, allerdings in anderem Zustand, es war also nicht meins.


Victoria sieht hier so wie auf der Musterkarte aus, aber diesmal haben wir "elliptic gold eyed sharps" in den Größen 3 bis 9.


Braucht jemand eine Nadel? Ich hätte da zufällig so eine oder zwei ...

Hier ist die Princess/Prinzess-Galerie der verschiedenen Gesichter, die ich bis jetzt habe.

Sonntag, 18. Mai 2025

"Engelhörnchen"

"Ich sammle "Engelhörnchen"", sagte meine Kollegin. Mein leeres Starren verriet ihr wahrscheinlich, daß ich keine Ahnung hatte, wovon sie sprach.
"Wir haben welche hier in der Bibliothek, wissen Sie. Engelhorn's allgemeine Roman-Bibliothek." Ich wurde neugierig und schaute in unserem Katalog nach.
Engelhorn war ein Verlag in Stuttgart. "Eine Auswahl der besten modernen Romane aller Völker" - das hörte sich interessant an, vor allem weil es in unserem Magazin ein paar Hundert Bände zwischen 1884 und 1902 gab und sich die Titel faszinierend anhörten.


Tatsächlich hat die "Engelhörnchen"-Serie - ich nehme an, das war der persönliche Spitzname meiner Kollegin dafür, weil ich ihn nirgendwo online finden konnte - über 1000 Bände! Das bedeutet jedoch nicht über 1000 Romane, denn viele davon wurden in zwei Teilen veröffentlicht.
Sie fing 1884 an, es gab alle zwei Wochen einen (oder einen halben) Roman, nach 1924 dann weniger, bis die Serie schließlich nach 1930 eingestellt wurde.

Besonders war daran nicht nur der Preis von 50 Pfennig für die broschierten und 75 Pfennig für die leinengebundenen Bücher, sondern auch, daß nicht nur deutsche Autorinnen und Autoren erhältlich waren, sondern "alle Völker", das heißt England, Frankreich, Italien, Spanien, Rußland, Norwegen, Dänemark, Polen, die USA (und möglicherweise noch mehr, ich bin nicht die ganze Liste durchgegangen), und zwar in deutscher Übersetzung.

Werbung (Public Domain
über Wikimedia Commons)

Die Serie wurde der größte Erfolg des Engelhorn-Verlags und war so populär, daß mehr als 2 Millionen Bände verkauft wurden.
Als der erste Band herauskam, pries "Die Gartenlaube", ein "illustrirtes Familienblatt" der Zeit, Engelhorn dafür, daß er dem deutschen Volk die Gelegenheit gab, mehr "auswärtige" Literatur kennenzulernen, da
"die Kenntniß der Literatur anderer Völker in Deutschland weit weniger verbreitet ist, als allgemein angenommen" (jedoch nicht ohne ihrer Hoffnung Ausdruck zu geben, daß Engelhorn die "schmutzigen und giftigen Auswüchse fremder Romanliteratur" ausschließen wird, mit einem extra Hieb gegen Émile Zola für seinen "derben, widrigen Realismus").

Das war im Laufe der Jahre nicht die einzige Quelle, die die "Roman-Bibliothek" lobte.
Es gab auch Serien von anderen Verlagen, aber nicht in derselben Qualität für einen so guten Preis.

Engelhorn druckte sogar eine Kritik in den Büchern ab. , wie die anderen ist This wasn't the only source approving of the "Roman-Bibliothek" over the years.
There were also series by other publishers, but not in the same quality for such a good price.

Engelhorn even printed one of the reviews in their books. Viel Spaß mit der Sprache.



Für diejenigen, die diese Schrift nicht (mehr) lesen können:
"Das ist ein Unternehmen, das in jeder Weise gefördert zu werden verdient! Als vor nun mehr denn 24 Jahren die ersten roten Bände erschienen, mag mancher Kurzsichtige und Engherzige den Kopf geschüttelt haben über das tolle Wagstück, wirklich gute und wertvolle geistige Kost zu so billigen Preisen zu verabreichen. Wenn man auf die lange Reihe von Jahren zurückblickt, wie viel ist da nicht schon erreicht! Fast kein Haus, keine Familie, wo die soliden Bände nicht ihren Einzug gehalten hätten; fast keine, noch so klein angelegte Privatbibliothek möchte die sich so freundlich präsentierenden roten Freunde aus ihrer Mitte missen. Und doch, noch gibt es viel zu tun! Noch gibt es Häuser, in denen die vermorschten und verrotteten Hintertreppenromane lieber gelesen werden. Hier wäre es Pflicht jedes Nächststehenden, die giftige Saat zu verdrängen und an ihre Stelle die gesunde und durchweg gute Kost der "Engelhornschen Allgemeinen Romanbibliothek" zu legen. Der glücklich Geheilte wird, wenn er erst klar sieht, dem freundlichen Helfer sicher Dank wissen."

Wow. Wenn das die Leute nicht davon abgehalten hat, heimlich Hintertreppenromane zu lesen, weiß ich nicht, was das sonst fertigbringen könnte!
Es ist besonders witzig, weil einer der wenigen Romane, dem ich auf Flohmärkten nicht widerstehen konnte, weil sie fast so günstig wie zum Originalpreis waren, von einem amerikanischen Autor ist, der für einige seiner Bücher keine allzuguten Kritiken erhielt.

Als wir die Reihe in unserem Bibliothekssystem erfaßten, pickte ich mir den einen oder anderen Band zum Lesen heraus, wenn mir ein Titel ins Auge sprang, wie zum Beispiel "Liebe und Gymnastik", was sich für mich wirklich lustig anhörte, dessen Originaltitel aber "Fra scuola e casa" war, was einfach "Zwischen Schule und Zuhause" heißt. Ich meine mich zu erinnern, daß es um eine Gymnastiklehrerin ging und daß die Dinge kompliziert waren, bin mir nach all den Jahren aber nicht mehr sicher, ob sie die Liebe tatsächlich fand.

Ich weiß, es hört sich so an, als würde ich mich über die Reihe lustig machen, aber das ist ganz und gar nicht meine Absicht. Ich denke einfach, es ist für eine solche Reihe gar nicht möglich, "durchweg gute Kost" anzubieten, und für uns heute könnte es sogar noch schwieriger sein, den Stil dieser Zeit zu genießen.
Übrigens habe ich die Bücher, die ich besitze, auch gelesen, erinnere mich aber an kein Wort mehr. Vielleicht sollte ich mal wieder eins probieren. Wie wäre es zum Beispiel mit den unheimlichen Geschichten von Dick-May (was übrigens das Pseudonym der französischen Autorin Rosalie Jeanne Weill ist)?


Sind die Bücher aber nicht wirklich hübsch? Es ist eigentlich schade, sie auf einem Regal stehen zu haben, sodaß man nur den Buchrücken sehen kann.
Da ich selber so wenige Bände habe, von denen zwei auch noch in braun und mit marmoriertem Papier neu gebunden wurden, kann ich nicht sagen, ob es noch mehr Versionen des Umschlags gab.
Hier sind Nahaufnahmen der beiden unterschiedlichen Logos mit dem Engel, der ins Horn bläst. Mir gefällt der detailliertere Engel, aber auch die Rosen des anderen Umschlags.



Was mir an alten Büchern auch gefällt, sind Exlibris.
Das erste zeigt einen Mann, der aus einem Brunnen mit einem Kopf auf dem Stein trinkt - für Walter Kopfstein.


Und hier ein völlig anderer heraldischer Stil.


Meine Kollegin ist schon lang im Ruhestand, ich frage mich, wie weit sie wohl mit ihrer Sammlung kam.
Ich selber werde mich zurückhalten. So interessant ich dieses Projekt auch finde und auch die Tatsache, daß die Reihe so lange erfolgreich lieft, habe ich doch nicht den Platz für 1000 Bände, die ich nicht lesen können werde. Vielleicht werde ich schwach werden, wenn sich mir ein billiges Exemplar in den Weg wirft, aber ich werde nicht aktiv danach suchen gehen.
Wenn ich eins lesen will, könnte ich das immer noch online tun, denn viele Bibliotheken haben diese Bände inzwischen digitalisiert. Das ist natürlich nicht dasselbe - ihr wißt, daß ich gedruckte Exemplare liebe -, aber sollte ich zum Beispiel Lust auf einen alten Abenteuerroman bekommen, weiß ich, wo ich suchen muß.


Quellen:
1. Engelhorns allgemeine Romanbibliothek. Auf Wikisource
2. Die Gartenlaube 1884, Heft 36. Auf Wikisource
3. Carl Engelhorn. Auf: Engelhorn Family Web Site. Zitat aus der Diplomarbeit von Sabine Schust: Carl Engelhorn und die Volksbibliothek Stuttgart, Seite 9 ff.

Samstag, 17. Mai 2025

Einfach nur so Samstag - Isabels Tagebuch

Komisch, ich war mir so sicher, daß ich schon mal über Isabels Tagebuch geschrieben habe. Ich kann den Post regelrecht vor mir sehen. Vielleicht wollte ich ja immer darüber schreiben und habe es dann vergessen, was seltsam ist, weil Isabels Tagebuch immer gut sichtbar bei mir steht und ich es im Vorbeigehen immer anschaue.
Dank eines Kommentars auf meinem englischen Blog zum Post über die Rose wurde ich wieder daran erinnert, darüber zu schreiben.

Wer Isabel ist, möchtet ihr wissen? Und warum ich ihr Tagebuch habe, ich neugierige Person ich? Nun, ich würde es auch gern wissen. Also wer sie war, meine ich.

Isabel ist eines dieser Geheimnisse, von dem ich immer wieder mal leicht besessen war.
Ich stieß auf einem fantastischen Flohmarkt in Marin County auf sie, vor vielen, vielen Jahren (der, auf dem ich auch meine geliebte Melone kaufte). Es ist erstaunlich, wie klar die Erinnerung an den Stand in meinem Kopf noch ist. Ich war mir nicht mal sicher, ob ich das hier zum Nostalgie- statt zu einem Einfach nur so Samstag-Post hätte machen sollen.



Ich wurde von dem wunderschönen Ledereinband und dem Goldschnitt angelockt, ohne auch nur mehr als einen kurzen Blick in das zu werfen, was ich einfach für einen Kalender hielt.
Erst nachdem ich es gekauft hatte - ich meine mich zu erinnern, daß ich nicht sehr viel bezahlt habe - schaute ich es mir genauer an, während ich den Weg hinunterlief, und stellte fest, daß es sich tatsächlich um ein Tagebuch handelte, obwohl ich wirklich glaube, daß es eigentlich als Kalender gedacht war.
(Und schaut doch, in Deutschland gedruckt und dahin kehrte es nach 66 Jahren zurück!)


So sieht es innen aus.
Das Buch ist nach Tagen geordnet und jeder davon hat fünf Abschnitte, einen für jedes Jahr, nicht gerade große wie für ein Tagebuch, sondern für Termine und kurze Notizen.
Isabel tat ihr Bestes, um hinzuquetschen, was ihr wichtig war, aber wie das mit Tagebüchern eben manchmal so passiert, ließ sie eine Menge Seiten komplett leer.
Sie fing Weihnachten 1932 an, hörte am 20. April 1933 auf (die letzten paar Tage stand nur noch "Liebes Tagebuch" drin), und endete mit vier Einträgen im September und zwei weiteren am 5. November. Diese letzten waren wirklich interessant. Ihr werdet es sehen.


Während der Corona-Einschränkungen fingen andere an zu backen, ihre Sauerteig-Starter zu füttern, zu kochen, zu basteln, sich Haustiere zu holen.
Ich verbrachte einiges an Zeit damit, alle Einträge von Isabel in eine Textdatei zu abzuschreiben - mit allen Abkürzen, Schreibfehlern und verwirrenden Wörtern oder Namen - und fügte Informationen hinzu, wenn ich welche finden konnte. Ich nervte sogar einen Auskunftsbibliothekar in San Francisco, um in einem Fall etwas herauszubekommen (aber ach, kein Hilfsangebot, was ich etwas enttäuschend fand, er wies nur auf Quellen hin, die ich selber schon in meiner Anfrage aufgeführt hatte, aber auf die ich nicht zugreifen konnte). Ich habe keinen Zugang zu Ancestry oder Newspapers.com, also mußte ich mich an das halten, was leicht zugänglich war, aber dennoch fand ich das eine oder andere heraus.

Dies ist die Inschrift auf dem Titelblatt (übersetzt natürlich).

"Liebes Tagebuch: -

ich habe dich von Miss Esther W****** bekommen (sie hat den Namen natürlich ausgeschrieben), 125 Chestnut Ave., Naz. Pa. Du bist das erste in meinem Leben, mit Esthers Liebe werde ich bei dir das verstecken, was täglich geschieht.

Mit freundlichen Grüßen
Isabel"
Der erste Eintrag vom 1. Weihnachtstag 1932 erzählt uns, daß sie mit dem Stift schreibt, den sie von Ernest zu Weihnachten bekommen hat, und daß sie (da steht nicht wir, aber ich bin mir ziemlich sicher, daß sie das meint) einen schönen Heiligabend hatten, an dem sie das "Baltaberin" besuchten. Tatsächlich war das ein Club in San Francisco, der "Bal Tabarin" hieß (nach einem Nachtclub in Paris) und den es heute noch gibt, allerdings unter anderem Namen, seit er 1951 verkauft wurde.

An Silvester erfahren wird, daß Isabel für ein Ehepaar in Palo Alto City arbeitet, das zu der Zeit in seinen 60ern ist (ich habe sie im Zensus 1940 gefunden). Aus ihren Erzählungen würde ich schließen, daß sie das Dienstmädchen war, sie erwähnt auch eine Köchin und einen Chauffeur. Oft schreibt sie, wie müde sie ist und früh zu Bett gehen muß.
Das Haus, in dem sie wohnten, wurde 1931 gebaut und wird im Moment auf 10 bis 11 Millionen Dollar geschätzt. Was für ein Schnäppchen.

Eine willkürlich ausgewählte Seite

In den nächsten paar Monaten, die sie abdeckt, erzählt Isabel davon, daß Ernie oft zu Besuch kommt und mit ihr in Palo Alto ausgeht, manchmal fahren sie aber auch nach "Frisco". Sie erwähnt ein paar Shows, Filme und Bücher, aber auch, daß sie und Ernie zusammen daheim Puzzles legen. Tatsächlich taucht Ernies Name ganz schön oft auf.
Am 7. März 1933 wird Isabel 24 und "hoffe, daß die nächsten vierundzwanzig Jahre besser als die letzten werden, immer noch Single". Ich hoffe, die Dauerwelle, die ihr ihre Schwester (Marie? Gewöhnlich nennt sie sie Sis) spendiert hat, sie ein wenig aufgemuntert hat und auch das "große Bouquet mit Rosen, Nelken, + Freesien von - Ernie". Am nächsten Tag schreibt sie, daß sie einen schönen Geburtstag hatte, "wenn man die schweren Zeiten bedenkt".

Ich werde euch jetzt nicht das ganze Tagebuch herunterschreiben, obwohl es einige interessante Einträge gibt. (Wofür brauchte Louis die 100 Dollar, die er borgen wollte? Und war Louis ihr Bruder? Ich schweife ab, tut mir leid.) Immerhin sind es 16 Seiten (meine Notizen eingeschlossen).
Vielleicht seid ihr aber so neugierig wie ich es war. Bekam Isabel ihr Happy End?
Ja, meine Lieben, das bekam sie.
Am 2. September 1933 fuhren Sie und Mell, ihr Ehemann, sie nach Reno. "Sie sind echt tolle Menschen. Was für ein wunderschöner Sonnenaufgang, als wir uns in den Armen liegend auf dem Rücksitz erwachten." Aww.
Am nächsten Tag heirateten sie dort um halb elf Uhr morgens mit Sis und Mell als Trauzeugen, und Sis lud sie zu einem Hochzeitsfrühstück ins Riverside Hotel ein. Das Gebäude existiert noch, es ist jetzt aber kein Hotel und Casino mehr.
Am 10. gaben Sis und Mell für sie eine Hochzeitsparty (gut zu hören, daß er sich doch noch beteiligte, nachdem er das Frühstück anscheinend seiner Frau überließ
😋).
Das war es doch wert, von April bis September ohne Neuigkeiten geblieben zu sein, findet ihr nicht? Dennoch, wieviel Umwerben haben wir da verpaßt (was vermutlich so am besten war)?

In den letzten beiden Einträge erfahren wir, daß sie sich in San Francisco häuslich eingerichtet haben. Ich habe die Adresse in einem alten Telefonbuch gefunden, aber keine passenden Vornamen, die meine endlose Neugier auf ihren Nachnamen befriedigt hätten. Ich gebe aber bei der Hochzeit in Reno noch nicht auf. Es ist drei Jahre her, daß ich das letzte Mal nachgeforscht habe, und ich denke, ich werde irgendwann nochmal einen weiteren Versuch starten.
Sis und Mell waren die ersten Gäste in ihrer neuen Wohnung (und feierten am nächsten Tag ihren Hochzeitstag).

Vielleicht fragt ihr euch, warum ich überhaupt so interessiert an Isabel bin.
Es ist wie mit Ida im Rosen-Post. Ich habe jetzt eine Geschichte im Kopf und zwar eine viel detailliertere dank dieser paar Monate, die Isabel, wenn auch unfreiwillig, mit mir geteilt hat.
Ich wünschte, ich wäre Schriftstellerin und könnte mit dieser Geschichte etwas tun, aber selbst als Kind habe ich Geschichten nur in in meinem Kopf zu meinem eigenen Vergnügen "geschrieben" (mit sehr wenigen Ausnahmen), also soll das vielleicht eben so sein.

Ich sehe den Stift vor mit, den Ernie Isabel geschenkt hat, das Bouquet. Ich weiß aus einem Maklerangebot, wie das Haus aussieht, in dem sie gearbeitet hat (obwohl ich mir sicher bin, daß es nicht genauso ausgesehen hat wie jetzt
😉). Ich sehe diese zwei Turteltauben über einem Puzzle. Ich stelle mir vor, wie Isabels Zimmer bei der Arbeit ausgesehen hat. Ich sehe sogar Florence und Joe, die Köchin und den Chauffeur, und habe völlig grundlos eine vage Vorstellung von ihren Arbeitgebern. Schande über mich, wahrscheinlich habe ich schon alle in Schubladen gepackt.
Und nun frage ich mich, ob sie Kinder hatten und Enkel. Mußte Ernie in den Krieg ziehen? War das Leben schwer? Arbeiteten sie beide? Womit hat Ernie überhaupt seinen Lebensunterhalt verdient? Waren sie glücklich miteinander? Sie hatten sich erst ein Jahr lang gekannt und heirateten, nachdem sie einen Monat lang verlobt waren.
Ich hoffe wirklich, daß das Leben gut zu ihnen war. In meinem Kopf bekommen sie ein erfülltes Leben und Glück. Hoffnungslos romantisch.

Nun ja, und natürlich eine letzte Frage - wie landete Isabels Tagebuch auf einem Flohmarkt? Gibt es da draußen noch irgendjemanden, der sie kannte? Gut, das waren zwei letzte Fragen.
Natürlich habe ich mich wie eine Schnüfflerin gefühlt oder tu das auch jetzt noch, aber andererseits standen keine wirklich intimen Dinge in dem Tagebuch, das kann ich euch versichern, und ich war froh darüber, denn wahrscheinlich hätte ich mich dann richtig schuldig beim Lesen gefühlt. Trotzdem hätte ich es getan, wenn auch nicht so öffentlich geteilt.
Isabel, falls du auf mich herunterschaust oder was auch immer, ich hoffe, du vergibst mir, daß ich in deinen "täglichen Ereignissen" herumgewühlt habe, die du "verstecken" wolltest.


Ich weiß, es sieht sehr symbolisch aus, daß das Tagebuch offen ist -
oh, und übrigens ist der Schlüssel noch da, in einem winzigen Umschlag -
aber das ist reiner Zufall.

Donnerstag, 15. Mai 2025

Stummfilme - Die Abenteuer des Prinzen Achmed

Ist es möglich, daß ich bis jetzt noch keinen stummen Animationsfilm angeschaut habe? Von den alten, meine ich, denn natürlich sind viele Trickfilme auch heute noch stumm.
Filmhistoriker sehen übrigens "Fantasmagorie" von Émile Cohl als "die erste traditionelle Animation auf Standardfilm" an. Sie ist von 1908!

Gehen wir jetzt aber zum ersten abendfüllenden animierten Film über. Disneys "Schneewittchen", meint ihr? Nein, tut mir leid. Das würde nicht besonders gut zu meiner Stummfilmkategorie passen, oder?
Es ist
"Die Abenteuer des Prinzen Achmed" von 1926, geschrieben und unter der Regie von Lotte Reiniger, und ja, das ist tatsächlich der früheste abendfüllende Trickfilm, den es noch gibt (zwei frühere von Quirino Cristiani gelten als verschollen) und der mit Silhouetten in Scherenschnitt-Technik gemacht wurde. Diese spezielle Technik wurde von Reiniger erfunden und verwendet Silhouetten aus Pappe und dünnen Bleiplatten. Sie erinnert an Schattentheater, wie zum Beispiel das indonesische Wayang, erlaubt aber mehr Bewegung dadurch, daß die Silhouetten flach aufliegen.

Die Handlung (Vorsicht, Spoiler!), die in fünf Akten erzählt wird, ist eine freie Adaption von Motiven aus Tausendundeine Nacht, wobei das zentrale Thema die Liebesgeschichte von Prinz Achmed und Pari Banu (anderswo Peri Banu genannt) ist.

Akt 1.
Der afrikanische Zauberer erschafft ein fliegendes Pferd. Er präsentiert es zum Geburtstag des Kalifen, weigert sich aber, es für Geld zu verkaufen. Der Kalif bietet ihm freie Auswahl aus seinen Schätzen an und der Zauberer wählt seine Tochter Dinarsade. Als Dinarsades Bruder Achmed das zu verhindert versucht, überredet der Zauberer ihn, das fliegende Pferd auszuprobieren, sagt ihm aber nicht, wie er es wieder sinken lassen kann.
Also ergreifen die Männer des Kalifen den Zauberer und werfen ihn in den Kerker.


Akt 2.
Achmed findet den Hebel durch Zufall und landet auf der Zauberinsel Wak-Wak, über die die schöne Pari Banu herrscht.
Sie und ihre Gefährtinnen, in fliegende Federkostüme gekleidet, kommen an einen See, um zu baden, und werden von Achmed beobachtet, der dann ihr Kostüm wegnimmt und sie entführt. Das fliegende Pferd bringt sie nach China.
Dort sagt er ihr, daß er sie heiraten will, gibt ihr dann aber ihr Kostüm zurück, damit sie entscheiden kann, ob sie gehen möchte. Sie entscheidet sich dafür, ihm zu folgen.
Inzwischen ist der Zauberer, in eine Fledermaus verwandelt, dem Kerker des Kalifen entkommen, nachdem er beschworen hat, wo sein Pferd ist. Er stiehlt das Kostüm. Achmed fällt ihn ein tiefes Loch, als er ihm folgt.
Der Zauberer geht zu Pari Banu zurück und gibt vor, Achmed habe ihn geschickt, dann bringt er sie auf dem fliegenden Pferd weg.


Akt 3.
Der Zauberer verkauft Pari Banu an den Kaiser von China. Als sie ihn zurückweist, gibt er sie seinem Liebling, damit er sie tötet oder zur Frau nimmt.
Der Zauberer ist zu Achmed zurückgekehrt und bringt ihn auf einen Berg, wo er ihn unter einem Felsen einklemmt, damit er zurück kann, um sich Dinarsade zu holen. Im Flammenberg lebt jedoch eine Hexe, die Feindin des Zauberers, die Achmed Waffen und eine Rüstung gibt, damit er Pari Banu retten und die Dämonen von Wak-Wak besiegen kann. Es gelingt ihm, Pari Banu zu retten, aber die Dämonen holen sich ihre Herrscherin, von der sie sich verraten fühlen.
Achmed zwingt den letzten Dämon, ihn nach Wak-Wak zu fliegen, er kann das Tor dort aber nur öffnen, wenn er Aladins Lampe hat.


Akt 4.
Achmed rettet Aladin vor einem Monster, ist aber entsetzt zu hören, daß die Lampe weg ist.
Aladin erzählt ihm die Geschichte darüber, wie ein Fremder ihm Dinarsade zur Frau versprochen hat, wenn er die Lampe für ihn aus einer Höhle holt. Aladin wird zum Gefangenen in der Höhle, entdeckt aber schließlich die Magie der Lampe, die ihn nach Hause bringt und ihm ermöglicht, über Nacht einen Palast zu bauen. Der Kalif gibt ihm Dinarsade zur Frau, aber eines Tages sind sie, der Palast und die Lampe verschwunden, vom Zauberer geraubt, und Aladin soll hingerichtet werden. Er entkommt und landet in Wak-Wak, wo ihn Achmed gefunden hat.
Die Hexe erscheint und beschwört auf Wunsch von Achmed und Aladin den Zauberer, um mit ihm zu kämpfen. Sie verwandeln sich von einem Tier in das andere, bis die Hexe den Feind besiegt und tötet.


Akt 5.
Die Dämonen wollen Pari Banu zwingen, von einer Klippe zu springen. Aladin versucht, die Geister der Lampe freizusetzen, aber die Dämonen nehmen sie ihm ab. Die Hexe holt die Lampe zurück und setzt die guten Geister frei, damit sie gegen die Dämonen kämpfen.
Ein vielköpfiger Dämon schnappt sich Pari Banu und Achmed greift ihn an, indem er seine Köpfe abschlägt, die jedoch doppelt nachwachsen. Die Hexe benutzt die Lampe, um das zu verhindern.
Nach dem Sieg über die Dämonen kommt Aladins Palast durch die Lüfte gesegelt. Wie versprochen behält die Hexe die Lampe und verabschiedet sich, da sie jetzt ins "Land der Sterblichen" zurückreisen.
Aladin findet Dinarsae im Palast, der sie nach Hause bringt, wo der Kalif die glücklichen Paare willkommen heißt.


Anscheinend fanden manche diese Handlung sehr verwirrend, vor allem wenn sie die Zwischentitel nicht verstehen konnten. Es gibt zwar englische Version, auf YouTube aber nur ein Video mit Untertiteln, das gedehnt ist und dem außerdem die schöne Originalmusik von Wolfgang Zeller fehlt.
Ich habe den Film hier auf YouTube angeschaut.

Wie ihr euch vorstellen könnt - immerhin sind wir in den 20ern - gibt es orientalistische Klischees. Ich frage mich, wie man das heute vermeiden am besten vermeiden würde, ohne daß man das Projekt einfach ganz sausen läßt. Was denkt ihr?

Vielleicht würden sie das Thema genauer recherchieren, um die Kulturen angemessener zu porträtieren - es wurde zum Beispiel angemerkt, daß Pari Banus Kleidung in China eher an Indien erinnert - und sie würden vielleicht offensichtliche Stereotypen und übertriebene Darstellungen von Aussehen und Benehmen der Figuren vermeiden - etwas, das Reiniger tatsächlich in ihrem späteren Werk anerkannt hat.
Würde es aber Sinn machen, bei etwas, das so klar auf Tausendundeiner Nacht basiert, Nationalitäten komplett außen vor zu lassen? Oder nur ein paar davon? Die Geschichte in etwas völlig Neues verwandeln, nur mit Elementen aus den Geschichten, die sie inspiriert hat?

Hinter dem Film steckt jedoch mehr.
Zunächst ein bißchen über Lotte Reiniger. Sie war erst 23, als sie mit dem Film begann. Sie hatte Scherenschnitte gemacht, seit sie ein Kind gewesen war, und es muß großartig für ssie gewesen sein, dieses Projekt finanziert zu bekommen. Außerdem liebte sie Märchen und man kann noch viel mehr davon in ihrem Werk finden, auch europäische.
Ihre Ansichten waren sozialistisch, obwohl sie sie nicht so offen äußerte wie zum Beispiel ihr Mann Carl Koch, mit dem sie an den meisten ihrer Projekte arbeitete.
Ich habe zwei lange Artikel über "Die Abenteuer des Prinzen Achmed" gelesen, einen auf Deutsch von einer ehemaligen Professorin für Kunstgeschichte und
einen auf Englisch von einer Assistenzprofessorin für Literaturwissenschaft, die beide anmerken, wie Reiniger versucht hat, Diversität in einer träumerischen Märchenumgebung zu ermutigen, auch wenn das leider auf orientalistischen Stereotypen und Karikaturen beruhte. Die Stichworte sind Erotik, Homoerotik und "Female Empowerment" (Stärkung von Selbstbestimmung, Selbstbewußtsein und Unabhängigkeit von Frauen).

Um ehrlich zu sein, sind die Männer im Film nicht sehr liebenswert.
Als der Zauberer Dinarsade für das fliegende Pferd verlangt, greift nicht ihr Vater ein, sondern Achmed, der sich dann prompt von der Aussicht ablenken läßt, das Pferd zu fliegen. Dafür wird der Zauberer verhaftet, nicht wegen Dinarsade.
Der Kalif bleibt recht inaktiv.
Achmed ist ein Voyeur und Entführer.
Aladin bekommt Dinarsade wegen des Zauberpalasts.
Sprechen wir nicht mal über den chinesischen Kaiser und seinen Liebling.

Nachdem Achmed ihr das Federkostüm zurückgibt, entscheidet Pari Banu aus eigenem freien Willen, ihm zu folgen (es hätte den Film ziemlich abgekürzt, wenn sie ihn stattdessen getreten hätte und davongeflogen wäre). Sie weist den chinesischen Kaiser zurück und wehrt sich gegen ihn.
Am mächstigen jedoch ist natürlich die Hexe. Ohne sie wären sie alle ganz schön verloren gewesen.
Die arme Dinarsade bekommt gar keine Gelegenheit zu glänzen.

Was die Homoerotik betrifft, so kannte Reiniger viele homosexuelle Männer und Frauen aus Film und Theater in Berlin und zielte aktiv darauf ab, Homosexualität anderes darzustellen, wie es sonst zu dieser Zeit in Deutschland getan wurde, als etwas Beiläufiges und Natürliches.
Ich hatte keine Erwartungen, als ich den Film anschaute, und muß zugeben, daß ich zunächst überrascht von der Sinnlichkeit und Lust war, die den gesamten Film über gezeigt wurde, obwohl manches davon im Rahmen eines orientalistischen Klischees war.

Der Film war, als bekäme man einen Einblick von außen in eine Märchenwelt, was natürlich viel damit zu tun hatte, wie sich die Charaktere bewegten.
Obwohl ich zuerst ein Video angeschaut hatte, in dem Reiniger den Prozeß zeigte, erkannte ich dank dieser fließenden Bewegungen keine tatsächlichen Scherenschnitte im Film,
sondern Charaktere, nur auf mehr künstlerische und träumerische Weise als bei echten Menschen.
Natürlich halfen auch die Effekte sehr. Lichteffekte, Wasser, Feuer - es war sehr interessant, Reiniger darüber sprechen zu hören, wie manche dieser Effekte entstanden sind.

Es ist auf jeden ein Film, der es wert ist, gesehen zu werden, nicht nur wegen der Wirkung, die er hatte, auch wenn es natürlich toll ist zu wissen, daß eine so junge Frau zu den Pionieren der Animation gehört.


Quellen:
1. Die Abenteuer des Prinzen Achmed. Auf der Lotte Reiniger-Website
2. The Art of Lotte Reiniger, 1970 | From the Vaults (auf Englisch) Auf: Youtube - Kanal "The Met"
3. Im Gespräch mit Lotte Reiniger. Ausschnitte aus "Die Frau hinter den Schatten: Lotte Reiniger" von Brigitta Ashoff. 1980. Auf: YouTube - Channel "V.S.-Produktion"
4.
Barbara Lange: Die Abenteuer des Prinzen Achmed (1926). Ein cineastisches Experiment. In: Animationen: Lotte Reiniger im Kontext der Mediengeschichte. Tübingen 2012 (reflex: Tübinger Kunstgeschichte zum Bildwissen, Bd. 5)
5. Lilith Acadia: 'Lover of Shadows': Lotte Reiniger's Innovation, Orientalism, and Progressivism (auf Englisch). In: Oxford German Studies 50(2), 150 - 168 (nur über Lizenzzugang verfügbar)
6. Scott Nye: Scott Reviews Lotte Reiniger's The Adventures of Prince Achmed (auf Englisch). Auf: CriterionCast, September 27, 2013
7. Fritzi Kramer: The Adventures of Prince Achmed (1926) - A silent film review (auf Englisch). Auf: Movies Silently, October 13, 2013

Es tut mir leid, daß meine Quellen oft englischsprachig sind, aber mein englischer Blog wird einfach mehr frequentiert und der Zeitaufwand für die Recherche ist oft so groß, daß ich nicht auch noch die Zeit finde, adäquate deutsche Quellen zu suchen. Sollte euch ein Artikel interessieren, gibt es Übersetzungsprogramme, die zumindest einen Eindruck vermitteln können.

Samstag, 10. Mai 2025

10 am 10. - Würdest du lieber ...


Es ist Zeit für 10 am 10.!
Diesmal stellt uns Marsha ein paar "Würdest du lieber ..."-Fragen. Schauen wir mal, welche ich beantworten kann.


1. Würdest du lieber in einem Tiny House auf dem Land leben oder auf einem Boot auf einem Fluß oder See?

Um ehrlich zu sein, nichts von beidem. Ich bin äußerst klaustrophobisch und allein der Gedanke verursacht mir Gänsehaut.
Trotzdem bin ich von englischen Kanalbooten fasziniert, wenn ihr mich also dazu zwingt, wäre das, was ich wählen müßte.
 
Bild über pxhere

2. Wärst du lieber ein Charakter in einem Shakespeare-Stück oder in einer Stephen King-Verfilmung?

Das ist einfach. Auf jeden Fall Shakespeare, am liebsten eine der drei Hexen im schottischen Stück (ja, ich weiß, daß das hier ein Blog und kein Theater ist).
Das schottische Stück war ein Thema in meinem Englisch-Leistungskurs und sorgt daher immer für ein paar Erinnerungen.
Eine davon ist, wie unsere Englischlehrerin fragte, ob wir etwas für unser Abifest machen wollten.
Meine Freundin und ich meinten, wir würden die Hexenszene aufführen, aber nur wenn einer der anderen die dritte Hexe geben würde. Dieser eine war der Liebling unserer Lehrerin - das dachten nicht nur wir zwei - und er lehnte rundum ab. Wir meinten das gar nicht als Scherz, wir hätten es durchgezogen, was für jemanden wie mich hart gewesen wäre, weil ich nicht öffentlich sprechen will, aber hey, es sollte wohl nicht sein ...

Cavendish Morton, Public Domain über Wikimedia Commons

3. Wäre es dir lieber, wenn deine Küche voller schwarzer oder voller rosa Geräte wäre?

Schwarz, silber oder rot. Kein rosa bitte!

4. Wärst du lieber allergisch gegen Kuchen oder gegen Chips?

Chips. Die esse ich nicht sehr oft, aber ich würde definitiv nicht auf den Kokosnuß-Blechkuchen meiner Schwester verzichten wollen!

5. Hättest du lieber eine fünfminütige Unterhaltung mit deinem Ich aus der Vergangenheit oder aus der Zukunft?

Vergangenheit. Ich denke nicht, daß ich zu diesem Zeitpunkt irgendetwas über die Zukunft hören möchte.
 

6. Wärst du lieber reich oder berühmt?

Noch was Einfaches. Reich. Mit Geld kann man soviel Gutes tun. Ich würde so gern mehr spenden können.
Andererseits kann ich nicht gut mit Gruppen und schätze meine Privatsphäre, deshalb will ich an Berühmtheit nicht mal ansatzweise denken.

7. Würdest du lieber einen brandneuen großen, großen Truck fahren oder ein leicht gebrauchtes kleines Auto?

Ich fahre gar nicht (ich habe mir nicht mal die Mühe gemacht, meinen alten Führerschein gegen einen aktuellen umzutauschen), aber mein Traum war immer ein altes VW-Käfer-Cabrio (das laut mehreren Leute, meinen Ex eingeschlossen, eine Garage und seinen eigenen Mechaniker braucht).

Bild über pxhere

8. Würdest du lieber mit deinen Eltern zusammenwohnen oder mit deinen Kindern?

Ich habe keine Kinder außer pelzigen und mit denen wohne ich schon zusammen
😋
Ich würde nicht wieder mit meinen Eltern zusammenwohnen wollen. Gewöhnlich bin ich recht zufrieden damit, allein zu leben.

9. Hättest du lieber eine häßliche Tätowierung, wo sie jeder sehen kann, oder eine schön, die niemand sehen kann?

Ich habe eine Tätowierung, die ich liebe. Sie ist auf meinem Bein und normalerweise sieht sie keiner komplett, weil ich selten etwas trage, das kurz genug dafür ist. Ich wollte es so, weil sie für mich ist.

10. Würdest du lieber ein Sandwich mit Erdnußbutter und Frühstücksfleisch (Spam) essen oder eins mit Erdbeergelee and Salatblättern?

Ich mag Erdnußbutter nicht und ich bin Vegetarierin. Ich bin auch kein großer Fan von Gelee, weil es mir gern vom Brot rutscht, ich ziehe Marmelade oder Konfitüre vor.
Auch wenn ich keine Vegetarierin wäre, würde ich aber immer Erdbeergelee und Salat wählen. Etwas, das ich früher nicht getan habe, in letzter Zeit aber öfter, ist bittere Orangenmarmelade und Käse zusammen zu essen und das schmeckt mir recht gut.
Salat würde den Erdbeergeschmack nicht verderben, glaube ich, sondern für etwas Frische sorgen.

Da habt ihr's, alle zehn geschafft!

Freitag, 9. Mai 2025

Tränendes Herz, die Fortsetzung

Ich habe mir das Bild des rosa Tränenden Herzens in meinem Frühlingspost nochmal angeschaut und da sprang es mich an - das Weiß, das unter dem Rosa herauslugt.

Warum hatte ich da nicht gleich dran gedacht? Ich hatte ein paar weiße Perlen und also kleine Mengen von klaren Perlen mit rose und lila Farbeinzug, vielleicht wäre das ja genug für einen Prototyp eines großen Herzens?
Überraschung!


Zum Schluß war noch eine lila Perle übrig!
Ich bin mit diesem größeren Versuch recht zufrieden, weil ich ein paar Dinge daraus gelernt habe.
Wenn ich die großen Perlen benutze, kann ich die Blütenblätter nicht so gut biegen wie im kleinen Herz und ich würde versuchen, das Herz unten etwas zu verlängern - bei den großen Perlen bekommt man keine so schöne Spitze - und den Tropfen etwas kleiner machen. Im Herz sollte außerdem weniger Weiß sein, das mußte ich aber so machen, weil ich so wenig rosa und lila hatte.

Hier ist ein Vergleich zwischen dem großen und dem kleinen Herzen.
Das kleine gefällt mir zunehmend besser und schließlich gibt es an einer Pflanze ja auch verschiedene Größen.


Und so ist dann klar, daß die Reise weitergeht ...

Donnerstag, 8. Mai 2025

Stummfilme - Ausgerechnet Wolkenkratzer oder der Luftikus

Ich habe schon erwähnt, daß mein Stummfilm"wissen" vor diesem Projekt hauptsächlich aus Schnipseln aus den Sketchshows bestand, die wir als Kinder angeschaut haben.
Einer dieser Schnipsel ist natürlich dieses Kultbild.


Wieviel Leute kennen aber den Film, aus dem es stammt? Ich kann mich nicht daran erinnern, ihn als Kind jemals komplett gesehen zu haben, obwohl ich Harold Lloyd immer lieber mochte als Charlie Chaplin oder Buster Keaton, auch wenn man ihn "The Third Genius" nennt, das dritte Genie, und sein Name heute weniger bekannt ist.
Vielleicht lag es ja einfach an meiner Oberflächlichkeit, weil ich ihn besseraussehend fand und weil er so normal schien, einfach ein Durchschnittstyp. Vielleicht ist der Grund, daß ich gern auf der Seite des Underdogs bin und er mir im Vergleich zu seinen anerkannteren Kollegen wie ein Underdog vorkam (obwohl ich das als Kind kaum schon gewußt haben kann). Wer weiß, vielleicht ist es auch alles zusammen.
Auf jeden Fall war es an der Zeit, Harold Lloyd anzuschauen, und ich fing mit "Ausgerechnet Wolkenkratzer oder der Luftikus" an.


Die Handlung (wie üblich mit Spoilern).
Harold verläßt seine Heimatstadt, um in die große Stadt zu gehen und dort erfolgreich genug zu werden, um sein Mädchen zu heiraten.
Das klappt nicht so recht, Harold verkauft Stoffe in einem Kaufhaus und teilt sich ein Zimmer mit seinem Freund "Limpy Bill", einem Hochhaus-Bauarbeiter, aber Mildred gegenüber kann er das nicht zugeben. Stattdessen versetzt er den Phonographen (Bills und seinen?), um ihr einen sehr hübschen Anhänger zu schicken, zu dem er sich die Kette noch nicht leisten kann.
Am Ende einer Schicht begegnet er einem Polizisten, den er von zu Hause kennt, und als Bill ihn abholt, sagt er ihm als Streich, er solle den Polizisten, der an einem Telefon steht, umschubsen, er würde das dann ausbügeln. Leider ist es inzwischen ein anderer Polizist und um ihm zu entkommen, klettert Bill ein Gebäude hinauf.

Nachdem Harold Mildred eine Kette geschickt hat, die ihn mehr als einen Wochenlohn gekostet hat, überzeugt Mildreds Mutter sie, nicht länger zu wrten und ihm die Stadt zu folgen.
Sie kommt am Kaufhaus an und nun muß Harold die Lüge über seinen Erfolg aufrechterhalten, vor allem als Mildred ihn neben dem Büro des Managers sieht und denkt, daß er der Manager ist.
Dann hört er zufällig, wie der Manager sagt, er würde 1000 $ für eine neue Idee zahlen, die Leute in den Laden bringt, und schlägt eine "menschliche Spinne" vor, die das 12-stöckige Gebäude, in dem der Laden ist, hochklettern, wobei er natürlich an Bill denkt, dem er die Hälfte des Geldes anbietet.

Der Tag des großen Stunts ist da, aber der Polizist hat die Ankündigung in der Zeitung gesehen, errät, daß Bill der geheimnisvolle Mann ist, und wartet am Startpunkt auf ihn.
Also sagt Bill, daß Harold die Kletterpartie anfangen soll und er dann weiter oben übernehmen wird, aber er kann den Polizisten einfach nicht loswerden, also klettert und klettert und klettert Harold von einem Hindernis zum anderen, Absätze, ein Seil, hungrige Tauben, eine Uhr ... bis er endlich das Dach erreicht, auf dem Mildred auf ihn wartet (die ihn übrigens kurz danach im echten Leben geheiratet hat).


Dieser Film scheint zwei Teile zu haben.
Da ist die Liebesgeschichte und der Arbeitsplatz, verbunden, als Harold versucht, die Wahrheit vor Mildred zu verstecken, und es gibt die letzten 20 Minuten, die voller Spannung sind und tatsächlich die Anfangsidee für den Film waren.
Lloyd hatte Bill Strother, der den Kumpel spielt, gesehen, als ein er hohes Gebäude erkletterte und fand, das würde eine gute Thrillszene abgeben, dann machten sie dazu die Einleitung.

Wie üblich sind die Kritiken geteilt.
Es gibt Leute, die finden, daß Lloyd einfach nicht witzig war, weil er nicht so inspiriert wie Chaplin und Keaton war, andere loben, daß er vielleicht kein natürlicher Komödiant war, aber einer wurde.
Ich weiß nicht, warum ich sie überhaupt vergleichen muß. Ist mir nicht gestattet, unterschiedliche Herangehensweisen zu genießen?
Also ich kann auf jeden Fall sagen, daß es im Film eine Menge witziger Szenen gab. Die Szene während des Jubliäumssonderverkaufs erinnerte mich zum Beispiel sehr n die ersten Tag unserer Sommer- und Winterschlußverkäufe (die ich immer vermieden habe). Mir gefielen die schnellen Reaktionen, die Harold zeigt, als er versucht zu verhindern, daß seine Lüge aufgedeckt wird, oder als er in einem Handtuchtransporter festhängt und sein Bestes tut, um wieder rechtzeitig zurück bei der Arbeit zu sein, damit er seine Stelle nicht verliert.
Die letzte Sequenz war nicht so sehr witzig wie aufregend und hat meine Aufmerksamkeit total gefesselt, obwohl ich natürlich wußte, daß er nicht wirklich auf ein 12-stöckiges Gebäude klettert.

Was uns zur Frage Nummer 1 bringt - wie haben sie das gemacht? Hat Lloyd seine eigenen Stunts gemacht? Was war der Trick? Wieder war ich von einigen Kommentaren überrascht. Es war, als dächten die Leute, die Tatsache, daß Lloyd "nur" höchstens drei Stockwerke hoch hing, sei Mogelei.
Ja, dann hatte er also Hilfe von Strother (für die Aufnahmen aus der Ferne) und von einem Zirkusartist (als er am Seil baumelt) und einem Stuntman. Schlaue Leute holen sich Hilfe von Leute, die auf etwas spezialisiert sind.
Außerdem hatte Lloyd tatsächlich Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand einige Jahre zuvor verloren, als sich eine Bombenattrappe für eine Fotositzung als echt herausstellte.

Es ist mir egal (auch wenn es interessant ist), welche Kamerawinkel sie benutzt haben oder ob sie statt des echten Gebäudes eine Plattform auf dem Gebäude gebaut haben anstatt das echte Gebäude selber zu verwenden und ich das außerdem vorher wußte, weil es so überzeugend war, daß ich trotzdem noch erschrak und es mir schwerfiel, manches davon anzuschauen.
Und übrigens, Luke Skywalker ist kein echter Jedi und Sindbad kämpfte nicht gegen echte Monster. Ich sag ja nur.
Ich habe den Film ohne Musik angeschaut (obwohl es auf YouTube eine Version mit Musik gibt, nämlich hier) und ich möchte gar nicht wissen, was spannungsgeladene Musik während der Kletterei mit mir gemacht hätte.

Zu guter Letzt noch eine Warnung - es gibt eine kurze Szene, in der ein jüdischer Ladenbesitzer dargestellt wird, und zwar als sehr häßliches Klischee, wie wir leider wissen, nicht ungewöhnlich für die Zeit, aber heutzutage trotzdem unangenehm anzuschauen).

Alles in allem ist dies ein Film, von dem ich mir definitiv vorstellen kann, ihn nochmal zu sehen.

Quellen (englisch)
1. The official Harold Lloyd website - Biography
2. Ed Park: Safety Last!: High-Flying Harold. Auf: The Criterion Collection. Essays. 17. Juni 2013
3. Jeffrey Vance: Safety Last! Auf: San Francisco Silent Film Festival. Essay. 2013
4. Arik Devens: Safety Last! Auf: Cinema Gadfly. Essay. 16. Mai 2015
5. Pamela Hutchinson: Don't look down: 100 years of Harold Lloyd's Safety Last! Auf: The Guardian, 24. März 2023
6. Kevin Brownlow und David Gill: Harold Lloyd: The Third Genius. TV-Dokumentation 1989.
7. Roger Ebert: The third genius of silent film. Auf: RogerEbert.com, 3. Juli 2005


Es tut mir leid, daß meine Quellen meist nur englischsprachig sind, aber mein englischer Blog wird einfach mehr frequentiert und der Zeitaufwand für die Recherche ist oft so groß, daß ich nicht auch noch die Zeit finde, adäquate deutsche Quellen zu suchen. Sollte euch ein Artikel interessieren, gibt es Übersetzungsprogramme, die zumindest einen Eindruck vermitteln können.