Donnerstag, 29. Mai 2025

Stummfilme - Moderne Zeiten

Es ist offensichtlich, daß wir irgendwann an diesen Punkt kommen mußten.
Ein Stummfilmprojekt ohne Charlie Chaplin wäre nicht vollständig und "Moderne Zeiten" sprang mich praktisch an, als ich schaute, was neu in der ARTE Mediathek war, und feststellte, daß sie einen Charlie-Chaplin-Event hatten.
Ich kannte wieder mal Teile daraus, wie zum Beispiel der Tramp in den Zahnrädern der Fabrik gefangen ist, war mir aber nicht sicher, ob ich je den ganzen Film gesehen hatte.
Außerdem hatte ARTE nicht nur den Film selber, sondern auch eine Dokumentation darüber.

Nach "Lichter der Großstadt", der selbst als Stummfilm unter Tonfilmen 1931 ein Riesenerfolg war, war Chaplin ausgebrannt und verfiel in Depression. Seine PR-Tour wurde zu einer Weltreise, die ihm helfen sollte, sich selbst wiederzufinden. Nach 17 Monaten kam er nach Hollywood zurück, bereit, einen weiteren Film zu machen. An seiner Seite war Paulette Goddard.


"Moderne Zeiten" ist etwas besonders in diesem Projekt von mir, da es kein völlig stummer Film ist.
Tatsächlich hatte Chaplin bis September 1934 schon einen kompletten Dialog dafür geschrieben, Proben begannen im Oktober. Im Dezember aber, nachdem drei Tage gefilmt worden war, stoppte Chaplin den Dreh. Er konnte es einfach nicht über sich bringen, seinen berühmten Charakter sprechen zu lassen, er wußte nicht, welche Stimme er ihm hätte geben sollen und was er hätte sagen sollen.
Wie aber erwähnt ist "Moderne Zeiten" kein ausschließlicher Stummfilm. Die Menschen mögen ja nicht miteinander reden, aber sie sprechen durch die Maschinen, das Intercom, durch das der Fabrikboss sogar während der Pause Befehle gibt, das Radio, der "mechanische Verkäufer". Es gibt nur eine Szene, in der man die Stimme des Tramps hört, aber sie spricht nicht, sie singt, auch nicht in verständlichen Worten, sondern in Kauderwelsch, da er den Liedtext vergessen hat. Was könnte besser sein, um Chaplins Position gegenüber dem Tonfilm zu zeigen?
Der Dreh wurde August 1935 beendet und der Film kam 1936 heraus
- "Die Geschichte der Industrie, des Privatunternehmertums - der Kreuzzug der Menschheit auf der Jagd nach dem Glück."

Seit ihr bereit für etwas Handlung (mit Spoilern)?
Der Tramp arbeitet an einem Fließband. Wegen des Streß - die Szene mit der Fütterungsmaschine, die dazu entworfen ist, Arbeiter zu füttern, sodaß Pausen überflüssig werden und somit Profite erhöht werden, hat mich wirklich gestreßt - erleidet er einen Nervenzusammenbruch, der im Chaos endet und ihn ins Krankenhaus bringt.
Nach seiner Entlassung gerät er in eine Demonstration und wird verhaftet, da man ihn für den Rädelsführer hält, nur weil er zufällig eine verlorene rote Fahne aufgehoben hat.
Im Gefängnis verhindert er einen Ausbruch, indem er die Gefangengen niederschlägt, wofür er dann eine Sonderbehandlung erhält. Als man ihm sagt, daß er bald entlassen wird, meint er, daß er lieber im Gefängnis bleiben würde.

Zurück in einer Welt von Arbeitslosigkeit, Aufruhr und Armut, ist der Tramp, nachdem er bei einem weiteren Job versagt hat, entschlossen, ins Gefängnis zurückzugehen.
Er trifft Ellen, die gerade ihren Vater verloren hat und deren Schwestern vom Jugendamt weggebracht wurden (um dann im Film nie mehr erwähnt zu werden), während sie selber abgehauen ist. Sie hat aus einem Lieferwagen ein Brot gestohlen, und sowohl um ihr zu helfen als auch selber verhaftet zu werden, behauptet er, daß er es getan hat, aber eine Zeugin sagt der Polizei, daß es Ellen war, also wird sie mitgenommen.
In einem Polizeiwagen trifft er sie wieder, nachdem er für Zechprellerei verhaftet wurde. Der Wagen bricht zusammen und sie entkommen gemeinsam.

Als nächstes bekommt er eine Stelle als Nachtwächter in einem Kaufhaus und nimmt Ellen mit hinein, wobei er sich vorstellt, wie es wäre, mit ihr in einem schönen Haus zu leben.
Nachts dringen drei Einbrecher ein, von denen er einen von der Arbeit kennt. Sie sagen, daß sie nur hungrig sind, also essen und trinken sie, und der Tramp wacht auf, als das Kaufhaus schon wieder geöffnet hat.
Als er diesmal aus dem Gefängnis kommt, überrascht ihn Ellen damit, daß sie ihm eine Bruchbude zeigt, in der sie wohnen können. Er ergattert eine neue Stelle, aber die Arbeiter gehen in Streik und dabei trifft er versehentlich einen Polizisten mit einem Ziegelstein.

Während er im Gefängnis ist, hat Ellen einen Job als Tänzerin in einem Café gefunden und sichert auch ihm eine Stelle, als Kellner und Unterhalter.
Leider taucht die Polizei auf und will Ellen dafür verhaften, daß sie vor dem Jugendamt weggelaufen ist. Sie entkommen beide, aber Ellen hat alle Hoffnung verloren und fragt sich, warum man es überhaupt noch versuchen sollte.
Der Tramp sagt ihr, sie solle nie die Hoffnung verlieren, und zusammen gehen sie die Straße hinunter in ein unsicheres Leben.

"Moderne Zeiten" war der letzte Auftritt des Tramps auf der Leinwand, und obwohl er fast zehn Jahre nach dem ersten Tonfilm (Der Jazzsänger) herauskam, war es ein sehr erfolgreicher Abschied.
Obwohl der Film sehr witzige Szenen enthält, steckt doch eine Menge mehr dahinter.

Seine Eröffnungsszene ist eine sich drängelnde Schafherde - mit einem schwarzen Schaf dazwischen - und als nächstes eine Menge von Arbeitern, die aus einer U-Bahn-Station kommen. Im Film sieht man einige Menschenmengen und oft ist der Tramp darin gefangen, ohne es zu wollen und ohne entkommen zu können - zum Beispiel in der Demonstration, während des Streiks und einer Szene im Café, in der die Menschen tanzen, während er versucht, eine Bestellung zu einem Gast zu bringen.
Chaplin war in der Ford-Fabrik, er hatte gesehen, wie schwer und anstrengend Fließbandarbeit für die jungen Männer war, die dort arbeiteten, also ist es nicht überraschend, daß sein Tramp den Streß nicht aushalten kann, dem er durch die ständig steigende Geschwindigkeit des Bands ausgesetzt ist. Fällt ein Arbeiter zurück, hat es auch auf all die anderen eine direkte Auswirkung.

Nachdem der Tramp aus dem Krankenhaus entlassen wird, ist der Film ein Versuch nach dem anderen, für sich und Ellen einen Platz in diesem erbarmunglosen System zu finden, und gerade als sie glauben, daß sie ihn gefunden haben, wird der Traum von diesem System wieder zerstört.
Das macht den Tramp so universell, eine Menge Leute konnten sich mit diesem Gefühl identifizieren, vor allemn während der Großen Depression. Und trotzdem gibt er niemals auf und bewahrt sich diese kindliche Hoffnung, daß es etwas Gutes in der Zukunft geben wird.
Ursprünglch war ein anderes Ende gedreht worden, in dem der Tramp herausfindet, daß Ellen in ein Kloster eingetreten ist, aber dann dachte Chaplin, daß der Film auf einer hoffnungsvollen Note enden mußte.

Wenn man Chaplins eigene Geschichte bedenkt, eine harte Kindheit in den Slums von London und Ausbrüche von Depression sein Leben lang, ist die unnachgiebige Jagd des Tramps nach seinem kleinen Glück - denn er verlangt nicht viel - recht erstaunlich (auch für mich, eine gräßliche Pessimistin).

In Deutschland war "Moderne Zeiten" verboten, so wie auch Chaplins andere Filme nicht mehr gezeigt wurden. Das bedeutet nicht, daß er in den USA nicht dafür kritisiert worden wäre, daß er "kommunistische Tendenzen" zeigte. Nicht jeder war glücklich darüber, daß Chaplin politisch wurde, noch mehr in den Filmen danach. Irgendwann mußte er deshalb sogar die USA verlassen.

Ich habe den Film viel mehr genossen als erwartet, obwohl ich euch nicht wirklich sagen kann, was genau ich erwartet hatte. Ich habe gelacht, ich war berührt und ich habe mit den zwei mitgelitten, die einfach ihr Bestes taten, um in schweren Zeiten zu überleben.
Wieder mal gäbe es soviel mehr über den Film zu sagen, aber wie immer werde ich euch ein paar Quellen auflisten, falls ihr interessiert seid (recht willkürlich ausgewählt, wie ihr euch vorstellen könnt, es gibt eine Menge dazu!).
"Moderne Zeiten" wurde als einer der größten Filme nicht nur von Chaplin, sondern überhaupt bezeichnet. Ich würde ihn definitiv zum Anschauen empfehlen und ich bin mir recht sicher, daß ich ihn selber auch noch einmal anschauen werde.


Quellen (überwiegend Englisch):
1. R.K.: Chaplin : Modern Times. Ursprünglich in: The Manchester Guardian, 14. Juli 1936
2. Chaplins "Moderne Zeiten" - Der Abschied vom Stummfilm (Frankreich 2024, deutsche Synchronisation/Untertitel. Auf: ARTE TV (momentan verfügbar bis 30. November 2025)
3. Matt ?: Modern Times (1936). Auf: I Draw On My Wall, 4. September 2017
4. David A. Punch: Modern Times: Aversion to Innovation. Auf: The Twin Geeks, 4. Februar 2019
5. Josh Matthews: Charlie Chaplin's Modern Times - - What Makes This Movie Great (Episode 7). Auf dem YouTube-Kanal "Learning about Movies"

Es tut mir leid, daß meine Quellen meist nur englischsprachig sind, aber mein englischer Blog wird einfach mehr frequentiert und der Zeitaufwand für die Recherche ist oft so groß, daß ich nicht auch noch die Zeit finde, adäquate deutsche Quellen zu suchen. Sollte euch ein Artikel interessieren, gibt es Übersetzungsprogramme, die zumindest einen Eindruck vermitteln können.

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