Samstag, 16. Juli 2022

Eine Hommage an Nadeln

Ihr erinnert euch wahrscheinlich nicht an Hannah Needle, meine Mitarbeiterin des Monats im Oktober 2020? Sie hat mir mit meinen HeatherCat-Schuhen geholfen und man kann sehen, daß sie wild entschlossen war.
Tatsächlich konnte ich mich nicht von ihr trennen, irgendwie ist sie für mich ein Symbol von Ausdauer, auch wenn ich nicht glaube, daß sie jemals wieder arbeiten wird.


Andere hatten nicht soviel Glück. Während meiner Arbeit an den Turnschuhen habe ich so einige Nadeln kaputtgemacht und weggeworfen, obwohl ich zugeben muß, daß ich dabei immer danke und Entschuldigung sagte.
Ihr findet das seltsam? Vielleicht. Ich bin aber nicht die einzige, die versucht, ihre Gefühle für unbelebte Objekte auszudrücken, die mir gut gedient haben (oder andere verflucht, die ihr Bestes tun, um mich zu nerven!)
Habt ihr schon mal von
Hari Kuyō gehört? Es ist ein japanisches Fest, bei dem alte Nadeln gefeiert werden, in manchen Landesteilen am 8. Februar, in anderen am 8. Dezember. Es ehrt die Shinto-Gottheit Awashima no kami. Leute - überwiegend professionelle, aber auch Hobbynäher*innen - kommen in den Tempel, um ihre Nadeln zu beerdigen. Sie sagen Dank und beten dafür, in Zukunft besser nähen zu können. Die Nadeln werden in ein Stück Tofu oder Konnyaku gesteckt und auf ihre letzte Reise geschickt. Der Gedanke dahinter ist, daß auch Objekte eine Seele besitzen und solchen Respekt verdienen.

Über die Entschuldigung hinaus hatte ich nie wirklich weiter über Nadeln nachgedacht, wo und wie sie produziert wurde und wieviele verschiedene Arten, Längen und Größen es gibt.
Natürlich hatte ich von den frühen Anfängen von Nadeln in der Jungsteinzeit gehört, aus Knochen gemacht, aber das war es dann auch schon.
Ich werde jetzt nicht die Geschichte der Nadeln erzählen, das haben schon andere gemacht und bestimmt viel besser, als ich es könnte.
Zum Beispiel stieß ich auf einen Artikel im Jahrbuch 2018 von "netzwerk mode textil" über die Nadelproduktion in Aachen. Mir war nicht bewußt gewesen, daß Aachen ein wichtiger Standort für die Produktion von hochwertigen Nadeln war, so wichtig, daß sie sogar einen eigenen Gruß daraus entwickelten, den "Klenkes", einen ausgestreckten kleinen Finger, der daran erinnerte, wie schlechte Nadeln aussortiert wurden, nämlich indem man sie über den kleinen Finger rollte, um zu prüfen, ob sie gerade waren oder nicht.

Wie bin ich aber überhaupt auf diesen Artikel gestoßen?
Ich hatte auf eBay nach Perlennadeln gesucht und landete dann irgendwie bei vintage Nadeln. Mein Sammlerinnenherz verliebte sich in dieses goldige Päckchen mit Frauennadeln (gerade mal 2 cm lang!), ein Begriff, den ich natürlich noch nie gehört hatte.
Im Päckchen sind nur zwei Nadeln übrig, aber schaut, wie hübsch sie sind mit ihren kleinen goldenen Enden. Ja, tut mir leid, so hören sich Sammelwütige an, auch wenn sie (noch) keine Sammlung angefangen haben.



Als ich nach dem Begriff suchte, fand ich den Artikel, der unter anderem eine Erklärung für mich hatte.
"Frauennadeln" werden von Damenschneider*innen benutzt, um feine Stoffe zu nähen, im Gegensatz zu "Männernadeln", die von Herrenschneider*innen für dickere Stoffe bevorzugt werden, wie zum Beispiel Wolle.
Die langen Frauennadeln heißen auf Englisch "sharps" für scharf, die kurzen Männernadeln "blunts" für stumpf, was sich natürlich auf die Nadelspitze bezieht. Es gibt auch noch eine Länge dazwischen, auf Deutsch "halblang" genannt, auf Englisch "betweens".
Lange, feine Nadeln, die am Öhr nicht weit auseinandergehen und in der Hutmacherei und für Perlenapplikationen verwendet werden, heißen auf Englisch unter anderem "straws", also "Stroh", weil sie an Strohhalme erinnern. Dann gibt es noch Stopfnadeln. Wann habt ihr das letzte Mal einen Socken gestopft?
Zu guter Letzt gibt es eine Menge andere Nadeln, für die Polsterei oder für Leder, Nähmaschinennadeln, auch Steck- oder Sicherheitsnadeln und spezielle Nadeln in der Medizin oder - für uns Oldies ;-) - in Schallplattenspielern.

Natürlich hatte ich auch noch nie von der Firma Lammertz gehört, erfuhr aber aus dem Artikel, daß Lammertz-Nadeln wegen ihre guten Qualität von ihren Besitzern gehütet werden wie ein Schatz und daß der Schock unter Profis groß war, als Lammertz 2003 die Produktion einstellte.

Heute gibt es in Europa nur noch zwei Firmen, die High End-Nadeln herstellen. Eine davon ist John James, in der Nähe von London in Redditch, ein Name, der Perlenkünstlern wahrscheinlich sehr vertraut ist, die andere ist Bohin in Frankreich, die dem Ende in den frühen 2000ern knapp entkam und nun ein modernes Museum hat, das die Geschichte und die Techniken der Nadelherstellung am Leben hält.

Hier sind noch ein paar Nadelpäckchen, die ich habe, und ich muß gestehen, daß ich gerade noch ein Päckchen auf eBay gekauft und einen Vorschlag für ein weiteres abgegeben habe. Sie nehmen nicht viel Platz weg und ruhen bequem zwischen meinen Steifftieren.
Ich werde die Bilder dafür noch hier beim Post einstellen, wenn ich sie habe.



Diese Packung aus dem Konvolut hat zwar kein nettes Bild, aber Jecker hat ebenfalls zu den alten Firmen mit Tradition gehört.


Wenn ihr näht, egal ob von Hand oder mit der Maschine, schaut ihr euch eure Nadeln vielleicht etwas genauer an. Vielleicht habt ihr das ja aber auch schon.
Ich würde eure Geschichten wirklich gern hören!


Und hier sind nun die zwei Nadelheftchen, die ich auf eBay bekommen habe.
In beiden sind noch eine Menge Nadeln, also kann ich immer sagen, daß ich sie deshalb gekauft habe ;-)

Die ersten sind DOSCO-Nadeln, hergestellt von
Dossmann u. Co. Nadelfabrik Iserlohn in Westfalen. Außer daß Dossmann die Nadelfabrik eines seiner Nachbarn und Konkurrenten aufkaufte, konnte ich nichts darüber finden.


Ich versuche immer noch, mehr über dieses winzige Heftchen herauszufinden (wie das Lammertz Splendor-Päckchen ist es gerade mal 2 cm), Princess Victoria "sharps" in Größe 12.
Beim Browsen nach vintage Nähnadeln bin ich auf mehrere Victoria-Päckchen mit unterschiedlichen Bildern von Victoria gestoßen.
Ob der Name sich auf eine tatsächliche Prinzessin Victoria, also Queen Victoria's Tochter oder die Tochter Edwards VII., bezieht, blieb mir genauso unklar wie der Hersteller der Nadeln, bevor sie mit PRYM markiert wurden (eine Marke, die heute noch existiert und Victoria-Nadeln in einer Zusammenstellung der Größen 3 bis 7 verkauft, jedoch nicht in diesen kleinen Papierheftchen und auch nicht mehr mit Silber- oder Goldöhr, um "die Umwelt zu schützen").
Möglicherweise hat der Hersteller sie hauptsächlich für den britischen Markt vorgesehen und den Namen daher verwendet. Andererseits wurde die Tochter der Queen deutsche Kaiserin, also wer weiß?

Was die Unterschiede angeht:
Manche Aufkleber sind ganz auf Englisch, manche ganz auf Deutsch (dort steht dann Prinzess statt Princess und es werden die deutschen Begriffe für die Nadeln, so wie Frauennadeln, verwendet), manche sind auf Englisch und Deutsch und verwenden zwar das Wort "Prinzess" und "feinste", aber zum Beispiel auch den Begriff "sharps".
Auf dem britischen eBay fand ich sogar ein Bild mit einem italienischen Aufkleber!

Es gibt die ohne Herkunftsland, aber auch solche, die eines angeben, "Germany", "Made in Germany", "M.i W. Germany, Imp. Allemagne OCC" (diese waren wieder von PRYM), aber auch - in einem weiteren Beispiel von PRYM - "Made in the Czech Republic".

Manche Aufkleber sehen sehr vintage mit leicht verschwommenem Druck und viel mehr Details aus, die mit PRYM markierten, aber nicht nur diese sehen sehr modern mit klaren Linien aus.

Ich schätze mal, nur die Victoria-Nadeln könnten schon eine eigene Sammlung abgeben!


Update 1. August 2022: Hier ist meine letzte Erwerbung. Tatsächlich ist es nicht nur ein Nadelpäckchen, sondern drei, die gleich aussehen, und es gibt absolut nichts, was ich darüber sagen kann, außer das der Aufkleber-Designer anscheinend ein Fan von griechischer Mythologie war, wenn man sich Hephaistos und Hermes am oberen Rand anschaut.
Ich habe zwar einen Aufkleber mit Blitzen gefunden - die Nadeln wurde von der Firma Georg Printz hergestellt und hießen "Blitznadeln" - aber von einer Hand gehalten, nicht von einem Adler (?). Ich habe auch keine Ahnung, wer die zwei Herren am unteren Rand sind und was uns der Orden in der Mitte sagen soll.


Literaturhinweis:
Dorothea Nicolai: Ohne Nadeln keine Theater-Festspiele - die Nadelherstellung in Aachen am Beispiel der Nadelfabrik Leo Lammertz. In: netzwerk mode textil Jahrbuch 2018

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