Es wird jetzt langsam Zeit für etwas F. W. Murnau, der einer der einflußreichsten Filmemacher der Stummfilmära war - und trotzdem kenne ich nur einen seiner Filme (der hier irgendwann auch noch auftauchen wird, ich bin sicher, ihr wißt, von welchem ich spreche).
Das mußte sofort korrigiert werden, mit einem Film, von dem viele Kritiken begeistert erklären, daß er ein Meisterwerk, der beste Stummfilm und einer der großartigsten Filme überhaupt ist - Sonnenaufgang: Lied von zwei Menschen von 1927.
Ich gestehe, daß mich solche Etiketten immer etwas nervös machen. Ich habe schon mal gesagt, daß ich ganz und gar keine Filmexpertin bin, ich erzähle euch einfach nur ein paar Fakten und dann, wie mir ein Film gefällt. Oder nicht. Wenn ich also einen, von dem alle so begeistert sind, nicht mag, meine ich immer erst, ich muß mich mit meiner Meinung zurückhalten. Mag ich einen Film, weil ich denke, ich muß das? Wenn nicht, ist das dann, weil ich nicht schlau genug dafür bin oder gibt es einen anderen Grund - und werde ich offen zugeben, daß ich ihn nicht mag, einfach weil ich finde, mir steht eine eigene Meinung zu, auch wenn sie bei anderen unbeliebt ist?
Tatsächlich ja, das werde ich tun und ich schätze, ich wollte einfach, daß ihr das wißt.
Jetzt werde ich mir den Film anschauen und dann zurückkommen *Start Warteschleifenmusik*
"Dieses Lied des Mannes und seiner Ehefrau gehört zu keinem Ort und zu jedem Ort: man kann es überall und jederzeit hören.
Denn wo auch immer die Sonne auf- und untergeht ... im Getümmel der Stadt oder unter dem weiten Himmel auf dem Bauernhof ... das Leben ist ziemlich gleich: manchmal bitter, manchmal süß." (Ich habe keine deutsche Version für die Zwischentitel gefunden, daher ist das eine eigene Übersetzung.)
Die Handlung (mit Spoilern).
Ferienzeit, die Stadtleute kommen auf das Land. Eine von ihnen ist die Frau. Sie bleibt seit Wochen, weil sie ihr Auge auf einen Bauern geworfen hat.
Der Mann ist hin- und hergerissen zwischen ihr - ein moderner Flapper, leidenschaftlich, ungehemmt - und der Ehefrau - altmodisch, schüchtern, gutmütig - mit der er ein Kind hat. Als die Frau aber buchstäblich nach ihm pfeift, kann er nicht widerstehen und folgt ihr zum See, während die Ehefrau bei ihrem Kind sitzt, weinend und sich an die guten Zeiten erinnernd.
Die Frau will, daß der Mann seinen Hof verkauft und mit ihr in die Stadt kommt, deren Bilder sie in seinem Kopf heraufbeschwört, den Trubel, die Musik, das Tanzen, die Menschen.
Als er sie fragt, was mit der Ehefrau ist, sagt die Frau, er solle sie mit auf den See nehmen und ertränken, es durch das Umwerfen des Boots wie einen Unfall aussehen lassen und ein Bündel Binsen mitnehmen, um sich selber in Sicherheit zu bringen. Der Mann würgt sie, aber sie macht daraus eine Umarmung.
Also schlägt der Mann eine Bootsfahrt auf dem See vor, was die Ehefrau sehr glücklich macht. Bald schöpft sie jedoch Verdacht. Mitten auf dem See bereitet der Mann sich darauf vor, sie über Bord zu werden, als die Ehefrau ihn aber anfleht, weiß er, daß er es nicht tun kann.
Als sie das Land erreichen, rennt die Ehefrau vor ihm weg und er folgt ihr bis zu einer Bahn, die in die Stadt fährt. Sie hat Angst und ist verzweifelt, aber schließlich kann der Mann sie beruhigen.
Als sie eine Braut eine Kirche betreten sehen, folgen sie ihr, und als sie hören, wie der Pfarrer mit dem Paar über Liebe und Führung spricht, bricht der Mann weinend zusammen und bittet die Ehefrau um Verzeihung.
Als sie wieder aus der Kirche kommen und die Treppen hinuntergehen, die Ehefrau mit den Blumen in den Händen, die der Mann ihr geschenkt hat, sehen sie selber wie Frischvermählte aus.
Sie erforschen zusammen die Stadt. Der Mann läßt sich rasieren, damit sie ein Foto machen lassen können. Sie haben Spaß auf einem Jahrmarkt, der Mann fängt ein Schweinchen, das von einem der Stände ausgebüchst ist, und wird dafür bejubelt, man bittet sie sogar, einen Ländler zu tanzen.
Als sie über den See zurücksegeln, zieht plötzlich ein Sturm auf, durch den ihr Boot voll Wasser läuft. Der Mann bindet der Ehefrau die Binsenbündel um, gerade noch bevor das Boot in den Wellen kentert. Er schafft es an Land und holt die Männer aus dem Dorf zusammen. Sie suchen den See ab, finden aber nur ein paar lose Binsen.
Der Mann ist vor Trauer gebrochen. Die Frau aber denkt, daß der Plan erfolgreich war, und geht zum Haus des Mannes, aber seine Reaktion ist nicht wie von ihr erwartet. Sie rennt weg, er aber holt sie ein und würgt sie erneut.
Erst als die Magd nach ihm ruft, läßt er die Frau los und läuft nach Hause. Ein Nachbar ist zurück auf den See gegangen und hat die Ehefrau doch noch gefunden.
Ein neuer Tag beginnt.
Die Frau wird auf einem Wagen zum See gebracht. Sie hält sich an ihrem Gepäck fest und sieht alles andere als glücklich aus.
Die Ehefrau erwacht, ihre Augen leuchten auf, als sie den Mann sieht. Sie küssen sich und die Sonne geht auf.
"Sonnenaufgang: Lied von zwei Menschen" war Murnaus erster Hollywood-Film, nachdem ihn William Fox in die USA eingeladen hatte, um dort einen expressionistischen Film zu machen.
Er basiert auf der Umsetzung der Geschichte "Die Reise nach Tilsit" (auf Projekt Gutenberg) des deutschen Dramatikers Hermann Sudermann und gewann bei den ersten Oscars im Jahr 1929 den Academy Award for Unique and Artistic Picture (Einzigartiger und Künstlerischer Film, er wurde nur dieses eine Mal vergeben) und außerdem den für die Beste Kamera. Janet Gaynor gewann den Oscar als beste Schauspielerin (für ihre Arbeit an drei Filmen in diesem Jahr, darunter "Sonnenaufgang", erst später wurde das zur Preisvergabe für einzelne Filme geändert).
Er war jedoch nicht der finanzielle Erfolg, den Fox sich erhofft hatte.
Im Film geht es um Versuchung und den Weg zur Erlösung.
Außer ein paar kurzen Rückblicken, steigt der Film direkt mittendrin ein. Wir sehen nicht, wie der Mann die Frau kennenlernt, wir sind mitten in der Affäre, so weit, daß die Frau schon Pläne für die Zukunft schmiedet.
Der Film zeigt viele Gegensätze, um die zwei unterschiedlichen Welten darzustellen, die Stadt gegenüber dem Land und das moderne Leben gegenüber dem altmodischen Leben, aber auch die emotionalen Welten.
Auf der einen Seite haben wir die zwei Frauen, auf der anderen Seite den Mann, der zwischen ihnen hin- und hergerissen ist. Er brütet, er hat einen schweren Gang (Murnau packte Blei in seine Schuhe), er ist unrasiert und wirkt dunkel. Nachdem ihm aber klar wird, daß er bei der Ehefrau bleiben will, vor allem nach der Rasur für das Foto, kann man buchstäblich sehen, daß ihm ein Gewicht und der Schatten von der Seele genommen ist. Er lächelt, seine Augen strahlen, er ist leichtfüßig und wieder glücklich.
Ich habe mich gefragt, ob die Frau ihn so kennengelernt und sich in ihn verliebt hat und was eigentlich ihre Motivation dafür ist, ihn mit sich in die Stadt nehmen zu wollen. Hat es nur damit zu tun, daß sie die Macht, die sie über ihn hat, genießt? Hat sie überhaupt darüber nachgedacht, wie das Leben in der Stadt mit ihm wäre, denn mir fiel es schwer, mir den Mann dort mit ihr vorzustellen, genauso wie ich die Frau nicht dauerhaft auf dem Land mit dem Mann sehen konnte.
Es ist schön mit anzuschauen, wie der Mann und die Ehefrau ihren ungeplanten Tag in der Stadt genießen und erforschen, was für sie völlig neu zu sein scheint.
Es gibt zum Beispiel einen Moment, in dem sie so in einem Kuß versunken sind, daß sie ganz vergessen, daß sie mitten im starken Verkehr stehen, was dadurch symbolisiert wird, daß das Bild der Stadt im Hintergrund verschwindet und sich in Land verwandelt.
Ehrlich gesagt hätte ich aber wirklich auf die Jagd nach dem betrunkenen Schweinchen verzichten können, aber vielleicht sollte das eine komische Auflockerung sein.
Spürt ihr ein Aber kommen? Denn es gibt eins.
Ich verstehe ja das Bild von Erlösung und Versöhnung, aber immerhin hatte der Mann geplant, die Ehefrau für eine andere Frau zu töten, und ich bin mir nicht sicher, ob ich ihm das so schnell vergeben hätte können.
Außerdem wurde mein Bild von ihm durch die beiden Würgeszenen nicht unbedingt verbessert.
Natürlich basiert das aber auf der ursprünglichen Geschichte (die für den Mann übrigens kein gutes Ende nimmt).
Würde ich sagen, daß dies einer der großartigsten Filme je war? Ich glaube nicht, aber ich bin mir nicht mal sicher, ob ich das überhaupt von einem Film sagen würde. Es gibt so viele und sie sind so verschieden, wie kann man vergleichen und wählen?
Wenn mich jemand nach meinen persönlichen fünf Favoriten fragt, kann ich euch gewöhnlich nicht einmal die sagen, weil es vielleicht gar nicht immer dieselben sind. Obwohl es Filme gibt, die ich zu meinen absoluten Favoriten zähle, könnte ich euch nicht sage, wieviele das sind.
Würde ich jedoch sagen, daß ich den Film mochte? Ja.
Ich werde hier jetzt keine Liste von Filmtechniken machen, die Anwendung fanden (wenn ihr Interesse habt, ist hier nur ein englischer Artikel von vielen dazu). Was ich euch sagen kann ist, daß sie wirklich gut funktioniert haben, zum Beispiel als der Mann so vor sich hinbrütet und die Frau ihn in einer Doppelbelichtung verführt und seine Gedanken heimsucht.
Am besten gefiel mir Margaret Livingston als die Frau. Ich fand, daß sie die Verführerin und Femme Fatale wirklich sehr gut gespielt hat, obwohl man nichts über ihre Motivation erfuhr.
Mir gefiel auch die allgemeine Stimmung, aber hier kommt jetzt noch ein kleines Aber in Bezug darauf.
Murnau machte den Film mit dem "Movietone"-Prozeß, das heißt, daß Musik und Geräusche, aber kein Dialog, vorher aufgenommen wurden und das dann mit dem Film zusammen im Kino abgespielt wurde. Die Musik war ja in Ordnung, aber die Geräusche waren mir zu laut, ein wieherndes Pferd, das quietschende Schwein, Hupen im Verkehr. Andererseits verstand ich, wie er diese Geräusche einsetzte, und andere mögen sie ja vielleicht.
Es gab aber erstaunlich wenig Zwischentitel. Murnau mochte keine Zwischentitel. Ein paar davon waren am Anfang notwendig, aber zum Schluß hin wurden es dann immer weniger.
Also ja, ich schätze mal, ich bin dann keiner dieser superbegeisterten Zuschauer, aber dennoch ist "Sonnenaufgang: Lied von zwei Menschen" es wert, angeschaut zu werden.
Ich kann mir sogar vorstellen, ihn selber nochmal anzuschauen, um vielleicht noch ein paar dieser Filmtechniken zu bemerken, die mir beim ersten Mal entgangen sind.
Zu meiner Verteidigung, es war sehr heiß und ich hatte einen schlafenden Kater im Arm, ohne mich bewegen zu können - wenn der Kerle Schmuser braucht, sind seine Wünsche mein Befehl.
Quellen (englischsprachig):
1. Pamela Hutchinson: My favourite film - Sunrise: A Song of Two Humans. In: The Guardian, Filmblog, 16. November 2011
2. Shari Kizirian: Sunrise: A Song of Two Humans. Auf: San Franciscso Silent Film Festival, Essay, Festival 2011
3. Andreas Babiolakis: Sunrise: A Song of Two Humans. Auf: FilmsFatale, 13. Oktober 2019
4. Jaime Rebanal: Sunrise: A Song of Two Humans. Auf: Cinema from the Spectrum, 10. Juni 2016
Es tut mir leid, daß meine Quellen meist nur englischsprachig sind, aber mein englischer Blog wird einfach mehr frequentiert und der Zeitaufwand für die Recherche ist oft so groß, daß ich nicht auch noch die Zeit finde, adäquate deutsche Quellen zu suchen. Sollte euch ein Artikel interessieren, gibt es Übersetzungsprogramme, die zumindest einen Eindruck vermitteln können.