In
meinem letzten Post habe ich eine Anthologie von Weihnachtsgeschichten erwähnt, die ich als Kind bekommen habe. Man kann dem Buch ansehen, daß ich es geliebt habe, es sieht sehr gebraucht aus.
Barbara Bartos-Höppner hatte die Idee zu dem Buch. Sie war eine deutsche Schriftstellerin und bat andere, die sie kannte, Weihnachtsgeschichten zu schreiben. Es überraschte sie, daß manche von ihnen meinten, man könne in unserer Zeit keine Geschichten mehr über Weihnachten schreiben, wobei "unsere Zeit" in dem Fall 1971 war, als die erste Auflage veröffentlicht wurde (ich war damals sechs Jahre alt). Die einzige Bedingung war, daß die Geschichten in der Zeit zwischen dem ersten Advent und Dreikönig spielen mußten.
Am Ende hatte sie 16 sehr unterschiedliche Geschichten von 15 Schriftstellerinnen und Schriftstellern aus mehreren europäischen Ländern.
Der Titel ist "Weihnachtsgeschichten unserer Zeit - Bekannte Schriftsteller
erzählen vom Weihnachtswunder".
Wenn ihr denkt, es geht nur um Freude und funkelnde Lichter, täuscht ihr euch.
Die Geschichten sind
- herzerwärmend, wenn eine Kindergang Weihnachtslieder singen geht, um unter dem Vorwand, für kranke Kinder zu sammeln, Geld zu verdienen, und einer von ihnen dann spontan - und zu seiner eigenen Überraschung - das Geld im letzten Haus, das sie besuchen, für eine Schule für taube Kinder spendet
- traurig, wenn es in der Geschichte um eine Krankenschwester im Krieg geht, die als Begleitung für eine Gruppe Mädchen aus einem Kinderheim eingesetzt wird, und eines der Mädchen an Blinddarmentzündung stirbt; als Kind brachte mich der letzte Satz immer zum Weinen "Doch die Eltern von Helga habe ich nie gefunden".
- realistisch in der Geschichte über ein Ehepaar in Trennung, die trotz ihrer Differenzen versuchen, ihren beiden Kindern ein schönes Weihnachten zu bereiten
- fröhlich in der Geschichte über den heimwehkranken Jungen in Brasilien, dem der Schnee an Weihnachten fehlt, und das Mädchen, das "Schnee" für ihn macht
- magisch in meiner Lieblingsgeschichte.
Diese Geschichte ist von Katherine Allfrey, einer deutsch-britischen Schriftstellerin, sie heißt "Weiße Weihnachten".
Ein paar Tage vor Weihnachten wird im Eibenwald über dem Fünfherrengrund ein Weihnachtself geboren, ein seltenes Ereignis, das Weiße Weihnachten bedeutet.
Der Elf wird geboren, weil Tropfen von klarem Silber, ein winziger Teich aus Regen oder Tau, sich im Stumpf des ältesten Baum im Wald sammeln und von einem Lichtstrahl gefunden werden.
Ein Funkeln erwacht in dem finsteren Loch und der Strahl zieht das Silber nach oben und läßt es auf den Grund sinken, wo es wächst und wächst, bis der Elf geboren ist, schmal wie eine Flamme, klar wie Eis und leuchtend wie ein Edelstein. (Ist das nicht wunderschön?)
Nun muß der Elf drei Aufgaben erfüllen, damit Weihnachten weiß werden kann.
Er muß neun rote Gimpel (ich mag das Wort so gern) auf einem Zweig finden, er muß die Glocken der verlassenen Kirche im Fünfherrengrund läuten und er muß Jack Frost aus dem Norden zurückholen.
Er weiß nicht, wie er das tun soll, aber aus dem leichten Schneegestöber kommt ein Einhorn, um ihn zu leiten.
Zuerst erklärt das Einhorn dem Elf, was Gimpel sind, aber der Elf kann nur zwei finden, bis er auf ein Papier stößt, das aus einem Auto geweht wurde - und neun rote Gimpel auf einem Zweig zeigt. Ob sie wirklich sind, das weiß er nicht, aber lebendig sind sie.
Männlicher Gimpel, Lancashire, UK © Francis C. Franklin / CC-BY-SA-3.0, über Wikimedia Commons |
Als nächstes sind die Glocken in der Kirche an der Reihe, aber die Wände der alten Kirche sind zerfallen, die Tür ist morsch, das Dach ist halb eingestürzt - und im Turm sind keine Glocken.
Der Elf beschließt, zunächst nach Jack Frost zu suchen, ein langer, dunkler und schwieriger Flug für ein helles Wesen wie ihn. Auf dem höchsten Berg findet er den Riesen Jack, der hart geworden ist, aber er folgt dem Elf und bringt Hagel und Sturm mit sich.
Die Gimpel warten in der Kirche, aber Glocken gibt es immer noch keine.
Auf einem Sims aber ist ein Büschel von Gräsern, ganz von Eis eingeschlossen, und als der Elf daran vorbeigeht und sie streift, kann ein leises Klingeln hören. Nur Elfenhände können diese winzigen Glocken mit ihrem überirdischen Klang läuten. Das Einhorn tanzt fast vor Freude und Jack Frost wandelt sich von einem grimmigen Riesen in einen milden König, als er die Glocken hört, und der tote schwarze Wald wird zu einem schimmernden weißen Winterwald.
Um Mitternacht läutet der Elf die Glocken noch einmal, die morsche Tür öffnet sich. Weihnachtsengel füllen die Kirche, das Einhorn legt sich vor den alten Altar, und die Gimpel sitzen wie kleine Chorknaben links und rechts und flüstern.
Und sie feiern die Heilige Nacht gemeinsam, bis die Sonne des Weihnachtsmorgens über der weißen Welt aufgeht.
Warum ein Kind wie ich, das nie Schnee geliebt hat, diese Geschichte so liebte, weiß ich nicht. Ich denke, es ist der Frieden, den ich darin spüre, und sie ist so wunderschön geschrieben.
Ich würde wirklich gern die neun kleinen Gimpel auf ihrem Zweig sticken, wohl kaum bis Weihnachten, aber ich muß das ja auch nicht überstürzen. Es wird mir schon eine Idee kommen, wenn ich bereit bin.
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