Donnerstag, 5. Dezember 2024

Der kleine Lord - ein Marathon

Es gibt viele Versionen von "Der kleine Lord", aber eine Version wurde zu einem Lieblings-Weihnachtsfilm der Deutschen - der Film von 1980 mit Alec Guinness und Ricky Schroder, der als Weihnachtsprogramm für das britische Fernsehen gemacht wurde.

Die erste Ausstrahlung in Deutschland war an Weihnachten 1982 und seitdem hat die ARD ihn jedes Jahr gezeigt, gewöhnlich am letzten Freitag vor Heiligabend.
Mir kommt es so vor, als hätte ich ihn tausend Mal gesehen, aber trotzdem schaue ich ihn jedes Jahr wieder an.
Dieses Jahr habe ich es allerdings ein bißchen anders gemacht, mit einem Marathon von unterschiedlichen Versionen davon - das Buch eingeschlossen.

"Der kleine Lord" ist ein Kinderroman, geschrieben von Frances Hodgson Burnett und als Serienroman zwischen 1885 und 1886 veröffentlicht. Es ist ziemlich erstaunlich, daß die Geschichte nach fast 140 Jahren immer noch so populär ist, aber ich schätze mal, das hat denselben Grund wie bei der Weihnachtsgeschichte von Dickens von 1843 - die Vorstellung, daß ein herzloser reicher Mann sich ändert, zieht uns an, vielleicht sogar noch mehr in unseren jetzigen Zeiten, wenn wir es gern sähen, daß eine solche Geschichte wahr würde.

Erstauflage 1886 (Public Domain
über Wikimedia Commons)


Ich weiß nicht, ob es jemanden unter euch gibt, der nicht wenigstens ungefähr weiß, worum es im Roman geht (der in der Public Domain ist, also könnt ihr ihn online lesen, zum Beispiel hier).
Ein britischer Graf verstößt seinen jüngsten Sohn dafür, daß er eine Amerikanerin geheiratet hat. Nachdem all seine Söhne gestorben sind, schickt er seinen Anwalt nach New York, um seinen einzigen Enkel nach England heimzuholen, um ihn in der Weise aufzuziehen, die einem zukünftigen Grafen gebührt. Seine Bedingung ist jedoch, daß Cedric - nach seinem Vater benannt - bei ihm im Schloß leben wird, während "Liebste" - Cedrics Mutter, deren Vorname niemals erwähnt wird, er nennt sie so, weil sein Vater das getan hat - in einem Haus in der Nähe wohnen muß, weil der Graf es ablehnt, die Frau zu sehen, die er für "eine geldgierige Amerikanerin mit schriller Stimme" hält.
Um es abzukürzen, Cedrics liebenswertes, bescheidenes und großzügiges Wesen verwandelt schließlich das Herz seines Großvaters, und als eine andere Frau auftaucht und behauptet, ihr Sohn sei der wahre Erbe, versteht er, wie falsch er gelegen hat. Offensichtlich ist die Frau eine Betrügerin, was sie mit Hilfe von Cedrics amerikanischen Freunden herausfinden.
Anders als der Film von 1980, der mit einem großartigen Weihnachtsfest in der großen Halle endet, endet das Buch mit Cedrics 8. Geburtstag (so wie all die anderen gefilmten Versionen, die ich angeschaut habe) - und sie alle (Liebste eingeschlossen) leben zweifellos glücklich, bis sie gestorben sind.

Kommen wir nun zu den gefilmten Versionen. Dies ist keine Liste von allen, die es gibt, sondern nur von denen, von denen ich weiß, die ich gesehen habe oder hätte sehen können.

Den ersten Film, der von 1914 ist, habe ich nicht gefunden, was mich nicht wirklich überrascht hat.
Dann gibt es da den Stummfilm von 1921 (auf YouTube sowohl in Farbe als auch in Sepiatönen) mit Mary Pickford als Liebste und als ein Cedric mit langen Locken, die sicherlich von den Originalillustrationen inspiriert waren, jedoch nicht unbedingt dabei halfen, sie als Junge zu sehen. Es ist übrigens der erste Film mit einer Doppelbelichtung, in der sich die zwei Charaktere zu berühren scheinen.
Der Film ist fast zwei Stunden lang, ich gebe zu, ich habe nach einer Weile aufgegeben. Vielleicht schaffe ich es ein anderes Mal, aber es kann ganz schön schwer ein, sich auf einen Stummfilm zu konzentrieren, der nicht mal Musik hat. Im Moment war das einfach nichts für meine Aufmerksamkeitsspanne.

Public Domain über Wikipedia

Solche Probleme hatte ich mit der Version von 1936 mit Freddie Bartholomew als Ceddie und C. Aubrey Smith, der einen fabelhaften Graf von Dorincourt abgab, nicht (ich mochte ihn sogar noch lieber als Alec Guinness).
Obwohl diese Version ungefähr gleich lang wie der von 1980 ist, gibt es Unterschiede. Der alte Film zeigt viel mehr von Cedrics Leben in New York, um seinen Charakter von Anfang an einzuführen, einen normalen Neunjährigen (er ist in allen Filmen älter als im Buch), der gerne herumrennt und eine Prügelei nicht fürchtet, der aber auch seine Mutter von Herzen liebt und höflich und süß zu allen seinen Freunden ist, die älteren eingeschlossen, wie Dick, den Schuhputzer, die alte Frau, die Äpfel verkauft, und Mr. Hobbs, der Krämer. Andererseits läßt er Szenen in England aus, die zeigen, wie gut er zu manchen Menschen dort ist, was ihm alle Herzen zufliegen läßt.
Verglichen mit den moderneren Filmen sprechen sie etwas gestelzt, aber ich finde, das paßt recht gut zu einer Literaturverfilmung aus dieser Zeit, es hat mir nichts ausgemacht.
Der größte Unterschied ist jedoch, wie Liebste dargestellt wird. Hier ist sie freundlich und zurückhaltend, sogar als sie dem Anwalt des Grafen sagt, daß sie sein Geld ablehnen wird. Abgesehen davon wird sie hauptsächlich von Cedric erwähnt, bleibt aber wie im Buch ziemlich im Hintergrund.



Der nächste Film überrascht euch vielleicht. Es ist eine deutsche Version von 1962, der die gesamte Handlung in die 60er Jahre verlegt, mit Flugzeugen statt Schiffen, Autos statt Kutschen, einer Zeitungsverkäuferin statt einer Apfelfrau.
Dem Abspann zufolge basiert er auf dem Buch und auf einem Jugendstück, und er fühlt sich auch oft nach Theater an, im Spiel wie in der Szenerie, aber trotz des Zeitsprungs ist er  doch noch sehr nah am Buch.
Leider muß ich sagen, daß ich diesen Cedric am wenigsten mag. Sein Spiel ist mir wirklich zu theatralisch in der Art, wie er Worte betont und es läßt ihn manchmal nervig altklug erscheinen.



1980 - der geliebte Klassiker der Deutschen.
Leider gibt es ihn nicht auf YouTube, aber hier ist der Trailer.



Cedrics Charakter ist sehr wie in den anderen Filmen, ein echter Junge mit einem Herz aus Gold, aber da sowohl die Sprache als auch die meisten seiner Kleider im Vergleich mit 1936 etwas lässiger sind (wenn ihr gerne mehr über seine kultigen Samtanzüge wissen möchtet, schaut euch mal diesen englischen Artikel an, ich habe leider nichts dementsprechend auf Deutsch gefunden, diese Anzüge haben wirklich Einfluß auf die tatsächliche Mode damals gehabt), wirkt er etwas natürlicher.
Wie schon zuvor erwähnt, ist der Teil über sein Leben in Amerika abgekürzt, stattdessen haben wir eine längere Szene von ihm, wie er einem lahmen Jungen hilft, was ihn bei den Dorfbewohnern einführt, und dann ist da noch diese herzzerreißende Szene, wie er und sein Großvater durch den Teil des Dorfes reiten, wo die armen Pächter des Grafen leben - heruntergekommen, dreckig, und OMG, dieser dreibeinige Hund im Schlamm macht mich jedesmal fertig! - was den Grafen erkennen läßt, wie wenig er seiner Verantwortung gerecht wurde.

Liebste ist hier jedoch eine ganz andere Frau. Zunächst einmal hat sie nicht "ein kleines Vermögen", sie hat für ihr Geld gearbeitet, indem sie daheim Hemdblusen nähte, und nachdem sie das Geld des Grafen abgelehnt hat, geht sie mal gleich ins Dorf und besorgt sich eine Anstellung als Hilfe für die einzige Schneiderin in der Gegend. Natürlich nimmt sie sich trotzdem noch die Zeit, den armen Pächtern zu helfen.
Dann gibt es da noch die Szene, in der sie der Kutsche des Grafen begegnet, als sie nach Hause zurückgeht, sie behauptet sich gegen ihn und dankt der Revolution, die die Amerikaner von den Briten befreit hat, höflich aber bestimmt.
Tut mir leid, wenn sich das anhört, als ob ich mich über ihren amerikanischen Stolz lustigmache, aber im Ernst, es ist ein bißchen dick aufgetragen dafür, daß gar nichts davon im Buch vorkommt, nun, außer den Armen natürlich.

Der Rest ist ziemlich so wie im Buch und den anderen Filmen. Minna, die Betrügerin, taucht auf und wird mit Hilfe von Ceddies amerikanischen Freunden entlarvt (ohne Apfelfrau , die im Skript nicht vorkommt ;-)), weil ihr Pech es will, daß die Geschichte auch in den amerikanischen Zeitungen ist und Dick sie von den Bildern als seines Bruders entfremdete Frau und ihren Sohn erkennt.

Sie feiern mit einem großen Weihnachtsfest, zusammen mit Personal und Dorfbewohnern (ich frage mich, wie ausgewählt wurde, wer teilnehmen durfte und wer alles kochen und auftragen mußte) - und dem dreibeinigen Hund, der sich mit der dänischen Dogge des Grafen anfreundet (ich liebe ein Happy End :-D).

Wenn ihr meint, ihr seid jetzt vom Haken, weil ihr so weit gekommen sind, liegt ihr falsch.
Es gibt noch eine britische Miniserie von 1995, fünf Stunden lang, von Julian Fellowes adaptiert (der euch vielleicht bekannt vorkommt, er ist der Schöpfer von Downton Abbey und mehr). Für die VHS- und später DVD-Edition wurde die Serie auf etwa drei Stunden gekürzt, worüber ich sehr dankbar war. Ich habe sie einmal angeschaut und denke nicht, daß ich das nochmal tun werde.
Sie ist auf YouTube in einer Playliste von vielen kurzen Videos.

Da habt ihr es. Jetzt bin ich bis an den Rand voll mit Versionen vom kleinen Lord und kann euch ehrlich sagen, daß ich nicht zwischen denen von 1936 und 1980 wählen kann. Sie haben beide ihren eigenen besonderen Charme und man kann damit die echte Welt für eine Weile aussperren, was im Moment nicht das Schlechteste ist.
Es ist aber schon erstaunlich, wie sich Leute darüber streiten können, was ihr Favorit ist und warum, was mit all den anderen nicht stimmt, wer falsch besetzt wurde ... und ... und ... aber Menschen können ja auch über absolut alles streiten, richtig?

Kennt ihr irgendwelche von diesen Versionen? Falls ja, was ist eure liebste? Sind sie Weihnachtsfilme für euch?

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