Ich hatte von Raffles zuvor nie gehört, als ich vor Jahren die DVD-Box aus den 70ern billig aus England bestellte.
A. J. Raffles ist die Hauptfigur von 26 Kurzgeschichten und einem Roman um die Jahrhundertwende (natürlich das 19./20. Jahrhundert). Er wurde so populär, daß es mehrere Verfilmungen gab.
Eine davon ist der Film "Raffles, the Amateur Cracksman" (das war auch der Titel der ersten Sammlung von Kurzgeschichten) von 1917 mit John Barrymore als Raffles.
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Irgendjemand überrascht, daß sie Barrymores schönes Profil für das Filmposter verwendet haben? Nein? (Public Domain über Wikipedia Commons) |
Fangen wir wie üblich mit der Handlung an (mit Spoilern).
"Count de Bauderay" ist an Bord eines Dampfschiffs auf dem Mittelmeer. Dort flirtet er mit der geschiedenen Mrs. Vidal, die sich in ihn verliebt. Ebenfalls an Bord ist ein Betrüger, der Mrs. Vidal von der kostbaren "rosa Perle von Indien" erzählt, die er bei sich hat. Der "Count" findet heraus, daß er sie in seinem Schuh versteckt hält, stiehlt sie, und als er gefaßt wird, entkommt er, indem er in die See springt und ans Ufer schwimmt.
In den Monaten danach geschehen in der Stadt mehrere waghalsige Einbrüche, die dem "Amateur Cracksman" zugeschrieben werden.
Zur gleichen Zeit kehrt A. J. Raffles, ein Kricketchampion, aus Australien zurück und wird mit Freude und einer Einladung zu einem Wochenendbesuch bei Lord Amersteth begrüßt. Sein alter Collegefreund Bunny, der in Gwendolyn, Amersteths Mündel, verliebt ist, ist da und auch Mrs. Vidal.
Das ist bedauerlich, denn sie ist bereit, das, was sie für den Beginn einer Liebesaffäre gehalten hat, wieder aufzunehmen, während es für Raffles nur ein Flirt war. Und als sie dann bemerkt, mit welchem Wohlgefallen Raffles Gwendolyn ansieht, beginnt sie ihm mit Enthüllung zu drohen, da sie sich sicher ist, daß er der "Amateur Cracksman" ist (Überraschung, sie hat recht).
Ein weiterer Wochenendgast ist Mylords Nachbar, ein Detektiv im Ruhestand names Bedford, der wild darauf ist, den Einbrecher zu schnappen. Er bekommt seine Chance dank Lady Melrose, die ihre berühmte Diamantenkette trägt, die für Raffles unwiderstehlich ist.
Die Lady hält nichts von Safes und läßt die leere Schachtel einschließen, während sie die Kette in ihrer Kommode versteckt. Wenn sie doch nur wüßte, daß ihr Mädchen mit einem professionellen Einbrecher unter einer Decke steckt, Crawshay. Das Mädchen nimmt die Kette und läßt sie aus dem Fenster fallen, damit Crawshay sie auffangen kann, aber Raffles ist schneller. Sie kämpfen, der Einbrecher wird verhaftet und abgeführt, aber nicht ohne Rache zu schwören - und entkommt prompt auf dem Weg.
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Autsch. Es gab Abzüge, in denen das hier zensiert wurde. |
Als der Diebstahl der Kette am nächsten Morgen entdeckt wird, ist sich Bedford sicher, daß er sie zurückbringen kann. Raffles wettet mit ihm um 150 Pfund, daß Bedford das nicht vor Mitternacht schaffen wird. Das Geld will er Bunny geben, der Spielschulden hat. Der Detektiv nimmt an, denn er hat Raffles bereits in Verdacht, der Dieb zu sein.
Raffles kehrt in seine Räume in der Stadt zurück. Als Bunny ankommt, sagt er ihm die Wahrheit darüber, daß er der Einbrecher ist und daß er die Kette zurückschicken will, nachdem er das Geld für ihn gewonnen hat.
Dann kommt Crawshay für die versprochene Rache. Als Bedford und sein Kollege auftauchen, hilft Raffles Crawshay bei der Flucht. Bedford verfolgt den Einbrecher. Als nächstes ist Mrs. Vidal dran, die einen Brief von Gwendolyn findet, die sich Sorgen um Raffles macht, nachdem Mrs. Vidal ihr gegenüber angedeutet hat, daß er der "Cracksman" ist. (Schon verwirrt?) Bedford kommt zurück und erzählt Mrs. Vidal, daß er einen Haftbefehl für Raffles hat. Auftritt Lord Amersteth und Gwendolyn. Wißt ihr was, Auftritt von einfach allen, je mehr, desto lustiger.
Es ist nach Mitternacht und Bedford zahlt die 150 Pfund an Raffles, der sie an Bunny weitergibt, bevor er verhaftet wird. Dann läßt der Detektiv Raffles allein mit Gwendolyn sprechen. Ein ganz Schlauer, dieser Bedford.
Jepp, Raffles entkommt - mit der Erlaubnis, dafür Mylords und Gwendolyns Wagen zu nehmen - und Bedford sagt: "Nun, ich bin verteufelt froh, daß er entkommen ist. Er ist prächtig!" 😂
Natürlich ist er das, schaut euch diesen Kerl doch mal an! Wer würde ihm nicht seine waghalsigen Raubzüge verzeihen?
A. J. Raffles ist das geistige Produkt von E. W. Hornung, einen britschen Schriftsteller, der zufällig auch der Schwager von Arthur Conan Doyle war (ich bin kein Fan davon, Leute nicht dafür anzuerkennen, wer sie sind oder was sie getan haben, sondern dafür, mit wem sie verheiratet oder verwandt sind, aber diesmal habe ich einen Grund).
Als Teenager verbrachte Hornung zwei Jahre in Australien und seine ersten Geschichten und Romane schrieb er auch über Australien.
1898 veröffentlichte er seine ersten Raffles-Geschichten und widmete sie Doyle, obwohl dieser ihn davor gewarnt hatte, sie zu schreiben.
Raffles ist kein Robin Hood, die einzigen Armen, denen er etwas schenkt, sind sein Freund und Komplize Bunny und er selbst, und Doyle fand, daß ein Krimineller nicht zum Helden gemacht werden sollte. Obwohl sich dem einige Kritiker anschlossen, waren die Geschichten beliebt und ein finanzieller Erfolg, und Raffles wurde sogar in Artikeln als Synonym für Einbrecher verwendet (ich habe einen interessanten Artikel darüber gelesen, wie Raffles tatsächlich Einfluß darauf hatte, wie man Einbrüche im Vereinigten Königreich vor dem 2. Weltkrieg betrachtete).
Die Geschichten wurden in einem Stil ähnlich dem von Doyles Sherlock Holmes erzählt, wobei Bunny als Erzähler und Chronist für Raffles diente, nur lösten diese beiden eben keine Verbrechen, sondern begingen sie.
Das meiste von Hornungs Werk ist vergessen, Raffles jedoch nicht, seine Geschichten wurden mehr als einmal für Radio, Fernsehen und die Leinwand umgesetzt.
Zurück zu unserem Film.
In diesen Zeiten wäre es nicht akzeptabel gewesen, Raffles so darzustellen, wie er in den Geschichten war, also wurde er mehr zu einem Robin Hood gemacht, indem man anmerkte, daß er von den Reichen nahm und damit wohltätige Zwecke unterstützte oder einen Gauner bestrafte.
Wie ihr aus meiner Beschreibung vielleicht entnommen habt, fand ich es recht amüsant, das hat aber weniger mit der Handlung oder der Qualität des Films zu tun. Stattdessen konzentrierte ich mich wieder sehr auf John Barrymore.
Wenn ich geglaubt hatte, daß er es in "Dr. Jekyll and Mr. Hyde" - sehr zu meinem Genuß - übertrieben hatte, war ich nicht auf Raffles vorbereitet gewesen.
In der zweiten Hälfte begann ich schon zu glauben, daß er nur herumstehen und seine Zigarette halten wollte, wobei er entweder ernst oder überrascht dreinschaute oder ein wissendes Lächeln auf den Lippen hatte.
Dann aber gestand er Bunny, daß er ein Einbrecher war und beschrieb den Nervenkitzel dabei.
An diesem Punkt bedauerte ich, daß Barrymore nie Dracula spielte. Ich denke, das hätte wundervoll werden können.
Tatsächlich mußte ich bei dieser Szene lachen, aber nicht böse gemeint. Wie einige der anderen Szenen hatte ich hier den Eindruck, daß Barrymore die Figur nicht zu ernst nahm, und das gefiel mir.
Als er im Arbeitszimmer war und zum großen Schrecken derer, die draußen standen, eingeschlossen Bedford, der darauf wartete, ihn zu verhaften, in die Luft schoß und dann durch die geheime Öffnung in der Standuhr entkam (übrigens eine Szene, für die Wikipedia ein Update braucht, denn da steht, daß sie in existierenden Abzügen nicht vorkommt), schien er soviel Spaß zu haben.
Nochmal, er riß es für mich heraus, während der Film sonst mal gerade okay war; ich begrüßte, daß er nur eine Stunde lang ging. Eine Stunde, die ich nur für Barrymores Darstellung nochmal investieren würde.
P.S. YouTube hat mir sofort einen weiteren seiner Filme empfohlen, also bereitet euch schon mal darauf vor, dieses Profil wiederzusehen!
Ausgewählte Quellen:
1. Fritzi Kramer: Raffles the Amateur Cracksman (1917) - A silent film review. Auf: Movies Silently, 4. Februar 2013
2. Eloise Moss: "How I Had Liked This Villain! How I Had Admired Him!": A. J. Raffles and the Burglar as British Icon, 1898 - 1939. In: Journal of British Studies 53(2014), S. 136 - 161 (doi:10.1017/jbr.2013.209, closed access)
Es tut mir leid, daß meine Quellen meist nur englischsprachig sind, aber mein englischer Blog wird einfach mehr frequentiert und der Zeitaufwand für die Recherche ist oft so groß, daß ich nicht auch noch die Zeit finde, adäquate deutsche Quellen zu suchen. Sollte euch ein Artikel interessieren, gibt es Übersetzungsprogramme, die zumindest einen Eindruck vermitteln können.