Samstag, 5. Dezember 2009

Noch eine Geschichte von der Zuglady

Ich hätte eine S-Bahn früher nehmen sollen, ich wußte es. Nur weil ich noch etwas fertigmachen wollte, habe ich es nicht gemacht, und so jagte ich meinen verspäteten Zug aus dem Bahnhof statt ihn gerade noch zu erwischen.
Auf der anderen Seite hätte ich etwas verpaßt, aber das wußte ich nicht,als ich zum nächsten Gleis trottete und in den späteren Zug stieg. Zumindest war dieser nicht verspätet.
Beim ersten Halt stieg meine Schwester in den Zug, auf der anderen Seite des Waggons. Sie sah mich nicht, aber der Zug war ohnehin zu voll, als daß wir Sitze nebeneinander gefunden hätten.

Am nächsten Bahnhof hielten wir an, Leute stiegen aus, Leute stiegen ein, aber ... hey, wir fuhren nicht weiter. Wir standen, naja, nicht wir (außer ein paar glücklosen Fahrgästen, die keinen Sitzplatz gefunden hatten), aber der Zug. Ich hatte den Verdacht, daß der vorige Zug noch auf unserem Gleis war, aber da kam die Durchsage:
"Liebe Fahrgäste, wegen eines Notfalls ... eines Notfalls mit einem Arzt ... einem Arzt, der bald hier sein wird, können wir unsere Fahrt im Moment nicht fortsetzen." Ah ja. Das war eine ungewöhnliche Durchsage und vergeßt nicht, ich pendle seit 23 Jahren. Ungewöhnlich war nicht nur die Tatsache, daß offensichtlich IM Zug etwas passiert war, aber auch wie sich der Schaffner anhörte.

Um mich herum fingen Leute an, ihre Familien anzurufen, andere diskutierten die Durchsage. Ein fröhliches Dreiergrüppchen dachte, daß der Schaffner vielleicht etwas zuviel Glühwein hatte, das Mädchen neben mir fand, er klang verstört, meine Schwester plädierte später für atemlos.

Wir warteten. Nach einer Weile sah ich aus dem Augenwinkel ein paar rote und weiße Jacken, die in den Zug stiegen (ich nehme an, nicht allein, obwohl DAS nun wirklich spannend gewesen wäre). Das war alles, was wir sahen. Zumindest bewegte sich der Zug nach einer kleinen Weile dann wieder.
Auf einmal kam eine neue Durchsage:
"Fahrgäste mit dem Ziel Geislingen und Ulm sollten in Göppingen aussteigen. Da ist ein Schneller - hinter mir."
Die Leute fingen wieder an zu kichern. Ein "Schneller"? Ich hatte das Gefühl, dieser Mann machte das absichtlich um uns bei Laune zuhalten, trotz der Verspätung von nunmehr "circa 21 Minuten", von der er hoffte, "daß wir sie vielleicht ein bißchen reduzieren können". Was für ein Unterhalter!

Dann fuhr er fort: "Sie wissen, daß wir einen Notfall im Zug hatten, einen Notfall ...". Hier konnte man hören, daß er uns gleich erzählen würde, was passiert war, und Ohren spitzten sich wie Hasenohren. "Einen Notfall ... wie das halt so ist." Was?? Die Ohren klappten wieder herunter. Er wollte es uns nicht erzählen? Natürlich wußten wir, daß er recht hatte, es ging uns überhaupt nichts an, aber wir hatten freudig (mehr oder weniger) "circa 21 Minuten" unseres Lebens hergegeben, verdienten wir nicht zu erfahren wofür? Offensichtlich nicht.

Kurz vor Göppingen stand ich auf, um meine Schwester bei ihrem Platz abzuholen. Wir standen zusammen an der Tür, als der Schaffner zum endgültigen Schlag ausholte:
"Ich möchte die Fahrgäste, die nach Geislingen und Ulm möchten - und nur dahin! - , nochmals daran erinnern, in Göppingen auszusteigen und den Zug - wie heißt der jetzt nochmal? - zu nehmen." Nach einer kleinen Pause sagte er uns die Zugnummer und daß "der schneller ist". Ich war überrascht, daß er dafür keine stehenden Ovationen bekam. Viele von uns standen schon, ein wenig zu applaudieren wäre nicht so schwierig gewesen ;-)

Uns immer noch über diese Fahrt unterhaltend gingen wir zum Fahrrad meiner Schwester, als auf einmal eine Person mit zum Abklatschen erhobener Hand hinter uns auftauchte - Schwester Nummer 3.
"Wer ist noch dafür, einen Fanclub zu gründen?" fragte sie und wir klatschten uns gegenseitig ab.
Dann erzählte sie uns, daß sie im gleichen Waggon gesessen hatte, nur auf dem oberen Deck.

Heißen Sie die drei Mitglieder des "Unbekannter Schaffner Fanclub 2009" willkommen!! ;-)

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