Donnerstag, 13. März 2025

Stummfilme - Der Dieb von Bagdad

Wie in diesem Post angekündigt habe ich nun mein Stummfilm-Projekt gestartet, schneller als ich es sogar selber erwartet hatte.

Als meinen ersten Film habe ich "Der Dieb von Bagdad" mit Douglas Fairbanks sr in der Hauptrolle und unter der Regie von Raoul Walsh ausgesucht.
Als ich über den Film "Sindbad der Seefahrer" von 1947 mit dem Junior schrieb, der sehr als Hommage an seinen Vater angesehen wird, sagte ich, daß ich als nächstes die 1940er Version von "Der Dieb von Bagdad" anschauen würde (vielleicht für einen anderen Post) und möglicherweise auch den Stummfilm von 1924. Das war bevor ich beschloß, etwas gegen meine abnehmende Aufmerksamkeitsspanne zu tun und Stummfilme in diesen Prozeß mit einzuschließen. Also wurde aus dem "möglicherweise" ein "bestimmt", obwohl mein erster Versuch recht schwarch war. Es war ein sehr müder Tag und ich mußte die Mission nach 20 Minuten abbrechen, nachdem ich buchstäblich die Augen nicht mehr offenhalten konnte, um auch nur irgendetwas anderes zu tun als innerhalb von Sekunden einzuschlafen.


Public Domain über Wikimedia Commons
(Anton Grot)


Neuer Tag, neues Glück.
Es gibt verschiedene Versionen des Films auf YouTube, restauriert, unrestauriert, unterschiedliche Auflösungen, verschiedene Musik. Zuerst wählte ich willkürlich eine und bekam eine Art ätherische und sich wiederholende Musik, die beim Kampf gegen meine Augenlider vielleicht nicht so hilfreich war.
Beim zweiten Mal sah ich mich erstmal um und wählte dann diese hier mit der originalen Musik von Mortimer Wilson. Es gibt auch eine deutsche Version, die kürzer ist und außerdem deutsch synchronisiert. Kein Witz. Keine Ahnung, woher der Text kommt und ob das etwas Offizielles war, ich empfehle sie jedenfalls nicht. Selbst wenn die Zwischentitel im Original auf Englisch sind, ist der Film zu verstehen, also tut euch die Synchronisation nicht an.

2 1/2 Stunden und sehr zu meiner eigenen Überraschung hatte ich kein Problem damit, obwohl ich von vornherein sagen muß, daß der Film meiner Meinung nach nicht so lang sein müßte.
Ich mußte eine kleine Pause einlegen, weil die Katzen am Rande des Hungertods standen und das sehr dramatisch zu verstehen gaben. Sie wären in Stummfilmen großartig gewesen (sie sind selten gesprächig und da sie kurz davor standen, auf der Stelle tot umzufallen, waren ihre Stimmen völlig weg).
Direkt nach dem Film startete ein kurzes Video mit Leonard Maltin, einem bekannten und respektierten Filmkritiker. Er meinte: "'Der Dieb von Bagdad' ist einfach ein großartiger Film, wird aber manchmal mißverstanden, weil Douglas Fairbanks ihn so groß spielt. Seine Gesten sind so groß, daß ihn die Leute manchmal auslachen, und ich sage 'nein nein, lacht ihn nicht aus, lacht mit ihm, er macht das absichtlich, er macht es wie ein Ballett. ... Aber alles an diesem Film ist groß. Der andere Grund, warum er ihn so machen wollte, ist, daß er nicht von den Kulissen und den Spezialeffekten in den Schatten gestellt werden wollte. Er wollte, daß es immer noch ein Douglas Fairbanks-Film ist."
Das war auch mein Gedanke gewesen. Es war wie ein Ballett auf der Leinwand mit Fairbanks als dem Haupttänzer, der es sehr zu genießen schien.

Die Handlung zu "Der Dieb von Bagdad" mag euch stellenweise vertraut vorkommen.
Fairbanks ist Ahmed, ein Dieb in Bagdad (das habt ihr nicht erwartet, was?), zusammen mit einem Freund. Mit der Hilfe eines Zauberseils, das er auf dem Marktplatz gestohlen hat, dringt er in den Palast des Kalifs von Bagdad ein, um dort einen Schatz zu stehlen, aber als er die schlafende Tochter des Kalifen erblickt, verliebt er sich und verläßt den Palast nur mit ihrem Schuh als Souvenir.
Sein Freund ist von dem Schuh zunächst verwirrt, aber dann versteht er, was passiert ist.

Mein liebster Zwischentitel.
Ich frage mich, was die Leute denken werden,
wenn ich das in mein Repertoire aufnehme,
vielleicht für ein Arbeitsmeeting.
Nizzy noodle! Keine Ahnung, wie ich das
übersetzen soll.


Also erzählt er Ahmed die Geschichte einer Prinzessin, die aus einem Palast "gestohlen" wurde, nachdem man sie betäubt hat (nicht cool, Jungs).
Um Zutritt zum Palast zu bekommen, schließen sich Ahmed und sein Freund, in gestohlenen Sachen aufgeputzt - einer Gruppe von drei Prinzen an, dem Prinzen von Indien, dem Prinzen von Persien und dem Prinzen der Mongolen, der eigentlich Bagdad erobern will. Die Prinzessin soll sich unter ihnen einen Ehemann aussuchen. Natürlich ist es Liebe auf den ersten Blick, als er in die Stadt einreitet.
Er klettert zu ihrem Zimmer hinauf, stellt aber fest, daß er sie zu sehr liebt, um seinen Plan durchzuziehen und sie zu entführen. Bevor er und sein Freund jedoch den Palast verlassen können, werden die Prinzen zusammengerufen, um zu erfahren, daß die Prinzessin Ahmed erwählt hat.
Unglücklicherweise erkennt die mongolische Sklavin der Prinzessin in ihm den Dieb von der Nacht zuvor und verrät ihn an den Prinzen der Mongolen, auf dessen Seite sie verständlicherweise steht, gerade als Ahmed der Prinzessin alles gebeichtet hat. Ahmed wird ausgepeitscht und soll von einem Menschenaffen zerrissen werden, aber die Prinzessin besticht die Wachen, damit sie ihn freilassen.
Um die Hochzeit mit einem der drei Prinzen hinauszuzögern, läßt sie sie von ihrem Vater in die Ferne schicken, derjenige, der den seltensten Schatz zurückbringt, wird ihr Ehemann werden.
Auch Ahmed hört davon und macht sich auf den Weg. Mit Hilfe eines Einsiedlers während seiner gefährlichen Reise - Feuer, die Tiefsee und Monster - findet er ein geflügeltes Pferd, das ihn an einen Ort bringt, an dem ein Zauberkästchen unter einem Umhang der Unsichtbarkeit versteckt ist.
Der Prinz von Persien findet einen magischen Teppich, der Prinz von Indien einen magischen Kristall und der Prinz der Mongolen einen Zauberapfel, der heilen kann. Er hat dem Sklavenmädchen befohlen, die Prinzessin zu vergiften, damit er sie heilen und so ihre Hand und den Thron gewinnen kann. Um auf Nummer sicher zu gehen, hat er es geschafft, 20000 seiner Männer in der Stadt zu stationieren.
Als die Prinzen im Kristall sehen, daß die Prinzessin dem Tode nahe ist, nehmen sie den Zauberteppich, um nach Bagdad zu kommen, wo der Apfel sie gerade noch rechtzeitig heilt.
Gerade als der Mongolenprinz den Thron dank seiner Armee eingenommen hat und befiehlt, daß die Hochzeit sofort stattzufinden hat, erreicht Ahmed Bagdad und benutzt das Zauberkästchen, um eine sogar noch größere Armee zu erschaffen, die die Mongolen in die Flucht schlägt.
Bevor ihr Prinz aber, wie von der Sklavin vorgeschlagen, mit der Prinzessin auf dem fliegenden Teppich entkommen kann, rettet Ahmed, der dank des Umhangs unsichtbar ist, sie.
Am Ende fliegen sie zusammen auf dem Teppich davon.

Dies ist ein Märchen (was der Untertitel
"An Arabian Nights Fantasy" hätte andeuten können). Ich habe also eine Rezension nicht ganz verstanden, in der stand, daß die Zuschauerin vom Film nicht überzeugt war, weil sie keine Märchenperson ist. Ehrlich, ich denke, wenn ich das nicht wäre, hätte ich nicht mal versucht, den Film anzuschauen.
Dann kommt natürlich noch die Frage des Orientalismus auf, was bei einer Geschichte, die von "1001 Nacht" inspiriert und in diesen Zeit produziert worden ist, zu erwarten war.
Tatsächlich gab es
Proteste, als Fairbanks und seine Frau Mary Pickford auf einer Welttour 1929 Shanghai besuchten, und zwar wegen der Kontroverse um die Darstellung des Mongolenprinzen (nicht der einzige Film in dieser Zeit, der in China kontrovers gesehen wurde), was dann wiederum dazu führte, daß Fairbanks öffentliche Empfänge ablehnte.
Hier ist übrigens ein interessanter Artikel über eine Sammlung von "Filmpostern, die eine orientalistische Fantasie schaffen". Dieser Post führte mich von einem großen Kaninchenloch zum nächsten.

Ich weiß nicht, ob es daran liegt, daß es ein Märchen ist, aber für mich war es nicht so extrem wie zum Beispiel Aufstand in Sidi Hakim (woran mich schon der Titel ärgert) oder Im Empire geht die Sonne nie unter.
Der Bösewicht war Mongole, ja, und ich weiß nicht, warum sie für die Prinzen diese drei Länder ausgewählt hatten oder ob sie überhaupt groß darüber nachdachten, aber er war ein Eroberer, der Bagdad wollte, und weiße Eroberer im richtigen Leben haben uns gezeigt, daß sie viel Schlimmeres tun konnten, also habe ich ihn und alle Mongolen sicherlich nicht durch den Film für den Inbegriff der Schlechtigkeit gehalten.

Gehen wir mal zurück und sprechen über das "große Ballett".
Wie ich schon sagte, war Fairbanks der Haupttänzer und Akrobat und wenn man das ganze als Märchenballett sehen kann und über das expressive Overacting eines Stummfilms hinwegkommen kann - etwas, das ich selber erst lernen mußte - ist es wirklich unterhaltsam, seinen großen Gesten mit den Armen und seinem "Tanz" zuzuschauen.
Er mag ja mit seinen 41 zu alt für die Rolle gewesen sein, aber wenn man ihm nicht ins Gesicht schaut, hätte man das wirklich nicht gedacht, so wie er sich seinen Weg durch den Film springt und klettert und das im ersten Teil auch noch ohne Hemd (sein Aussehen gefiel mir wesentlich besser als übergroße Muskeln).


Könnt ihr euch vorstellen, wie es gewesen sein muß, damals so etwas anzuschauen? Es muß magisch gewesen sein, sogar für Fairbanks selber, dessen Lieblingsfilm es laut seinem Sohn war.
Es gibt Rezensenten, die den Film gealtert finden. Ich verstehe ja, daß Stummfilme nicht jedermanns Sache sind, aber wie kann man sie überhaupt mit neue/ren Filmen vergleichen?
Ein anderer läßt uns wissen, es sei offensichtlich, daß alle Monster unecht sind. Ernsthaft?! Ich bin ja so froh, daß er mir das gesagt hat!
Leute, dieser Film ist 100 Jahre alt. Natürlich ist er gealtert und hat offensichtlich unechte Monster (zeigt mir einen Film, der echte hat, doh) und trotzdem kann er noch eine Menge Leute verzaubern, mich eingeschlossen.
Es gab einige gute schauspielerischen Leistungen, zum Beispiel von Anna May Wong als Sklavin - besser als die Prinzessin, die überwiegend Ahmed anschmachten mußte - und Sôjin Kamiyama als der Mongolenprinz.
Hätten die Monsterkämpfe etwas länger und das Liebesgeflüster ein ganzes Stück kürzer? Ja. Hätten die Armeeszenen etwas kürzer sein dürfen? Ja. Auch wenn ich weiß, daß mir nicht jeder zustimmt, - Kaninchenloch - hat der Film mich dennoch nicht zum Einschlafen gebracht, nicht mal Ahmeds unvermeidlicher Wandel von Dieb zu gutem Menschen, wodurch er sich als der Prinzessin würdig erwies.
Ist es ein Film, den ich immer wieder anschauen möchte? Nein. Kann ich mir vorstellen, ihn überhaupt irgendwann nochmal anzuschauen? Absolut.

Kommen wir nun zum anderen großen Star.
Der Film mag bei den Kritikern gut angekommen sein, aber er war wegen der Kosten kein kommerzieller Erfolg.
Es war einer der größen und teuersten Filme, die bis dahin gemacht worden waren, und kostete die unglaubliche Summe von 1,135,654 Dollar und 65 Cent. Ich frage mich, wofür die 65 Cent waren
😉
Das ist wirklich nicht überraschend, wenn man sich die Kulissen anschaut. Sie sind riesig und man merkt gar nicht, daß sie nur zwei Jahre zuvor als Nottingham Castle in "Robin Hood" ihren Beginn hatten, bevor Produktionsdesigner William Cameron Menzies sie in Bagdad umwandelte, indem er sie massiv ausweitete.
Man muß sich das selber anschauen, um eine Vorstellung davon zu bekommen.
Ich habe mich bei der Frage ertappt, wie sie wohl den Stoff für die langen Vorhänge im Palast gemacht haben und wie man so etwas wäscht. Mir ist außerdem aufgefallen, daß ich von manchen Kostümen ganz fasziniert war (möglicherweise nicht die, an die ihr jetzt denkt).

Natürlich gibt es dann auch noch die Spezialeffekte - nicht nur die unechten Monster. Ich habe die Szene mit der Meeresspinne geliebt, den fliegenden Teppich, den kleinen "Wirbelwind", der den Tarnumhang andeutete, die Effekte waren so gut für die Zeit.  Ich wäre gern in einem damaligen Publikum gesessen, um die Reaktionen zu sehen.
Natürlich wißt ihr schon, daß ich altmodisch bin und solche Effekte manchmal den heutigen Supereffekten vorziehe, auch wenn manche ein wenig lächerlich wirken.

Ich habe fast vergessen, etwas zur Musik zu sagen. Wie erwähnt habe ich die Version mit der Originalmusik ausgesucht. Fairbanks hatte bei "The Mark of Zorro" schon mit Wilson gearbeitet und beauftragte ihn daher, die Filmmusik für "Der Dieb von Bagdad" zu schreiben und zwar mit der Anweisung "Ihre Musik so künstlerisch wie möglich zu machen".
In den 80ern wurde der Film mit einer Filmmusik von Carl Davis aufgeführt, die auf Kompositionen von Rimsky-Korsakov beruhte, und auch diese Version kann man auf YouTube finden, aber mir gefiel die Originalmusik sehr und ich mag die Vorstellung, daß das auch das war, was das ursprüngliche Publikum zu hören bekam.

Wahrscheinlich seid ihr jetzt müder davon, das zu lesen, als ich vom Anschauen des Films. So ja, falls ihr jemals bereit dazu seid, einen Stummfilm anzuschauen, warum versucht ihr dann nicht den hier?
In den Quellen habe ich noch ein paar Artikel und Rezensionen hierzu gesammelt, falls ihr noch nicht genug gelesen habt, ich habe eine Mischung aus positiven und nicht so positiven ausgesucht. Letztendlich müßt ihr sowieso selber entscheiden.

Ich hoffe auch, daß ihr jetzt keine Angst davor habt, mir zu meinem nächsten Stummfilmabenteuer zu folgen. Die Liste wächst so langsam ...


Quellen (englischsprachig):
1. Jeffrey Vance: The Thief of Bagdad. An essay on "San Francisco Silent Film Festival" 2013
2. Darragh O'Donoghue: The Thief of Bagdad. On "Senses of Cinema", issue 84, September 2017
3. Kirsten O'Regan: Aladdin to Thief of Baghdad: How film posters created an Orientalist fantasy. On "Middle East Eye", May 15, 2019
4. Reviews of "The Thief of Bagdad" on Letterboxd
5. Kage Baker: Ancient Rockets: The Thief of Bagdad. On "Reactor", August 10, 2009

6. Craig Lysy: The Thief of Bagdad - Mortimer Wilson. On "Movie Music UK", August 8, 2022

Es tut mir leid, daß meine Quellen meist nur englischsprachig sind, aber mein englischer Blog wird einfach mehr frequentiert und der Zeitaufwand für die Recherche ist oft so groß, daß ich nicht auch noch die Zeit finde, adäquate deutsche Quellen zu suchen. Sollte euch ein Artikel interessieren, gibt es Übersetzungsprogramme, die zumindest einen Eindruck vermitteln können.

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