Manchmal ist meine Wahl von Stummfilmen ziemlich willkürlich, aber das hier könnte der Höhepunkt sein. Ich kam dazu, als ich etwas anderes auf meinem liebsten Stummfilmblog nachschaute und von einem Link zu einem Post über den Mythos, daß Stummfilmdarstellerinnen und -darsteller ihren Job wegen ihrer Stimmen verloren, als der Tonfilm kam. In diesem Post wurde William Powell erwähnt, also schaute ich nach einem Stummfilm mit ihm und landete bei dem hier, ohne eine Ahnung, ob das eine gute Idee war oder nicht. Schauen wir doch mal.
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Gemeinfrei |
Der Film ist "Sein letzter Befehl" von 1928, von Josef von Sternberg. Wahrscheinlich erinnert ihr euch nicht daran, aber ich hatte echt Probleme mit dem einzigen anderen Sternberg-Film, den ich bis jetzt kenne, "Die große Zarin" über Katharina die Große.
Dieser ist unserer Zeit aber etwas näher. Wir springen zwischen dem Anfang der russischen Revolution 1917 und Hollywood im Jahr 1928.
Die Handlung, wie üblich mit Spoilern.
Lev Andreyev, ein russischer Regisseur in Hollywood, schaut sich für seinen neuen Film einen Stapel Schauspielerfotos an. Als er zum Bild von Sergious Alexander kommt, der behauptet, ein Cousin des Zars und ein ehemaliger kommandierender General zu sein, weist er seinen Assistenten an, den Mann einzustellen und mit einer Generalsuniform auszustatten. Man bekommt die Vorstellung, daß die beiden Männer eine gemeinsame Geschichte haben.
Alexander trifft zur Arbeit ein. Beim Schminken beschwert sich der Schauspieler neben ihm über sein Kopfschütteln und Alexander erzählt, daß es das Ergebnis eines großen Schocks ist. Seine Gedanken wandern in das kaiserliche Rußland von 1917 zurück.
Großherzog Sergius Alexander, ein General der russischen Armee, trifft zur Inspektion der Truppen ein. Man sagt ihm, daß die Revolutionäre die meisten der Vorräte abgefangen haben.
Zwei dieser Revolutionäre beobachten Alexander von einem oberen Fenster aus, Lev Andreyev und Natalie Dobrova. "Laß ihn doch noch etwas herumstolzieren! Seine Tage sind gezählt!" meint Lev zu Natalie.
Dann werden sie zu einer Paßkontrolle am nächsten Tag aufgefordert. Alexander befragt sie persönlich, weil er von Natalies Aussehen angetan ist. Als er Levs Mut bezweifelt, gibt der ihm Kontra. Alexander schlägt ihn mit einer Gerte ins Gesicht und läßt ihn einsperren. Natalie aber wird ins Hauptquartier eingeladen, weil sich der General ganz offensichtlich in sie verguckt hat.
Vor einem Abendessen beschenkt er sie sogar mit einer Perlenkette, während seine Offiziere an der Tür lauschen.
Während des Essens erhält Alexander einen Anruf. Der Zar will die Front besuchen und eine Offensive sehen, aber sehr zur Überraschung aller am Tisch lehnt der General es ab, Soldaten zur Unterhaltung des Zars zu opfern.
Inzwischen sehen wir, wie sich ein Soldat im Gefängnis gegen die anderen Soldaten wendet und so Lev und den anderen Gefangenen die Flucht ermöglicht.
Nach dem Essen lädt Natalie den General auf Kaffee in ihr Zimmer ein. Sie plant, ihn zu erschießen, bringt es aber nicht fertig. Als er fragt, warum sie ihn nicht erschossen hat, antwortet sie, daß sie niemanden töten könnte, der Rußland so sehr liebt wie er. Alexander verkündet, daß sie nun seine Kriegsgefangene ist ... und Gefangene der Liebe (ich gestehe gern, daß ich dabei die Augen verdreht habe).
Als nächstes besteigen der General, seine Männer und Natalie einen Zug. Sie wissen nicht, daß die Zugführer Bolschewiken sind. Sie halten in der nächsten Stadt und der Zug wird übernommen.
Natalie wendet sich gegen den General und verlangt, daß er den Zug bis Petrograd, wo er gehängt werden soll, anheizt.
Als sie aber eine Gelegenheit hat, steckt sie ihm die Perlenkette zu, damit er das Land verlassen kann, und als einer der Revolutionäre aufwacht - es floß viel Wodka - umarmt sie ihn, damit er nicht sieht, wie Alexander flüchtet. Der Mann glaubt, sie sagt ihm, daß sie ihn liebt, aber ihre Blicke sind beim General.
Er schlägt den Heizer mit der Kohlenschaufel nieder und springt aus dem Zug.
Vor seinen Augen entgleist der Zug auf der Brücke und stürzt in den eisigen Fluß, mit seiner großen Liebe. Das war der große Schock, der sein Kopfschütteln verursacht hat.
Zurück nach Hollywood.
Lev ist entschlossen, sich zu rächen und Alexander zu erniedrigen. Er gibt ihm eine Gerte und einen Mantel, der dem, den er vor Jahren getragen hat, sehr ähnlich ist, dann bringt er in in eine Szene im Schützengraben. Er befiehlt der Crew, die russische Nationalhymne zu spielen.
Vorher hat er einen Statisten angewiesen, den General anzuschreien, daß die Soldaten des Kämpfens überdrüssig sind.
"Du hast deinen letzten Befehl gegeben! Ein neuer Tag ist angebrochen! Nieder mit deinem Rußland!"
In diesem Moment ergreift der Wahnsinn Besitz von Alexander. Er schlägt den Statisten mit der Gerte und greift nach der Flagge. Sein Gehirn zeigt ihm die Erinnerungen an die Revolutionäre.
"Der Befehl heißt vorwärts -- zum Sieg - Lang lebe Rußland!"
Dann greift er sich an die Brust und fällt um.
Von Lev gehalten fragt er "Haben wir gewonnen?", was Lev bejaht, bevor Alexander in seinen Armen stirbt.
Als Levs Assistent meint, er wäre ein großer Schauspieler gewesen, erwidert der Regisseur "Er war mehr als ein großer Schauspieler - er war ein großer Mann."
Alsooo. War es eine gute Idee, den Film anzuschauen?
Wäre es mir hauptsächlich um William Powell gegangen, wahrscheinlich nicht so sehr, denn so viele Szenen hatte er nicht.
Außerdem bin ich kein Fan von Filmen, in denen es um Krieg und Militär geht, aber irgendwie hatte ich doch etwas weniger 1918 und etwas mehr 1928 erwartet. Damit lag ich auf jeden Fall falsch.
Die Handlung wurde von einer tatsächlich geschehenen Geschichte inspiriert, die Ernst Lubitsch einen Zeitungskolumnisten erzählte. Dabei ging es um einen ihm bekannten russischen General, der vor der Revolution floh und ein Restaurant eröffnete, dann aber gezwungen war, als Statist in Hollywood zu arbeiten, um zu überleben.
Der Film war äußerst dramatisch, nicht nur wegen der Handlung, sondern auch wegen Jannings. Ich hatte das von dem, was ich über ihn gelesen hatte, schon erwartet, hatte ihn bisher aber nur in einer Komödie gesehen.
Zu dieser Zeit galt er als der beste Schauspieler der Welt und er bekam für diesen Film (und einen weiteren, der verschollen ist) einen Oscar.
Obwohl er mir etwas zuviel war, war es dennoch beeindruckend, wie er den General vorher und nachher darstellte, und das Ende war toll.
Trotzdem hatte ich ein Problem mit der Liebesgeschichte. Ich möchte nicht oberflächlich klingen, indem ich sage, daß ich mir nicht vorstellen, wie sich eine junge Frau wie Natalie in einen älteren Mann verliebt. Was ich mir aber wirklich nicht vorstellen kann ist, wie schnell sie dem Feind verfiel, weil er eine Sache richtig machte, indem er dem Zaren seinen Wunsch abschlug. In dem Moment war also alles andere vergessen? Tut mir leid, das konnte ich ihr einfach nicht abkaufen. Außerdem war es für den General in Ordnung, daß sie nur einen Moment zuvor noch geplant hatte, ihn zu ermorden? Er hatte die schlecht versteckte Pistole gesehen, wie konnte er sich so sicher sein, daß sie ihn nicht erschießen würde?
Und sie liebte ihn nicht nur, sondern sie liebte ihn so sehr, daß sie ihr eigenes Leben riskierte, indem sie ihm zur Flucht verhalf? Denn wißt ihr, ich glaube nicht, daß es ihre Kameraden so locker aufgenommen hätten, wenn sie das herausbekommen hätten. Zum Glück bekamen sie aber nie die Gelegenheit dazu, weil sie alle ertranken. Oh wartet mal, das ist ja nicht besser. Vielleicht hätte jemand dem Zugführer den Wodka wegnehmen sollen, damit er nicht eingeschlafen wäre?
Ich sage ja nicht, daß der Mittelteil nur schlecht war, aber für meinen Geschmack war es dennoch zu viel und zu lang. Alle waren sehr leidenschaftlich, es wurde laut gelacht, dramatisch geweint, eine Menge geschrien und es gab viele entweder grüblerische oder stechende Blicke.
Ich hätte gern etwas weniger davon und stattdessen etwas mehr Hintergrund gehabt. Wie schaffte es Lev, in die USA zu kommen und sich einen Job als Regisseur zu sichern (vielleicht Beziehungen, da er ja Theaterregisseur in Rußland gewesen war?)? Hatte er das Land direkt nach dem Gefängnisausbruch verlassen? Warum hatte er nicht versucht, es zurück zur Revolution zu schaffen? Wie kam Alexander in die USA und wie wurde ein schlecht bezahlter Schauspieler aus ihm?
Oh, und warum genau nannte Lev den General am Ende einen großen Mann? Was hatte er denn getan, daß Lev ihm plötzlich vergab? Sorry, das ergab für mich keinen Sinn. Es ist in Ordnung für mich, daß er sich nicht an seinem Tod ergötzte, ich würde ein gewisses Mitleid mit seinem Absturz und Ende von jemandem, der mehr Glück hatte, verstehen, aber von "ich brauche irgendwie Rache" zu "er war ein großer Mann"?
Ein Teil ist Satire auf das damalige Hollywood, die Mengen von Schauspielern, die vor dem Tor auf ihre Chance warten, die Art, wie die Outfits ausgeteilt werden, von Haufen an Kleidung, Stiefeln, Gewehren, aber wie erwähnt, ist es eben nur ein ziemlich kleiner Teil.
Ich bin mir nicht ganz sicher, was der andere Teil ist. Sollen wir auf der Seite des Zaren sein? Die Zeiten waren unter seiner Herrschaft auch nicht gerade nett, wenn man nicht zur russischen Aristokratie gehörte.
Oder geht es einfach nur um Alexander als Mann? Einen Mann, über den wir nicht wirklich viel wissen, auf keinen Fall genug, um ihn als großen Mann zu bezeichnen.
Nochmal, war es eine gute Idee, den Film anzuschauen?
Ja. Ich mag ihn zwar nicht lieben, aber ich hasse ihn auch nicht, und eine Erfahrung war er allemal wert.
Quellen:
1. Fritzi Kramer: The Last Command (1928) - A Silent Film Review. Auf: Movies Silently, 28. Juli 2015
2. Scott Nye: Scott Reviews Josef von Sternberg's The Last Command [Masters of Cinema Blu-Ray]. Auf: CriterionCast, 12. August 2016
3. Alistair Nunn: The Last Command (1928). Auf: Movie Musings, 9. November 2023
Es tut mir leid, daß meine Quellen meist nur englischsprachig sind, aber mein englischer Blog wird einfach mehr frequentiert und der Zeitaufwand für die Recherche ist oft so groß, daß ich nicht auch noch die Zeit finde, adäquate deutsche Quellen zu suchen. Sollte euch ein Artikel interessieren, gibt es Übersetzungsprogramme, die zumindest einen Eindruck vermitteln können.
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