Montag, 18. August 2025

Mehr als ein Exemplar?

Von Jonathan Edward Durham auf Facebook:
"Ich empfehle nicht weniger als 4 Exemplare von einem geliebten Buch. Ein Taschenbuch für Reisen und um es Freunden auszuleihen, ein E-Book, das man mit fettigen Snackfingern liest, ein Hörbuch, damit man weiß, wie die Namen der Charaktere tatsächlich ausgesprochen werden, und ein einwandfreies gebundenes Buch, mit dem man wie ein Pharao begraben wird."

Okay, ich bin mir nicht sicher, ob ich hier vollkommen zustimme.
Ich kann zum Beispiel gar nicht mit fettigen Snackfingern essen, nicht mal auf meinem Tablet (nicht weil es noch ziemlich neu ist, sondern weil ich da einfach komisch bin). Ich bevorzuge sowieso gedruckte Bücher und fühle mich wie eine Verräterin an meinen eigenen Prinzipien, konnte aber der Anziehung von The Internet Archive nicht widerstehen.
Außerdem habe ich schon oft genug gesagt, daß Hörbücher nichts für mich sind.
Ich bin mir nicht mal sicher bei Taschenbuch gegenüber perfektem gebundenen Buch, aber da die Chancen, daß mir jemand eine Pyramide, auch nur eine kleine, baut, bei Null stehen, denke ich, daß ich mir darüber sowieso keine Gedanken machen muß.

Mehrere Exemplare eines Buchs hingegen .... nuuuun jaaaa ... es könnte möglich sein, daß ich da das eine oder andere habe ....
Hört sich komisch für euch an? Da habt ihr's, noch ein Beweis, daß ich seltsam bin.
Um es möglicherweise noch seltsamer zu machen, möchte ich euch noch sagen, daß ich diese Mehrfachexemplare selber gekauft habe. Das waren keine Geschenke zu einer Gelegenheit, in der jemand tapfer genug war, mir ein Buch von einem Lieblingsautor zu geben, weil sie dachten, ich hätte das noch nicht.

Warum aber würde ich überhaupt mehr als ein Exemplar eines Buches haben wollen?
Die folgenden Beispiele sind alles Kinderbücher. Das heißt nicht, daß ich überhaupt keine Mehrfachexemplare von anderen Büchern habe, aber es war am einfachsten für mich, nur einen Schrank durchzuschauen und etwas für jeden meiner Gründe zu finden.

1. "Ich habe dich so lang gesucht."

Als ich ein Kind war, hatte meine beste Freundin das Buch "Hand in Hand der Sonne nach" von Betty MacDonald. Es ging um zwei Waisenmädchen, die einer gräßlichen Heimschule entkommen und dabei neue Eltern finden.
Ich habe dieses Buch geliebt und als Erwachsene wollte ich es in meiner Sammlung haben. Leichter gesagt als getan, viel leichter! Es schien unmöglich zu sein, dieses Buch zu finden. Ich suchte in Antiquariaten, auf Flohmärkten, kein Erfolg.
Dann kam das Internet. Sicherlich war das nun meine große Chance. Träumt weiter. Ich suchte regelmäßig danach und meldete mich für Mailbenachrichtigungen auf Antiquariatsseiten an, aber es tauchte nicht viel auf und wenn doch, dann war jemand anders schon schneller gewesen. Dies war ein sehr gefragtes Buch, und soweit ich feststellen konnte, waren die Preise für die Ausgabe, die ich wollte, ziemlich lächerlich. Denn wißt ihr, ich wollte kein Taschenbuch, ich wollte genau das Buch, das ich als Kind geliebt hatte, wenn möglich mit Schutzumschlag.
Schließlich war ich diejenige, die Glück hatte. Es war nicht furchtbar teuer und ich konnte kaum glauben, daß es wirklich mir gehörte, nachdem ich "nur" ungefähr 25 Jahre oder so danach gesucht hatte.
Aus irgendeinem Grund war ich aber so daran gewöhnt, danach zu suchen, daß ich nicht gleich damit aufhörte. Darum habe ich jetzt mehr als eins. Oder zwei. Ich kann mich ja immer noch im Alter damit finanzieren, daß ich es, falls nötig, verkaufe, richtig (ja, offensichtlich ist es immer noch gefragt)? Naja, so wie die Preise gerade sind, kann ich wenigstens einen Tag Essen damit finanzieren.
Aber im Ernst, ich habe jetzt meinen Frieden gefunden und suche nicht mehr danach (... jedenfalls nicht sehr oft, aber nicht in der Absicht zu kaufen, ich schwöre).


2. "Ich frage mich, wie sie auf Englisch sind." oder "Ich möchte wenigstens ein Set haben, das gut aussieht."

Hört sich wie zwei Gründe an, aber für dieses Set war es tatsächlich eine Mischung.
Ich habe die Geschichte von "Wintersonnenwende" letztes Jahr erzählt, worum es geht, warum es so fertig aussieht und warum ich kein neues gekauft habe (wegen der Erinnerung).
Es ist das grün, ihr könnt sehen, wie schlecht es im Vergleich zu den anderen aussieht.


Also habe ich mir irgendwas das englische Set besorgt, weil der Preis zu der Zeit okay war, ich neugierig war, ob es Unterschiede zu den deutschen Übersetzungen gab und ich ein perfekt aussehendes Set hatte.

Ich habe noch andere Bücher auf Englisch und Deutsch. Manchmal ersetze ich die Übersetzung mit dem Original, manchmal fange ich eine Serie mit der deutschen Übersetzung an und mache dann auf Englisch weiter, entweder weil ich nicht auf die Übersetzung warten möchte - darum sind meine Pratchetts in deutsche Taschenbücher und englische Hardcovers aufgeteilt - oder weil eine Serie schlicht nicht mehr übersetzt wird, wobei ich mich immer frage, ob das Interesse in Deutschland nachgelassen hat oder was sonst der Grund dafür sein könnte, in einer Alphabet-Reihe bei R mit dem Übersetzen aufzuhören, wie es zum Beispiel bei Sue Graftons Serie um Kinsey Millhone geschehen ist.
Ich habe aber auch damit angefangen, die früheren Pratchetts Stück für Stück auf Englisch anzuschaffen. Solange ich noch Platz habe, muß ich nicht entscheiden, ob die deutschen Taschenbücher rausfliegen, aber wahrscheinlich wird das irgendwann passieren.

3. "Ich habe mehr als eine Ausgabe und ich kann nicht aufhören."

Das mag manchen als der seltsamste Grund erscheinen. Himmel, es kommt ja sogar mir manchmal komisch vor.
Warum sollte man unterschiedliche Ausgaben desselben Buchs haben wollen?
Okay, vielleicht eine ältere und eine moderne Übersetzung, wenn es deutliche Unterschiede gibt und man Spaß am Vergleichen hat, aber was für einen Grund könnte es noch geben?

Dafür gibt es nur ein Beispiel in meiner Sammlung. Es ist ebenfalls ein Kinderbuchset und das mag den Grund vielleicht etwas offensichtlicher machen. Sentimentalität. 
Falls ihr meinen Post über die "Susanne Barden"-Bücher gelesen habt, wißt ihr, daß es mir nicht bei allen Büchern so geht. In diesem Fall habe ich die alte Ausgabe gekauft und die neuen in den öffentlichen Bücherschrank gebracht und das nicht bedauert. Das habe ich auch schon mit ein paar anderen Büchern gemacht. Wenn ich ein besser erhaltenes Exemplar gefunden habe, flog das alte raus, es sei denn, es hing irgendeine Geschichte daran. In der Tat habe ich vor, meine Bücher daraufhin durchzuschauen, ob noch irgendwo Extraexemplare sind, die ich einfach noch nicht gezogen habe. Wir sprechen hier übrigens nicht über Dutzende, wahrscheinlich nicht einmal zehn.

Vor einer Weile habe ich in einem Post offiziell eingestanden, daß ich den "Mary Poppins"-Film nicht mag (den mit Julie Andrews, die mit Emily Blunt habe ich nicht gesehen, habe ich auch nicht vor), aber daß ich die Bücher liebe.
Ich hatte vergessen, daß ich letzteres schon vor 15 Jahren in zwei Posts erwähnt hatte. Vielleicht sollte ich irgendwann mal über sie und ihre Schöpferin P.L. Travers schreiben.

Auf jeden Fall hatte ich diese Bücher als Kind aus der Stadtbücherei und nicht nur einmal. Ich liebte alles daran, die Geschichten (ja, es gibt eine mit veralteten Stereotypen, die in Überarbeitungen geändert wurden) und vor allem die Magie. Ich wollte so gern selber etwas von dieser Magie haben und vielleicht will das ein Teil von mir ja heute noch, ich weiß es nicht, aber die Bücher liebe ich noch immer.
Ich liebte auch die Illustrationen, so wird Mary für mich immer aussehen.
In einem Post über Kinderbuchillustrationen habe ich folgendes geschrieben: "
Wenn ihr so wie ich seid, erinnert ihr euch vielleicht an die Illustrationen aus eurer Kindheit und lehnt neue Ausgaben mit neuen, vielleicht moderneren Bildern ab, weil diese Charaktere euch so vertraut sind, daß es unmöglich ist, wenn sie einfach so neue Gesichter bekommen. ... Es könnte interessant sein, eine Sammlung von Kinderbüchern zu haben, in der mehrere Ausgaben der gleichen Bücher stehen, um zu sehen, was verschiedene Illustratoren daraus gemacht haben."

Witzig, ich habe damals nicht mal dran gedacht, mir meine "Mary Poppins"-Ausgaben anzuschauen.


Die Originalreihe hat acht Bücher, meine Bücherei hatte nur vier davon (ein fünftes gab es übersetzt, aber das fand ich erst viele Jahre später).
Sie sahen so aus wie das links mit dem gestreiften Einband, der mich immer an eine altmodische Tapete erinnerte, mit einer anderen Farbe für jeden Band.
Diese vier Bücher habe ich in drei verschiedenen Ausgaben, eine neuere auf Englisch, eine ältere und eine neuere auf Deutsch. Auf dem Bild sind vier Bücher, weil ich auch noch eine Ausgabe der Buchgemeinschaft habe, dort wurde aber nur der erste Band veröffentlicht.
Ich habe noch eines der anderen vier Bücher in einer komplett anderen deutschen Ausgabe und die anderen drei auf Englisch, da sie, soweit ich weiß, niemals übersetzt wurden.

Es gibt kleine Unterschiede zwischen der älteren und der neueren deutschen Ausgabe. In der neuen wurde einzelne Wörter der moderneren Sprache angepaßt, zum Beispiel wurden aus Mister und Mistreß Banks dann Mr. und Mrs. Banks und der Polizist aus der neuen Ausgabe war früher ein Schutzmann.
Die Unterschiede sind jedoch zu klein, um als Grund dafür zu dienen, die neuen zu behalten. Auch die Illustrationen machen es nicht aus. Nur die Umschläge sind verschieden, nicht die Bilder in den Büchern. Im Moment behalte ich die neuen, naja, nicht so neu, ich habe sie vor 35 Jahren gekauft (damals notierte ich noch das Datum im Buch), wegen der Geschichte, wie und wo ich sie gekauft habe.
Den Band von der Buchgemeinschaft behalte ich auf jeden Fall, weil die Illustrationen anders sind.
Update 7. August: Überraschenderweise habe ich gerade alle vier Bände der frühen Ausgabe für einen guten Preis bekommen, in Halbleinen gebunden und mit Schutzumschlägen, was mich echt glücklich macht. Von den Stempeln in den Büchern konnte ich feststellen, daß ich sie von der ursprünglichen Eigentümerin gekauft habe. Vielleicht sollte ich mich darauf vorbereiten, die Ausgabe aus den späten 80ern jetzt ziehen zu lassen, was denkt ihr?

Falls ihr noch hier bei mir seid - kopfschüttelnd oder nicht - würdet ihr dann gern ein paar Illustrationen vergleichen?

Dies ist Mary, wie sie von Mary Shepard gesehen wurde, der ursprünglichen Illustratorin für die englischen Bücher.



Vielleicht habt ihr von ihrem Vater gehört, E. H. Shepard, der zum Beispiel "Winnie Pu" und "Wind in den Weiden" illustriert hat. Tatsächlich war er auch derjenige, der als erster wegen "Mary Poppins" angesprochen wurde, aber er war zu beschäftigt, um den Auftrag annehmen zu können. Travers sah zufällig eine Weihnachtskarte mit einer Zeichnung seiner Tochter, die dann alle Bücher illustrierte.
Es war keine einfache Zusammenarbeit, vor allem für Mary und besonders zum Schluß hin, da Travers "die Illustrationen weniger als eigenständige Kunst als als Diener der Texte ansah", was dazu führte, daß Mary ziemlich vergessen bleibt, wenn der Erfolg der Bücher diskutiert wird. Ich werde am Schluß zwei englischsprachige Quellen anhängen, falls ihr mehr wissen möchtet und mehr Illustrationen sehen wollt.

Mein eigenes Bild von Mary Poppins wurde allerdings von dem deutschen Illustrator Horst Lemke geprägt (der nach Walter Triers Tod auch Erich Kästners Bücher illustrierte). Seine Bilder sind in beiden deutschen Ausgabe und ich liebe sie so sehr wie die Bücher selber.
Mary ist keine warme Person. In meinem alten Post schrieb ich "sie ist stur, sie ist streng und ernst und hat eine sehr hohe Meinung von sich selbst" - was Mrs. Bank mehr als einmal ärgert - "und trotzdem ist sie liebenswert ...". Um ehrlich zu sein, bin ich mir nicht mehr sicher, daß das das richtige Wort ist. Die Kinder lieben sie, für die Magie und das Abenteuer und weil sie sich bei ihr geborgen fühlen, und ich bin mir sicher, sie liebt sie, aber sie weiß, daß sie nicht immer für sie da sein wird.
Nur wenn sie mit Bert zusammen ist, läßt sie sich etwas gehen, ich denke, weil es schwierig ist, seiner Freude am Leben zu widerstehen.
Ich finde, Lemke hat diesen etwas unnahbaren und professionellen Zug an Mary sehr gut eingefangen.
Ich weiß nicht, ob es ist, weil ich die Bücher so gut kenne, aber könnt ihr sehen, wie Michael hüpft, die ältere Jane schon etwas ruhiger ist und Mary sie unter Kontrolle zu haben scheint, obwohl sie Michael nicht einmal an der Hand hat. Vielleicht ist es die Art, wie sie ihren Schirm hält.


Das hier ist eine Illustration von Emanuela Delignon, einer österreichischen Illustratorin und Grafikerin, für die Ausgabe der Buchgemeinschaft, die auch gut funktioniert, ich bevorzuge aber trotzdem Lemkes klarere Linien.


Tatsächlich konnte ich im ersten englischen Buch gar nicht viele Bilder von Mary finden. Ich hätte gerne dieselbe Szene von allen dreien gefunden, um sie vergleichen zu können, aber das ist das Beste, was ich diesbezüglich hinbekommen habe.

Mary Shepard

Horst Lemke

Emanuela Delignon

Gibt es Bücher, von denen ihr mehr als ein Exemplar habt?
Bitte sagt mir, daß ich nicht als einzige seltsam bin
 😉


Quellen zu Mary Shepard (englischsprachig):

1. Margaret Baguley and Martin Charles Kerby: Mary Shepard: the artist who brought Mary Poppins to life. Auf: The Conversation, 24. Dezember 2020
2. Shelley Lloyd: Forgotten Mary Poppins illustrator finally recognised after international search reveals rare original drawings. Auf: ABC News Australia, 20. März 2020

Es tut mir leid, daß meine Quellen meist nur englischsprachig sind, aber mein englischer Blog wird einfach mehr frequentiert und der Zeitaufwand für die Recherche ist oft so groß, daß ich nicht auch noch die Zeit finde, adäquate deutsche Quellen zu suchen. Sollte euch ein Artikel interessieren, gibt es Übersetzungsprogramme, die zumindest einen Eindruck vermitteln können.

Samstag, 16. August 2025

Einfach nur so Samstag - Bücher auf Reisen

In meinem Post über "Der kleine Nick" vor ein paar Tagen habe ich gesagt, daß meine persönlichen Exemplare der Bücher eine eigene Geschichte haben.
Hier ist sie.

Das Jahr ist 1994 und es ist zwei Tage vor meinem Geburtstag.
Wir drei Schwestern nehmen zufällig nach der Arbeit denselben Zug und meine älteste Schwester hat mein Geburtstagsgeschenk in einer Tüte, das sie gerade vom Buchladen auf dem Weg zum Bahnhof abgeholt hat.
Die Fahrt von Bad Cannstatt dauert ungefähr 30 Minuten. Wir reden, wir lachen, wir steigen aus dem Zug ... da bemerkt meine Schwester, daß sie die Büchertüte im Zug gelassen hat!
Es ist zu spät, nochmal einzusteigen, also bleiben jetzt nur zwei Dinge zu tun, 1. zum Service-Büro zu gehen und zu sie darum bitten, jemanden zu kontaktieren, 2. zu hoffen, daß sich kein Fahrgast die Tüte schnappt und sich denkt, daß das doch nette Bücher sind.

Etwas im Zug zu verlieren oder zu vergessen ist ein Glücksspiel. Manche geben so etwas dem Schaffner, damit es ins Fundbüro des Bahnunternehmens kommt (und in eine Auktion, falls niemand darauf Anspruch erhebt), aber manche denken sich "selber schuld" und behalten es oder denken wenigstens darüber nach (habe ich selber schon gesehen) und manche ignorieren es einfach.
Beim Service sagte man meiner Schwester, daß sie jemanden an der Endstation kontaktieren würden, damit der Schaffner im Zug nachschauen könnte, falls er die Tüte nicht sowieso schon selber gefunden hätte.
Wenn die Tüte da wäre, würden sie sie mit dem nächstmöglichen Zug zurückschicken und beim Service-Büro abgeben, wo meine Schwester sie dann am nächsten Tag abholen könnte.

Das Glück war auf unserer Seite und meine Schwester holte die Tüte am nächsten Tag ab.
Um das zu feiern, zeichnete sie in jedes Buch ein kleines Bild, um die Geschichte zu erzählen.

Von links nach rechts - meine Schwester A., moi und meine
Schwester B. In der Zeichnung gibt es eine Menge Details, von A.s
Zopf bis zu meinen langen Haaren, die ich offen trage, und B.s Bob,
aber auch A.s typischer Rucksack, mein Shopper und B.s Tasche,
und natürlich die Büchertüte, auf der "Stehn" steht, ein
Buchladen, den es heute nicht mehr gibt.

An diesem Bild liebe ich zwei Dinge besonders.
Da ist einmal die Firma Hengstenberg, die nächstes Jahr 150
Jahre alt wird und Essig, Eingelegtes, Senf usw. produziert.
Heute sind nur noch Büros in dem Gebäude, aber es ist trotzdem
noch Teil der regionalen Geschichte.
Außerdem ist das noch einer der alten Züge. Es ist durchaus
möglich, daß wir in einem davon fuhren, denn die Doppelstockzüge
wurden um die Zeit gerade erstmal eingeführt.
Könnt ihr uns im letzten Fenster sehen?
 

Oh nein! Wir sind daheim aus dem Zug gestiegen, aber die Tüte
ist noch da drin! Unsere schockierten Gesichter bringen mich
jedes Mal zum Lächeln 
🙃

Sagt mir ohne Worte, wie die Bücher von Geislingen von Göppingen
zurückfuhren. Sind euch die Geschwindigkeitslinien aufgefallen?

Das Service-Büro der Deutschen Bahn (das es auch nicht mehr gibt,
weil sie den Vertrag für diese Strecke vor einigen Jahren verloren
haben und weil sie sowieso erwarten, daß man sich um seinen
eigenen Service kümmert) am Tag vor meinem Geburtstag.
An der Uhr kann man erkennen, daß A. und ich unseren zu dieser
Zeit üblichen Zug genommen haben, und oh Wunder, er war auch
noch pünktlich!


Ich finde, die Zeichnungen machen diese Bücher wirklich ganz besonders. Meint ihr, daß jemand sie irgendwann mal in der Zukunft in den Händen halten wird und sich fragt, was das wohl alles zu bedeuten hatte ...

Freitag, 15. August 2025

A Life at Stake

Seid ihr für einen weiteren Summer of Angela (Lansbury) Post (zusammen mit Lisa von Boondock Ramblings) bereit?
Heute haben wir "A Life at Stake" von 1955 auf der Speisekarte. Ich konnte keinen Hinweis auf eine deutsche Version finden.
Lisas Post könnt ihr euch hier anschauen. Sie plant übrigens zwei weitere Filme, für mich wird dies jedoch der letzte sein.


Die Handlung (Spoileralarm!)

Architekt Edward Shaw, der dank eines spielsüchtigen Geschäftspartners pleite und arbeitslos ist und einen Haufen Schulden hat, erhält ein Geschäftsangebot von der ehemaligen Maklerin Doris Hillman. Sie will Land kaufen, er soll dann Häuser darauf bauen.
Ihr wohlhabender Ehemann, der derjenige ist, der das Geld dafür aufbringt, besteht jedoch auf eine Keyman-Versicherung für Edward, falls diesem etwas passieren sollte.
Die Situation wird dadurch kompliziert, daß sich Edward zu Doris hingezogen fühlt - und sie zu ihm? Ich denke, ihr habt schon eine Vorstellung, also muß ich nicht um den heißen Brei herumreden.
Edward wird mißtrauisch, weil er glaubt, daß die Hillmans nur hinter dem Versicherungsgeld sind. Als ihm Doris' jüngere Schwester (die in ihn verliebt ist) ihm erzählt, daß Doris' erster Mann bei einem Unfall gestorben ist, ist er sogar noch überzeugter davon, daß sie ihn töten wollen.
Da die Polizei ihm nicht glaubt, obwohl er von Hillman unter Drogen gesetzt wurde und nur knapp einen Unfall überlebt, schmieden er und Madge einen Plan, um Doris auf ihre Seite zu ziehen. Doris lockt ihn jedoch in die Berghütte des Paares und schießt ihn an, als er gehen will.
Als nächstes taucht ihr Mann auf und will sie erschießen, um es wie einen Mord-Selbstmord aussehen zu lassen, aber Edward schlägt ihm die Waffe aus der Hand, bevor er niedergeschlagen wird. Doris hebt sie auf und erschießt ihren Ehemann, der in ihre Richtung taumelt und sie mit sich durch eine Tür, die zur Klippe hin öffnet, hinunterreißt.
Gerade als Edward nach draußen stolpert, treffen die Polizei und Madge ein, und Edward wird mit Madge an seinser Seite in einem Krankenwagen weggebracht.

Die einzige Überraschung in diesem Film war Angela Lansbury, erneut als Femme Fatale (nach Please Murder Me!). Sie spielte das erstaunlich gut, aber nicht gut genug, um diesen Film für mich retten zu können.


"A Life at Stake" ist ein Film Noir, aber ich weiß nicht wirklich soviel über Film Noir. Ich bezweifle jedoch, daß dieser Film in der großen Liga mitspielt. Er hat seine Momente, aber nicht mal die konnten meine Aufmerksamkeit so richtig fesseln.

Ich brachte es einfach nicht fertig, irgendeine Verbindung mit dem Helden zu spüren, egal ob am Anfang oder während seiner Affäre mit Doris, was auch immer das genau für eine sein sollte. Dann noch Madge mit ins Spiel zu bringen, gab mir auch nichts.
Edward, was wolltest du und was hast du erwartet, das bei dieser ganzen Sache am Ende herauskommt? Hillman loszuwerden - wie? - und mit Doris weglaufen? Wohin? Madge ab und zu mal eine Karte schreiben?
Es gab noch ein paar andere Dinge, die ich nicht verstand.
Warum tanzt du mit deinem Mantel an?
Wie hast du es ohne irgendeine Verletzung aus dem Auto geschafft? Und wie bist du heimgekommen (immer eine wichtige Frage für mich)?
Wer um Himmels Willen würde eine Hütte mit einer Tür 
bauen, die direkt eine Klippe hinunterführt? "Niemand fühlte sich auf der Terrasse wohl", also verschlossen sie einfach die Tür statt ein paar Ziegel oder was auch immer und ein Fenster einzusetzen? Die Tür, die nach außen öffnete? Wie schließt man sie überhaupt wieder? "Eines Tages werde ich dort ein großes Panoramafenster einbauen." Hätten das nicht die Jungs, die die Terrasse abgebaut haben - wie? - gleich miterledigen können? Eines Tages - nachdem man jemanden dort hinuntergeworfen hat?


Natürlich war jedem klar, daß da etwas passieren würde, aber an dem Punkt war mir eigentlich egal, wer von ihnen nun hinunterfallen würde.

Wenn ihr euch nach Kritiken umschaut, werdet ihr sehen, daß manche sagen, es handle sich um einen sehr anständigen Independent-Film Noir, oder es gibt die, die wie ich denken.
Das ist in Ordnung, nicht jeder mag das gleiche. Das mag kein Film für mich gewesen sein, obwohl er einfach anzuschauen war (dabei waren die nur 76 Minuten Laufzeit hilfreich), aber vielleicht ist er ja was für euch.

Donnerstag, 14. August 2025

Stummfilme - Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Könnt ihr glauben, daß ich bis vor zwei Wochen niemals Stevensons "Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde" gelesen hatte? Ich schätze, die Grundlagen der Geschichte waren mir so vertraut, daß ich darüber vergaß, sie auch tatsächlich zu lesen. Als ich so darüber nachdachte, fiel mir auf, daß ich auch noch nie einen Film gesehen hatte, keine der vielen verschiedenen Versionen!
Wie konnte ich es überhaupt wagen, den Dekan meinen pelzigen kleinen Dr. Jekyll und Mr. Hyde zu nennen, wenn ich nicht mal wußte, wovon genau ich da sprach?
Ich fing sofort an, den Katzen die Novelle vorzulesen - was mir während der philosophischen Dialoge beim Konzentrieren half - und setzte drei Versionen auf meine Filmliste,
 den von 1920, um den es im heutigen Post geht und die Tonfilme von 1931 und 1941, weil ich immer übertreiben muß (ich schaute dann auch noch den von 1912 an, weil er nur knapp 12 Minuten lang war).

Public Domain

Hier ist die Handlung mit Spoilern, obwohl ich denke, hier kann man gar nicht soviel spoilern.

Dr. Henry Jekyll ist Arzt in London und verbringt seine Zeit entweder in seinem Labor oder in seiner kostenlosen Praxis für die Armen.
Sir George Carew, dessen Tochter in Jekyll verliebt ist, will nicht glauben, daß ein Mensch einfach nur gut sein kann und denkt, man muß der Versuchung nachgeben, um sie loszuwerden.
Also nimmt er den Doktor und ein paar andere Freunde - Dr. Lanyon, der glaubt, daß sich Jekyll in "Übernatürliches einmischt", Utterson, der Jekylls Anwalt ist, und Uttersons Cousin Enfield - mit in einen Nachtclub, um ihn in Versuchung zu führen. Als er Jekylls Faszination für die Tänzerin Gina bemerkt, läßt er sie an den Tisch bringen, aber Jekyll erliegt der Versuchung nicht und verläßt das Lokal.


Er kann Carews Theorie jedoch nicht vergessen und beginnt mit einem Trank zu experimentieren, der die beiden Seiten voneinander trennt, gut und böse. Dieser verwandelt ihn in sein böses Gegenstück, Edward Hyde, und wieder zurück.


Er weist seinen Butler Poole an, Hyde jederzeit Zugang zum Haus und Labor zu gewähren und setzt sogar ein Testament auf, in der ihm alles hinterläßt, um den Zugriff auf sein Geld sicherzustellen, falls etwas schieflaufen sollte.
Von da an lebt er ein Doppelleben als der Philantropist Jekyll und der lasterhafte Hyde, der jeder Versuchung nachgibt, Frauen, Alkohol, Opium, und dem alle anderen egal sind. Er bringt Gina dazu, bei ihm zu leben, und als er ihrer überdrüssig ist, wirft er sie hinaus. Als er sie später in einer Opiumhöhle wiedertrifft, ausgebrannt und krank, verspottet er sie sogar noch für ihr Aussehen, bevor er sich einem neuen Opfer zuwendet.


Jekyll spürt die Gefahr, daß Hyde sein Leben übernimmt, aber er ist entschlossen, das nicht zuzulassen, auch wegen Millicent.


Er versagt. Hyde übernimmt sogar ohne den Trank mehr und mehr.
Eines Tages geht Carew zu Jekyll, um ihn zu fragen, warum er Millicent vernachlässigt. Er sieht zufällig, wie Hyde einen kleinen Jungen auf der Straße niederschlägt, als er aber von einer Menge an der Flucht gehindert wird, bietet er zur Entschädigung Geld an. Er stellt als Jekyll einen Scheck aus.
Gerade noch rechtzeitig schafft er es zurück ins Labor, um sich wieder in Jekyll zu verwandeln, bevor Carew eintrifft, um ihn wegen seiner Verbindung zu Hyde zu konfrontieren und ihm zu drohen, daß er ihn Millicent nicht heiraten lassen wird. Carew wird panisch, als Jekyll vor seinen Augen zu Hyde wird und versucht wegzurennen, aber Hyde holt ihn ein und prügelt ihn zu Tode und geht dann zurück in das Labor, um den letzten Trank zu trinken und so der Verhaftung zu entgehen.
Aus Angst, sich jederzeit in Hyde verwandeln zu können, schließt sich Jekyll im Labor ein und schickt Poole auf die Suche nach der Droge, die er für den Trank braucht, aber sie ist nirgends in der Stadt zu finden.

Auf Bitte von Poole kommen Millicent und Jekylls Freunde in sein Haus und Millicent geht zu seinem Labor, aber nicht Jekyll öffnet ihr die Tür, sondern Hyde. Er nimmt sie in die Arme, dann beginnt er sich zu krümmen, so kann sie entkommen. Als Lanyon das Labor betritt, findet er Hyde tot in einem Stuhl, er hat Selbstmord begangen. Vor seinen Augen wird Hyde wieder zu Jekyll.
Millicent, Utterson und Poole kommen in das Labor und Lanyon sagt ihnen, Hyde habe Dr. Jekyll getötet. Millicent sinkt in Trauer neben ihm nieder, während die anderen das Labor verlassen.


Als erstes möchte ich euch sagen, daß ich - und ich schätze mal, ihr auch - Jekyll die ganze Zeit falsch ausgesprochen habe.
Ich habe gelernt, daß Jekyll ein Nachname aus Cornwall/der Bretagne ist und traditionell "dschikel" ausgesprochen wird. Ich kann es nicht abwarten, diese Informaationen in einer Unterhaltung fallenzulassen, um zu beweisen, was für eine Klugschwätzerin ich bin 
😆 Oh wartet mal, ich denke, das habe ich hiermit gerade getan.

Stevensons Novelle erschien 1886.
1887 wurde sie von Thomas Russell Sullivan als Theaterstück bearbeitet, mit Richard Mansfield in der Doppelrolle. Das Stück hatte Premiere in Bosten und ging dann an den Broadway. Mansfield, der sich die Rechte für die USA und das Vereinigte Königreich gesichert hatte, erhielt gute Kritiken und wurde eingeladen, das Stück 1888 in London auf die Bühne zu bringen. Hört sich das Jahr vertraut an? Als Jack the Ripper anfing, Frauen in Whitechapel umzubringen, wurde Mansfield als einer der Verdächtigen vorgeschlagen (das wurde 1988 in dem Zweiteiler "Jack the Ripper" mit Michael Caine aufgegriffen) und die Produktion war ein finanzieller Reinfall.
Sullivan nahm mehrere Änderungen an der Novelle vor, die von manchen der Verfilmungen übernommen wurde, wie zum Beispiel die Einführung einer Verlobten, die Darstellung Hydes als scheußliche Kreatur, und die Betonung des moralischen Kontrastes zwischen Jekyll und Hyde.

Die einzigen Frauen in der Novelle sind Bedienstete, es gibt weder eine Verlobte noch eine Tänzerin. Tatsächlich wird angenommen, daß es sich hier bei Hydes Lastern eigentlich um homosexuelle Beziehungen handelt, die zu dieser Zeit kriminalisiert wurden, obwohl Sex überhaupt nicht erwähnt wird. Natürlich nicht, denn dies war ja die viktorianische Zeit.
Außerdem ist Jekyll weder jung noch ein Heiliger. In seinem letzten Brief an Utterson erklärt er, daß er Dinge getan hat - die nicht genauer spezifiziert werden - und sich ihrer schämte, also hat er ihnen dann als Hyde gefrönt und sie so von seiner eigenen Person getrennt.
Hyde ist keine scheußliche Kreatur. In der Novelle ist er jung und auch nicht häßlich, aber Menschen fühlen sich dennoch von ihm abgestoßen, ohne genau beschreiben zu können warum. Ich verstehe, daß es im Stück und in den Filmen einfacher war, den Unterschied zu zeigen, indem sie stattdessen ein Monster erschufen, und natürlich war es für das Publikum ein toller Effekt.

Bei mir hat es in diesem Film (zum Zeitpunkt, als ich das schreibe, habe ich die anderen noch nicht angeschaut) jedenfalls gut funktioniert.
John Barrymore war ein sehr gutaussehender Mann (und sie haben jede Gelegenheit genützt, sein schönes Profil vorzuführen ... hatte ich schon mal erwähnt, daß ich oberflächlich sein kann?) und sein Hyde war wirklich gruselig und abstoßend.
Es war erstaunlich, daß im frühen Stadium der Verwandlung noch nicht mal Makeup im Spiel war, das hat Barrymore einfach nur durch das Verzerren seines Gesichts und andere Bewegungen erreicht. Mit jeder Transformation wurde er mit der Hilfe von Makeup und Prothesen scheußlicher (sehr Dorian Gray), aber einen großen Teil machten immer noch die Augen und die Art, wie er sich bewegte, aus.
Gut, manchmal war es vielleicht etwas übertriebn, aber ich mochte es ... auch wenn es gruselig war. Es gab einen Moment, in dem ich tatsächlich aufschrie, weil ich so überrascht war.
Er hat den Film definitiv geprägt.

Eine weitere große Änderung war, daß Jekyll in der Novelle niemanden brauchte, der ihn dazu brachte, sein Experiment durchzuführen.
Der Film aber nahm sich Sir George (der in der Novelle einfach ein unschuldiges Mordopfer war, wir erfahren nur, daß er ein MP war) und machte aus ihm den Anstifter, der dem Heiligen Jekyll das praktisch alles aufzwang. Sagt mal, habe ich eigentlich schon Dorian Gray erwähnt ... müßt ihr hierbei auch an Lord Henry Wotton denken? Es wird nur klargestellt, daß Carew zwar ein "man of the world" ist, sich also "auskennt" (unser Ausdruck "Mann von Welt" hat meiner Meinung nach nicht dieselbe leicht negative Bedeutung), aber sehr beschützend ist, was seine Tochter betrifft (ist es nicht seltsam, wie manche Väter ihre Töchter vor Männern warnen, die sich wie sie selber benehmen oder benommen haben?).
Clara Beranger, die das Drehbuch schrieb, wollte Jekyll fast "gottgleich" erscheinen lassen, um Hyde dadurch noch schlimmer darzustellen. Daß sich Hyde am Ende in Jekyll zurückverwandelte, sollte seine Erlösung zeigen, während Stevenson ihn in alle Ewigkeit im Körper von Hyde ließ.

Die Novelle ist nicht nur Gothic Horror, sie ist auch philosophisch, was dieser Film nicht zu offen is, und das fand ich in Ordnung so, denn es hätte eine Menge Zwischentitel gebraucht, um manche von Stevensons Dialogen zu reproduzieren.

Auch wenn Barrymore diesen Film dominiert, hätte er das natürlich nicht ohne die anderen Schauspielerinnen und Schauspieler tun können. 
Die meisten der Charaktere sind ziemlich geradlinig.

Millicent darf sich hauptsächlich nach Jekyll sehnen, sie ist süß und liebevoll. Leider starb Martha Mansfield wegen eines tragischen Unfalls während eines anderen Films jung.
Utterson ist in der Novelle viel wichtiger, da sie von seinem Standpunkt aus geschrieben ist, aber er liefert eine solide Darstellung ab. Das gleiche gilt für Dr. Lanyon (der in der Novelle stirbt).
Warum sie meinten, Utterson Cousin Enfield so gruselig aussehen zu lassen, weiß ich wirklich nicht, aber er hatte keine sehr wichtige Rolle.
Gina sollte ganz offensichtlich das Hauptbeispiel dafür abgeben, wie egal Hyde andere Menschen und die Konsequenzen seines Handelns für sie waren, indem gezeigt wurde, wie sie war, bevor und nachdem sie ihn kennengelernt hatte. Ich finde, es zeigt die völlige Trennung von Hyde und Jekyll, daß Jekyll nicht mal darüber nachgedacht hat, sich mit manchen dieser Konsequenzen auseinanderzusetzen statt sich nur um sich selber zu sorgen. Sehr heilig.
Es ist allerdings ein Rätsel, warum Gina sich überhaupt jemals auf Hyde eingelassen hat. Ich kann nur auf Geld tippen, eine Menge Geld. Nita Naldi kam übrigens von den Ziegfeld Follies, was ich schwer glauben konnte, nachdem ich ihren Tanz gesehen hatte.

Brandon Hurst als Carew war der einzige, der die Gelegenheit bekam, seinem Charakter mehr als eine Dimension zu geben, der Verführer, der Jekyll mit diesem verschlagenen Blick anstiftete, und der liebende Vater.

Trotz der Änderungen an der Originalhandlung mochte ich den Film wirklich gern. Natürlich habe ich die Tonfilme noch nicht gesehen, aber ich finde, daß dies als Stummfilm großartig funktionierte, weil die Motivation und der Horror, der daraus resultierte mehr durch Blicke und Körpersprache vermittelt wurde als durch Zwischentitel.
Ich bin mir sicher, daß es nicht das letzte Mal war, daß ich diesen Film angeschaut habe (nicht nur wegen Barrymores Profil, ehrlich!).


Ausgewählte Quellen:

1. Fritzi Kramer: Dr. Jekyll and Mr. Hyde (1920) - A silent film review. Auf: Movies Silently, 18. Mai 2013 (englisch)
2. "Mr. Bones": Reviewing the Classics: Dr. Jekyll and Mr. Hyde. Auf: Morbidly Beautiful, 14. November 2018 (englisch)
3. Dr. Jekyll und Mr. Hyde auf Wikipedia - der Film, die Novelle (Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde), das Theaterstück (der letzte Eintrag ist englisch)

Es tut mir leid, daß meine Quellen meist nur englischsprachig sind, aber mein englischer Blog wird einfach mehr frequentiert und der Zeitaufwand für die Recherche ist oft so groß, daß ich nicht auch noch die Zeit finde, adäquate deutsche Quellen zu suchen. Sollte euch ein Artikel interessieren, gibt es Übersetzungsprogramme, die zumindest einen Eindruck vermitteln können.

Dienstag, 12. August 2025

Aus meinem Kinderbuchschrank - Der kleine Nick

"Der kleine Nick" war sowas von beliebt hier in Deutschland, als ich ein Kind war, und das ist er auch noch bei vielen Leuten, nicht wenige davon sind die, die wie ich mit ihm aufgewachsen sind.


Nick fing als Comicstrip an, aber wirklich populär wurde er, als er in einer Kurzgeschichte auftauchte, die von René Goscinny (dessen "Asterix"-Texte für unzählige Kinder der erste Lateinunterricht waren) geschrieben, von Jean-Jacques Sempé (auch für seine Cover für "The New Yorker" bekannt) illustriert und 1959 im Sonntagsmagazin der Zeitung "Sud Ouest" veröffentlicht wurde.
Dank der plötzlichen Beliebtheit erschienen die Comics bis 1965 in der "Sud Ouest" und später auch im "Pilote2.

Das erste Buch war nicht erfolgreich, bis Goscinny und Sempé in eine Literatursendung im Fernsehen eingeladen wurden, danach veröffentlichten sie zwischen 1960 und 1965 fünf Bücher.

Heute ist "Der kleine Nick" ein französischer Klassiker und das nicht nur in Frankreich.
Nicks Welt ist nicht die Welt von heute. Es war nicht mal die Welt aus der Zeit, in der die Bücher geschrieben wurden. Es gibt keine Politik, es gibt keinen Krieg, es gibt keine großen Probleme.
Es gibt Nick und seine kleine Welt, seine Eltern, seine Freunde, Schule, und davon erzählt er uns von seinem Standpunkt aus und in der Art, wie ein Kind oft eine Geschichte erzählt, naiv, geradeheraus, in Bandwurmsätzen, die manchmal etwas atemlos wirken (in der deutschen Übersetzung wird davor gewarnt, den Stil in der Schule zu verwenden, weil er Lehrer nicht glücklich macht
 😉 ich fürchte aber, das ist manchmal der Stil, den ihr auf meinem Blog seht, jetzt wißt ihr warum).


Im französischen Original ist vieles "chouette", im Deutschen als "prima" übersetzt, was heute wahrscheinlich nicht mehr viele junge Leute verwenden und was sehr Slang dieser Zeit war. Witzig ist, wie schnell sich etwas von "prima" in etwas ändern kann, was ihn zum Heulen bringt, dann geht es aber direkt wieder zu "prima" zurück, wenn sich das auflöst.
Sein Gedankengang kann von einem zerbrochenen Ladenfenster zu dem netten Ladenbesitzer gehen und wie seine Mutter dort einkauft und zum Beispiel Marmelade besorgt, Erdbeere ist am besten, weil sie keine Steine hat und prima ist. Ganz ehrlich, das könnte ich sein.
Nick und seine Freunde leben absolut im Moment (außer wenn sie planen wegzulaufen, siehe weiter unten).

Sowohl Goscinny und Sempé hatten keine einfache und glückliche Kindheit, aus unterschiedlichen Gründen, und sie machten Nicks Kindheit zu einer, die sie nicht haben konnten.
Das heißt nicht, daß es überhaupt keine Konflikte gibt. Nick und seine Freunde kriegen oft Krach und auch die Erwachsenen streiten sich immer wieder, in der Familie oder mit den Nachbarn, aber wie Sempé gesagt hat, war es eine Traumkindheit für ihn - Prügel, die nicht wehtaten und Streit, der nicht in Trennung endete.

Sowieso ist Nicks Welt hauptsächlich die von Jungs. Es gibt zwar Mädchen, aber sie treten selten auf, und Nick ist sich über die meisten von ihnen erstmal unsicher, aber besonders eine Geschichte zeigt, daß Mädchen gar nicht mal immer so anders sind, und er ändert seine Meinung.



Außerdem gibt es natürlich keine modernen Erfindungen und Spielzeuge. Es gibt keine Computer, keine Smartphones, aber eine Menge wilder Vorstellungskraft.

Ist es dann einfach nur eine nostalgische Freude, diese Bücher zu lesen, für Erwachsene, die ihre eigene Kindheit idealisieren und vermissen? Nein.
An diesen Büchern ist mehr dran ... es gibt ja noch die Eltern, die Lehrer, die Nachbarn, die Lagerchefs, die Ladenbesitzer und so weiter.
Dies sind die Teile, die Erwachsenen vielleicht viel mehr Spaß machen als Kindern, weil es die natürliche Anarchie von Kindern zeigt, die die Erwachsenen zur Verzweiflung treiben kann - der Fotograf, der vergeblich versucht, die Klasse unter Kontrolle zu bekommen, damit er ein gutes Bild machen kann, der "Chef" im Sommerlager, der den Bettel schon nach einem Tag hinschmeißen will, die Eltern, die mehrere Male frühmorgens geweckt werden, weil Nick eine neue Uhr bekommen hat und sie für einen guten Zweck benutzen will (dafür zu sorgen, daß sein Vater nicht zu spät zur Arbeit kommt), der Verkäufer in einem Laden voller zerbrechlicher Stücke, der von den Jungs überrannt wird, weil sie ein Geschenk für ihre Lehrerin kaufen möchten.
Natürlich liegt der Humor hier in der Übertreibung, aber wir erkennen oder erinnern uns vielleicht doch an den einen oder anderen Vorfall, der eine ähnliche Geschichte inspirieren können hätte.


Was mir mit am besten gefällt, ist das Fußballspiel, das damit beginnt, daß die Jungs spielen, aber dann "unterstützen" die Väter sie, bis sie komplett übernommen haben und nicht mal bemerken, daß ihre Söhne sich inzwischen schon zum Haus eines Freundes verdrückt haben, um dort Fernsehen zu schauen (was zu der Zeit ja noch nicht alle hatten).


Das Zeitlose an diesen Geschichten ist die Freundschaft und Liebe. Egal wie oft einer der Jungs damit droht wegzulaufen, weil etwas nicht nach ihrem Willen geht, und nicht mehr heimzukommen, bevor sie eine Menge Geld, ein Auto und ein Flugzeug haben, am Ende könnten sie nicht glücklicher darüber sein, wieder daheim zu sein und einen guten Nachtisch zu bekommen. Nachtisch wird sehr oft erwähnt.

Idealisiert? Sicher. Witzig? Auf jeden Fall. Eine Flucht? Ja. Aber brauchen wir nicht alle immer wieder mal so eine kleine Flucht, damit wir dann die Realität aushalten können? Ein Kichern, ein Lachen, ein wenig Erleichterung?

P.S. 2004 fand Goscinnys Tochter Anne übrigens unveröffentlichte Geschichten von Nick auf dem Dachboden, deren sich nicht mal Sempé bewußt gewesen war. Ihr Vater war 1977 recht jung gestorben, aber Sempé war noch da und er machte Zeichnungen dafür.
In Deutschland machte sich der Übersetzer, der auch an den Originalbüchern gearbeitet hatte, nochmal an die Arbeit, obwohl er schon über 80 war. Ich weiß nicht, daß nicht jeder mit seinen Übersetzungen glücklich ist, aber mein Schulfranzösisch ist nicht mehr gut genug, um selber ein Urteil darüber abzugeben.
Möglicherweise mögen sie die "Domestication" nicht (lest mehr darüber in meinem Post hier), in diesem Fall wurden die französischen Namen von Personen und Städten durch deutsche ersetzt. Ich finde, das war hier in Ordnung so, weil die ursprünglichen Namen sogar für Frankreich etwas ungewöhnlich waren. Außer in der allerersten wurden die Namen übrigens auch in der englischen Übersetzung ersetzt.

Meine persönlichen Exemplare der Bücher sind ganz besonders für mich, weil sie auch noch ihre eigene Geschichte haben, davon erzähle ich euch aber in einem anderen Post.



Quellen:

1. "Le petit Nicolas" Original-Webseite (auf Französisch)
2. Jürgen Ritte im Gespräch mit Frank Meyer: Der große kleine Nick. Auf: Deutschlandfunk Kultur, 30. März 2009
3. Bettina Kugler: Grosser kleiner Nick. In: Tagblatt, 20. April 2009
4. Volker Weidermann: Fünfzig Jahre "kleiner Nick": Freund fürs Leben. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. März 2009
5. Torsten Landsberg: Zuflucht in der Kunst - Sempé zum 85. Auf: DW. Kultur, 17. August 2018
6. Interview mit Anne Goscinny. Auf: Weltexpresso - Online-Magazin für Zeitgeschehen, Film, Kunst, Literatur und Musik, 2. Dezember 2022

Sonntag, 10. August 2025

10 am 10. - Würdest du lieber ...

Für diese 10 am 10. hat uns "Marsha in the Middle" wieder eine Liste von "Würdest du lieber ..."-Fragen gegeben. Schauen wir mal, ob ich alle beantworten kann - alle 11 davon!! 😉


1. Würdest du lieber frittierte Twinkies oder Butter essen?

Sorry, keine Ahnung. Ich habe mein Lebtag noch kein Twinkie gegessen und habe während meiner USA-Reisen nie überhaupt daran gedacht, darum kann ich das einfach nicht beantworten.

Bild über pxhere


2. Würdest du einen Hot Dog lieber gekocht oder ungekocht essen?

Gar nicht, ich bin seit mehr als 35 Jahren Vegetarierin. Ich glaube, ich hatte nicht mal davor je einen ungekochten Hot Dog.
Ich hatte Saiten oder Rote ungekocht und ich mochte sie lieber als gekocht, aber ich würde einen Hot Dog nicht damit vergleichen.

3. Würdest du lieber nach Gold oder Edelsteinen graben?

Keins von beidem, weil das harte Arbeit ist.
Ich würde allerdings die Edelsteine dem Gold vorziehen 
😉

Quarz und Amethyst in meinen aus Draht
gehäkelten Sternen für eine Kette

4. Würdest du deine Füße lieber in den Sand oder in den Schnee pflanzen?

Das ist einfach. Ich schaue Schnee gern von drinnen mit einem schönen Getränk in den Händen an, aber ich will nicht im Schnee sein. Also Sand.

Bild über pxhere

5. Würdest du lieber ein Buch lesen, in dem keine Kapitel gekennzeichnet sind, oder ein Buch, das gar keine Kapitel hat?

Ich schätze mal, das erste.

6. Würdest du lieber Flip Flops mit Strumpfhosen tragen oder Pumps mit Sportsocken?

Ich hasse Flip Flops zutiefst. Ich hasse den Look und ich hasse das Geräusch sogar noch mehr.
Meine Pumpszeiten sind schon lang vorbei, ich würde wahrscheinlich keinen einzigen Schritt mehr darin machen können, aber wenn man mich dazu zwingt, nehme ich sie mit den Socken. Ich hatte erst vor ein paar Tagen einen Traum über Sportsocken, obwohl ich keine Ahnung habe, warum ein Imbißwagen sie austeilen würde und warum wir ein kostenloses Extrapaar bekamen. Sie waren gelb und rot, es wäre ziemlich schwierig, Pumps zu finden, die dazu passen.

Der "British Vogue" zufolge trägt im Moment übrigens jede in London Socken mit Pumps. Zumindest noch im Februar.

7. Würdest du lieber die Zwillinge Polly und Esther oder ihre böse Kusine Latex zu einem vornehmen Abend deiner Wahl tragen?

Polly und Esther. Niemand möchte mich in Latex sehen. Ich weiß, daß ich es nicht will.

8. Würdest du lieber mit deinem "Bestie" einen richtig schlechten Film anschauen oder einen richtig guten Film allein?

Ich würde beides tun. Einen schlechten Film mit einer Freundin oder einem Freund anzuschauen kann absolut zum Brüllen sein, aber gewöhnlich schaue ich Filme allein an.

9. Würdest du lieber innerhalb der Linien malen oder drüber hinaus?

Das kommt auf meine Stimmung an. Es kann eine Konzentrationsübung sein, innerhalb der Linien zu malen, es kann aber auch unglaublich befreiend sein, drüber raus zu malen.
Ich denke, das stimmt so für alle möglichen kreativen Unternehmungen.

Bild über pxhere

10. Würdest du lieber warmes Root Beer trinken oder kalte "heiße" Schokolade?

Root Beer macht mich krank (es ist nicht das gleiche wie Malzbier, das ich ab und zu mal ganz gern trinke, aber bitte kalt), ich kann nicht mal den Geruch ertragen, aber in Schokolade könnte ich baden, also ist die Wahl einfach. Ich ziehe sowieso kalte Getränke heißen vor.

Bild über pxhere

11. Hättest du lieber Tacochips oder Selleriefäden in den Zähnen feststecken?

Nun, Sellerie ist noch so etwas, was ich nicht mag, also nehme ich die Tacochips.

Wenn ihr auch sonst nichts gelernt habe, so wißt ihr nun auf jeden Fall eine Menge über alle möglichen Dinge, die ich nicht mag oder hasse! 
😂

Freitag, 8. August 2025

Das Bildnis des Dorian Gray

Ich weiß, es ist eine Schande, aber obwohl ich den Inhalt grundsätzlich kannte, hatte ich "Das Bildnis des Dorian Gray" nie tatsächlich gelesen und ich hatte auch nie eine Verfilmung davon gesehen.
Also begrüßte ich, daß der
 Film von 1945 Teil von Lisas Summer of Angela auf Boondock Ramblings ist. Vielleicht werde ich sogar versuchen, das Buch zu lesen - Oscar Wildes einzigen Roman (Update: ich hab's getan).
Ihr könnt Lisas Post (english) hier finden.


Die Handlung ((teilweiser) Spoileralarm für manche, aber wahrscheinlich nicht jeden).

Lord Henry Wotton besucht seinen Freund Basil Hallward, einen Maler. Dort lernt er den jungen, gutaussehenden Aristokraten Dorian Gray kennen, der für Hallward Modell steht. Er überzeugt ihn, daß nur die Jugend es wert ist, sie zu haben, und Dorian wünscht sich vor einer antiken Katzenstatue, daß sein Porträt an seiner Statt altern soll.
Von Wottons Worten dazu inspiriert, seine Jugend zu genießen, wendet sich Dorian der Halbwelt zu, wo er die Kneipensängerin Sibyl kennenlernt, in die er sich verliebt und die er sogar heiraten will, obwohl ihr Bruder James, ein Seemann, gar nicht glücklich darüber ist.
Wotton empfiehlt ihm, sie auf die Probe zu stellen, als sie nicht zu Dorians Zufriedenheit reagiert, löst er die Verlobung.
Am nächsten Tag bereut er es zwar, aber es ist zu spät, Sibyl hat sich das Leben genommen. Hallward ist von Dorians Gefühllosigkeit schockiert, als er ihm die Nachricht überbringt.
Danach fällt Dorian das erste Mal auf, daß sich das Porträt verändert hat und er versteckt es vor anderen.

Jahrelang führt Dorian ein Leben voller Eitelkeit, Vergnügungen und Sünde, aber er verändert sich niemals, weswegen ihn die Menschen verdächtigen und meiden. Das Bildnis jedoch zeigt inzwischen eine gräßliche Kreatur.
Eines Tages zeigt er Hallward das Bild, bringt ihn dann aber um, um das Geheimnis zu wahren, und erpreßt seinen Freund Campbell, damit er die Leiche für ihn beseitigt. Campbell kann die Schuld nicht ertragen und begeht Selbstmord.
Dann bittet Dorian Hallwards Nichte Gladys um ihre Hand.
Sibyls Bruder kommt nach vielen Jahren heim, in denen er versucht hat, den Mann zu finden, der die Schuld an dem Tod seiner Schwester trägt. Als er ihm auf sein Landgut folgt, wird er während einer Jagd versehentlich erschossen.

Dorian wird klar, daß er Gladys nur vor einem ähnlichen Unglück bewahren kann, wenn er sie verläßt. Er löst die Verlobung mit einem Brief und als er daraufhin ein winzige Veränderung zum Guten in dem Bild erkennt, hofft er, den Zauber zu überwinden, indem er auf es einsticht.
Als die Klinge aber das Porträt trifft, stößt er einen schrecklichen Schrei aus und fällt zu Boden. Seine Freunde finden ihn tot vor dem Bild, in die gräßliche Kreatur verwandelt, während das Gemälde nun wieder den jungen schönen Dorian zeigt.

Gemälde von Medina,
jetzt wohl in einer Privatsammlung

Ich möchte zunächst sagen, daß ich nicht weiß, was genau ich von Dorians Aussehen erwartet hatte (ich wußte zum Beispiel nicht, daß er im Buch als blond mit blauen Augen und sehr emotional beschrieben wurde). Vielleicht dachte ich an jemand klassisch Schönen (was immer das bedeutet), jemand Engelhafteren, der Unschuld ausstrahlt, jemand "Leuchtenden", was auch immer, aber eben nicht Hurd Hatfield. Es störte mich den ganzen Film über so ein klein wenig.
Ich fragte mich auch, wie ich mir Dorian wohl vorgestellt hätte, wenn ich zuerst das Buch gelesen hätte.

Dorian zeigte den ganzen Film über nicht viel Emotion, das war das, was Albert Lewin wollte. Es kann für Hatfield nicht einfach gewesen sein, das aufrechtzuerhalten, aber Lewin wollte, daß sein Gesicht wie eine Maske war. Er machte Großaufnahmen sogar morgens, damit Hatfield nicht müde aussah (ihr solltet mich morgens sehen, das würde definitiv nicht hinhauen) und hörte um 4 Uhr mittags auf, mit ihm zu drehen.
Also muß die Verwandlung von Dorian von einem unschuldigen jungen Mann in einen Mann mit einer verrotteten Seele einzig durch seine Sünden - von denen wir aber nur ein paar zu sehen bekommen, also können wir unserer Fantasie da freien Lauf lassen - und seine Augen zu erkennen sein, und ich finde, Hatfield hat das echt gut gemacht, was mir auch dabei half, sein Aussehen mehr hinzunehmen, tatsächich bevor ich wußte, daß das Levins Absicht gewesen war.

George Sanders gab einen tollen Henry ab. Er ist elegant, geistreich und absolut unsympathisch. Trotzdem ist nicht schwer zu verstehen, wie es so jemand fertigbringen würde, einen jungen Mann wie Dorian zu verderben, obwohl sogar Henry davon überrascht zu sein scheint, wie schnell und tief Dorians Verwandlung voranschreitet.
Ich verstehe nicht so gut, warum Basil mit ihm befreundet ist, aber ich habe es schon früher in Büchern gesehen, daß ein Bösewicht einen guten Freund hat, gut in jeder Hinsicht, wahrscheinlich aus Hoffnungs, daß der Bösewicht sich irgendwann bessert.
Was mich an Basil geärgert hat ist, daß er nicht wirklich versucht zu haben scheint, Henrys schlechtem Einfluß irgendetwas entgegenzusetzen, außer daß er Dorian gesagt hat, er solle nicht auf ihn hören. Von jemandem, der offensichtlich in Dorian verliebt war, im Hinblick auf sich selber oder seine Kunst, hätte ich ein bißchen mehr Einsatz erwartet. Das hätte vielleicht sein Leben gerettet, aber natürlich hätten wir dann auch ein ganz anderes Buch und einen ganz anderen Film ...
Wenn wir schon beim Verliebtsein sind, Gladys hat mich auch überhaupt nicht überzeugt. In was für einer Traumwelt lebte sie denn bitte?
Tatsächlich stellt sich die Frage, in was für einer Traumwelt sie alle lebten, auf Dorians unendliche Jugend bezogen? Wie kann es sein, daß sich niemand eine Mistgabel und eine Fackel schnappt und versuchte, ihn sich zu holen?

Ich liebte Angela Lansburys Darstellung, für die sie eine Oscar-Nomination und einen Golden Globe bekam.
Im Buch ist Sibyl Schauspielerin, nicht Sängerin, die Änderung funktonierte aber natürlich großartig für Lansbury.



Wenn sich ein junger Mann in eine Schauspielerin oder Sängerin aus der Halbwelt verliebt, werden diese oft als Frauen dargestellt, die durch ihre Erfahrungen hart geworden sind, sich ihre Chancen bei einem reichen Mann ausrechnen, Goldgräberinnen, Blutsaugerinnen.
Sibyl ist gar nicht so, obwohl sie so eine Frau zur Mutter hat.  Man merkt es, als sie ihrer Mutter das Geld wegnimmt und es Dorian zurückgibt.
Sie ist unschuldig, hat Vertrauen, ist romantisch und süß. Sie liebt ihn so sehr, daß sie seiner Forderung, über Nacht zu bleiben, nachgibt, nur um ihn nicht zu verlieren (das hört sich auch heute noch viel zu vertraut an).


All das macht Dorians Verhalten ihr gegenüber sogar noch grausamer, es ist sein erster Schritt in den Abgrund. Um noch eins obendrauf zu setzen, bereut er es am nächsten Tag, zeigt sich dann aber recht schnell gleichgültig, als er von ihrem Selbstmord hört, ein sicheres Zeichen, daß er seinen Weg jetzt gewählt hat.

Der Film ist wunderschön in Schwarzweiß gedreht, was ihm einen Oscar für "Beste Kamera - Schwarzweiß" (Harry Stradling) einbrachte, nur das Porträt wird vier Mal in Technicolor gezeigt, sowohl in seinem schönen als auch im häßlichen Zustand, was seine Wichtigkeit noch betont.

Gemälde von
Ivan Le Lorraine Albright,
jetzt im Art Institute of Chicago

Die Sets sind sehr viktoranisch und es gibt einen guten Kontrast zwichen den beiden unterschiedlichen Welten, aber wie in einem Blog völlig zu Recht herausgestellt wurde, schreien die Kostüme der Männer nicht grad "viktorianisch".
Levin scheint so darauf erpicht gewesen zu sein, die Stimmung richtig hinzubekommen und sogar teilweise den Text des Romans zu übernehmen, daß ich nicht verstehe, warum er das so gut fand.

Mir gefiel der Film sehr gut, obwohl die einzigen Personen, die ich tatsächlich mochte, die arme Sibyl und ihr Bruder James waren (obwohl er seiner Mutter nicht vertraut haben sollte, daß sie gut auf sie aufpaßt, aber ich bezweifle, daß er viel hätte machen können, nachdem er schon kurz nachdem er davon erfahren hat, nach Australien unterwegs war).Er gefiel mir sogar so gut, daß ich direkt auf YouTube nach einer weiteren Version zum Vergleich Ausschau hielt, und ich habe auch eine angesehen.

Es handelt sich dabei um ein
 Fernsehspiel von 1976 (jemand hat sich darüber beschwert, daß man einen Roman eines Dramatikers im Fernsehen zu einem Stück macht) mit Peter Firth als Dorian, Jeremy Brett als Basil und John Gielgud als Lord Henry.
Es ist eine Episode der BBC-Serie
 "Play of the Month".

Ich kenne Peter Firth schon eine ganze Weile, aber so jung hatte ich ihn noch nie gesehen. Abgesehen davon, daß seine blonden Locken ein bißchen zu üppig für meinen Geschmack waren, paßte er auf jeden Fall besser zu meinem Bild von Dorian, aber - ob beabsichtigt oder nicht -  er war mir dann doch ab und zu etwas zu affektiert.
Die Szene, in der Sibyl - in diesem Fall eine sehr junge Schauspielerin - verließ - war echt gut. Sie war völlig am Boden und ihn hat das überhaupt nicht gejuckt, er war so gemein zu ihr.
Oh, und die Szene, in der er seinen Freund Campbell bat, sich um Basils Leiche zu kümmern, war viel emotionaler.
Er gefiel mir wirklich gut, aber zu meiner großen Überraschung gefiel mir Hatfield sogar noch besser. Soviel zum Thema Aussehen, was?
Ich zog George Sanders definitiv John Gielgud vor, was wahrscheinlich mehr mit dem Alter als mit seinem Schauspiel zu tun hatte. Irgendwie sah ich Dorian und Henry altersmäßig nicht so weit auseinander.
Nicht überrascht war ich, daß ich Jeremy Brett mochte, obwohl die Sterbeszene übertrieben war.


Offensichtlich waren die Sets auf ein paar Innenräume beschränkt, ein Fernsehspiel ist eben kein Kinofilm, aber ich mochte es trotzdem sehr gern, auch, daß ein Erzähler manche der Szenen einleitete.

Ich glaube nicht, daß ich so bald noch eine weitere Version anschauen wird, es gab schon eine, die ich nicht fertigschauen konnte, weil sie mir gar nicht zusagte.
Also wurde der nächste Stop stattdessen dann der Roman.



Quellen:

1. Jay Jacobson: 151. The Picture of Dorian Gray, 1945. An unforgettable and thought provoking supernatural thriller. Auf: Jay's Classic Movie Blog, 30. April 2024
2. Trystan L. Bass: TBT: The Picture of Dorian Gray (1945). Auf: Frock Flicks, 5. Oktober 2017
3. The Picture of Dorian Gray (1945) - A Timeless Reflection of Vanity and Corruption. Auf: Surgeons of Horror, 2. März 2025
4. "hurdhatfieldluv": Hurt Hatfield in "The Picture of Dorian Gray" (1945) ... Is he really a good actor?. Auf Tumblr

Es tut mir leid, daß meine Quellen meist nur englischsprachig sind, aber mein englischer Blog wird einfach mehr frequentiert und der Zeitaufwand für die Recherche ist oft so groß, daß ich nicht auch noch die Zeit finde, adäquate deutsche Quellen zu suchen. Sollte euch ein Artikel interessieren, gibt es Übersetzungsprogramme, die zumindest einen Eindruck vermitteln können.