Könnt ihr glauben, daß ich bis vor zwei Wochen niemals Stevensons "Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde" gelesen hatte? Ich schätze, die Grundlagen der Geschichte waren mir so vertraut, daß ich darüber vergaß, sie auch tatsächlich zu lesen. Als ich so darüber nachdachte, fiel mir auf, daß ich auch noch nie einen Film gesehen hatte, keine der vielen verschiedenen Versionen!
Wie konnte ich es überhaupt wagen, den Dekan meinen pelzigen kleinen Dr. Jekyll und Mr. Hyde zu nennen, wenn ich nicht mal wußte, wovon genau ich da sprach?
Ich fing sofort an, den Katzen die Novelle vorzulesen - was mir während der philosophischen Dialoge beim Konzentrieren half - und setzte drei Versionen auf meine Filmliste, den von 1920, um den es im heutigen Post geht und die Tonfilme von 1931 und 1941, weil ich immer übertreiben muß (ich schaute dann auch noch den von 1912 an, weil er nur knapp 12 Minuten lang war).
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Hier ist die Handlung mit Spoilern, obwohl ich denke, hier kann man gar nicht soviel spoilern.
Dr. Henry Jekyll ist Arzt in London und verbringt seine Zeit entweder in seinem Labor oder in seiner kostenlosen Praxis für die Armen.
Sir George Carew, dessen Tochter in Jekyll verliebt ist, will nicht glauben, daß ein Mensch einfach nur gut sein kann und denkt, man muß der Versuchung nachgeben, um sie loszuwerden.
Also nimmt er den Doktor und ein paar andere Freunde - Dr. Lanyon, der glaubt, daß sich Jekyll in "Übernatürliches einmischt", Utterson, der Jekylls Anwalt ist, und Uttersons Cousin Enfield - mit in einen Nachtclub, um ihn in Versuchung zu führen. Als er Jekylls Faszination für die Tänzerin Gina bemerkt, läßt er sie an den Tisch bringen, aber Jekyll erliegt der Versuchung nicht und verläßt das Lokal.
Er kann Carews Theorie jedoch nicht vergessen und beginnt mit einem Trank zu experimentieren, der die beiden Seiten voneinander trennt, gut und böse. Dieser verwandelt ihn in sein böses Gegenstück, Edward Hyde, und wieder zurück.
Er weist seinen Butler Poole an, Hyde jederzeit Zugang zum Haus und Labor zu gewähren und setzt sogar ein Testament auf, in der ihm alles hinterläßt, um den Zugriff auf sein Geld sicherzustellen, falls etwas schieflaufen sollte.
Von da an lebt er ein Doppelleben als der Philantropist Jekyll und der lasterhafte Hyde, der jeder Versuchung nachgibt, Frauen, Alkohol, Opium, und dem alle anderen egal sind. Er bringt Gina dazu, bei ihm zu leben, und als er ihrer überdrüssig ist, wirft er sie hinaus. Als er sie später in einer Opiumhöhle wiedertrifft, ausgebrannt und krank, verspottet er sie sogar noch für ihr Aussehen, bevor er sich einem neuen Opfer zuwendet.
Jekyll spürt die Gefahr, daß Hyde sein Leben übernimmt, aber er ist entschlossen, das nicht zuzulassen, auch wegen Millicent.
Er versagt. Hyde übernimmt sogar ohne den Trank mehr und mehr.
Eines Tages geht Carew zu Jekyll, um ihn zu fragen, warum er Millicent vernachlässigt. Er sieht zufällig, wie Hyde einen kleinen Jungen auf der Straße niederschlägt, als er aber von einer Menge an der Flucht gehindert wird, bietet er zur Entschädigung Geld an. Er stellt als Jekyll einen Scheck aus.
Gerade noch rechtzeitig schafft er es zurück ins Labor, um sich wieder in Jekyll zu verwandeln, bevor Carew eintrifft, um ihn wegen seiner Verbindung zu Hyde zu konfrontieren und ihm zu drohen, daß er ihn Millicent nicht heiraten lassen wird. Carew wird panisch, als Jekyll vor seinen Augen zu Hyde wird und versucht wegzurennen, aber Hyde holt ihn ein und prügelt ihn zu Tode und geht dann zurück in das Labor, um den letzten Trank zu trinken und so der Verhaftung zu entgehen.
Aus Angst, sich jederzeit in Hyde verwandeln zu können, schließt sich Jekyll im Labor ein und schickt Poole auf die Suche nach der Droge, die er für den Trank braucht, aber sie ist nirgends in der Stadt zu finden.
Auf Bitte von Poole kommen Millicent und Jekylls Freunde in sein Haus und Millicent geht zu seinem Labor, aber nicht Jekyll öffnet ihr die Tür, sondern Hyde. Er nimmt sie in die Arme, dann beginnt er sich zu krümmen, so kann sie entkommen. Als Lanyon das Labor betritt, findet er Hyde tot in einem Stuhl, er hat Selbstmord begangen. Vor seinen Augen wird Hyde wieder zu Jekyll.
Millicent, Utterson und Poole kommen in das Labor und Lanyon sagt ihnen, Hyde habe Dr. Jekyll getötet. Millicent sinkt in Trauer neben ihm nieder, während die anderen das Labor verlassen.
Als erstes möchte ich euch sagen, daß ich - und ich schätze mal, ihr auch - Jekyll die ganze Zeit falsch ausgesprochen habe.
Ich habe gelernt, daß Jekyll ein Nachname aus Cornwall/der Bretagne ist und traditionell "dschikel" ausgesprochen wird. Ich kann es nicht abwarten, diese Informaationen in einer Unterhaltung fallenzulassen, um zu beweisen, was für eine Klugschwätzerin ich bin 😆 Oh wartet mal, ich denke, das habe ich hiermit gerade getan.
Stevensons Novelle erschien 1886.
1887 wurde sie von Thomas Russell Sullivan als Theaterstück bearbeitet, mit Richard Mansfield in der Doppelrolle. Das Stück hatte Premiere in Bosten und ging dann an den Broadway. Mansfield, der sich die Rechte für die USA und das Vereinigte Königreich gesichert hatte, erhielt gute Kritiken und wurde eingeladen, das Stück 1888 in London auf die Bühne zu bringen. Hört sich das Jahr vertraut an? Als Jack the Ripper anfing, Frauen in Whitechapel umzubringen, wurde Mansfield als einer der Verdächtigen vorgeschlagen (das wurde 1988 in dem Zweiteiler "Jack the Ripper" mit Michael Caine aufgegriffen) und die Produktion war ein finanzieller Reinfall.
Sullivan nahm mehrere Änderungen an der Novelle vor, die von manchen der Verfilmungen übernommen wurde, wie zum Beispiel die Einführung einer Verlobten, die Darstellung Hydes als scheußliche Kreatur, und die Betonung des moralischen Kontrastes zwischen Jekyll und Hyde.
Die einzigen Frauen in der Novelle sind Bedienstete, es gibt weder eine Verlobte noch eine Tänzerin. Tatsächlich wird angenommen, daß es sich hier bei Hydes Lastern eigentlich um homosexuelle Beziehungen handelt, die zu dieser Zeit kriminalisiert wurden, obwohl Sex überhaupt nicht erwähnt wird. Natürlich nicht, denn dies war ja die viktorianische Zeit.
Außerdem ist Jekyll weder jung noch ein Heiliger. In seinem letzten Brief an Utterson erklärt er, daß er Dinge getan hat - die nicht genauer spezifiziert werden - und sich ihrer schämte, also hat er ihnen dann als Hyde gefrönt und sie so von seiner eigenen Person getrennt.
Hyde ist keine scheußliche Kreatur. In der Novelle ist er jung und auch nicht häßlich, aber Menschen fühlen sich dennoch von ihm abgestoßen, ohne genau beschreiben zu können warum. Ich verstehe, daß es im Stück und in den Filmen einfacher war, den Unterschied zu zeigen, indem sie stattdessen ein Monster erschufen, und natürlich war es für das Publikum ein toller Effekt.
Bei mir hat es in diesem Film (zum Zeitpunkt, als ich das schreibe, habe ich die anderen noch nicht angeschaut) jedenfalls gut funktioniert.
John Barrymore war ein sehr gutaussehender Mann (und sie haben jede Gelegenheit genützt, sein schönes Profil vorzuführen ... hatte ich schon mal erwähnt, daß ich oberflächlich sein kann?) und sein Hyde war wirklich gruselig und abstoßend.
Es war erstaunlich, daß im frühen Stadium der Verwandlung noch nicht mal Makeup im Spiel war, das hat Barrymore einfach nur durch das Verzerren seines Gesichts und andere Bewegungen erreicht. Mit jeder Transformation wurde er mit der Hilfe von Makeup und Prothesen scheußlicher (sehr Dorian Gray), aber einen großen Teil machten immer noch die Augen und die Art, wie er sich bewegte, aus.
Gut, manchmal war es vielleicht etwas übertriebn, aber ich mochte es ... auch wenn es gruselig war. Es gab einen Moment, in dem ich tatsächlich aufschrie, weil ich so überrascht war.
Er hat den Film definitiv geprägt.
Eine weitere große Änderung war, daß Jekyll in der Novelle niemanden brauchte, der ihn dazu brachte, sein Experiment durchzuführen.
Der Film aber nahm sich Sir George (der in der Novelle einfach ein unschuldiges Mordopfer war, wir erfahren nur, daß er ein MP war) und machte aus ihm den Anstifter, der dem Heiligen Jekyll das praktisch alles aufzwang. Sagt mal, habe ich eigentlich schon Dorian Gray erwähnt ... müßt ihr hierbei auch an Lord Henry Wotton denken? Es wird nur klargestellt, daß Carew zwar ein "man of the world" ist, sich also "auskennt" (unser Ausdruck "Mann von Welt" hat meiner Meinung nach nicht dieselbe leicht negative Bedeutung), aber sehr beschützend ist, was seine Tochter betrifft (ist es nicht seltsam, wie manche Väter ihre Töchter vor Männern warnen, die sich wie sie selber benehmen oder benommen haben?).
Clara Beranger, die das Drehbuch schrieb, wollte Jekyll fast "gottgleich" erscheinen lassen, um Hyde dadurch noch schlimmer darzustellen. Daß sich Hyde am Ende in Jekyll zurückverwandelte, sollte seine Erlösung zeigen, während Stevenson ihn in alle Ewigkeit im Körper von Hyde ließ.
Die Novelle ist nicht nur Gothic Horror, sie ist auch philosophisch, was dieser Film nicht zu offen is, und das fand ich in Ordnung so, denn es hätte eine Menge Zwischentitel gebraucht, um manche von Stevensons Dialogen zu reproduzieren.
Auch wenn Barrymore diesen Film dominiert, hätte er das natürlich nicht ohne die anderen Schauspielerinnen und Schauspieler tun können.
Die meisten der Charaktere sind ziemlich geradlinig.
Millicent darf sich hauptsächlich nach Jekyll sehnen, sie ist süß und liebevoll. Leider starb Martha Mansfield wegen eines tragischen Unfalls während eines anderen Films jung.
Utterson ist in der Novelle viel wichtiger, da sie von seinem Standpunkt aus geschrieben ist, aber er liefert eine solide Darstellung ab. Das gleiche gilt für Dr. Lanyon (der in der Novelle stirbt).
Warum sie meinten, Utterson Cousin Enfield so gruselig aussehen zu lassen, weiß ich wirklich nicht, aber er hatte keine sehr wichtige Rolle.
Gina sollte ganz offensichtlich das Hauptbeispiel dafür abgeben, wie egal Hyde andere Menschen und die Konsequenzen seines Handelns für sie waren, indem gezeigt wurde, wie sie war, bevor und nachdem sie ihn kennengelernt hatte. Ich finde, es zeigt die völlige Trennung von Hyde und Jekyll, daß Jekyll nicht mal darüber nachgedacht hat, sich mit manchen dieser Konsequenzen auseinanderzusetzen statt sich nur um sich selber zu sorgen. Sehr heilig.
Es ist allerdings ein Rätsel, warum Gina sich überhaupt jemals auf Hyde eingelassen hat. Ich kann nur auf Geld tippen, eine Menge Geld. Nita Naldi kam übrigens von den Ziegfeld Follies, was ich schwer glauben konnte, nachdem ich ihren Tanz gesehen hatte.
Brandon Hurst als Carew war der einzige, der die Gelegenheit bekam, seinem Charakter mehr als eine Dimension zu geben, der Verführer, der Jekyll mit diesem verschlagenen Blick anstiftete, und der liebende Vater.
Trotz der Änderungen an der Originalhandlung mochte ich den Film wirklich gern. Natürlich habe ich die Tonfilme noch nicht gesehen, aber ich finde, daß dies als Stummfilm großartig funktionierte, weil die Motivation und der Horror, der daraus resultierte mehr durch Blicke und Körpersprache vermittelt wurde als durch Zwischentitel.
Ich bin mir sicher, daß es nicht das letzte Mal war, daß ich diesen Film angeschaut habe (nicht nur wegen Barrymores Profil, ehrlich!).
Ausgewählte Quellen:
1. Fritzi Kramer: Dr. Jekyll and Mr. Hyde (1920) - A silent film review. Auf: Movies Silently, 18. Mai 2013 (englisch)
2. "Mr. Bones": Reviewing the Classics: Dr. Jekyll and Mr. Hyde. Auf: Morbidly Beautiful, 14. November 2018 (englisch)
3. Dr. Jekyll und Mr. Hyde auf Wikipedia - der Film, die Novelle (Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde), das Theaterstück (der letzte Eintrag ist englisch)
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