Samstag, 23. August 2025

Buchbesprechung - Craft Psychology

Als ich den Titel "Craft Psychology" zum ersten Mal sah, dachte ich, daß sich das wirklich interessant anhörte ... was war "craft psychology?"
Sprechen wir über das Buch von Dr. Anne Kirketerp, das dieses Jahr auf Englisch erschienen ist. Es gibt leider keine deutsche Ausgabe (noch nicht?).


Zuerst muß ich meine Probleme mit dem Begriff "craft" im Deutschen ansprechen. Wenn man sich einen Wörterbucheintrag anschaut, bekommt man da alles Mögliche. Handwerk, Kunsthandwerk, Geschicklichkeit, Kunstfertigkeit und mehr, Basteln oder Handarbeit (im Sinne von Stricken, Häkeln usw.) taucht nicht auf, obwohl "craft" auch so benutzt wird, allerdings hat Basteln im Deutschen oft einen kleinen Beigeschmack und Handarbeit ist als Begriff nicht immer eindeutig. Ich mache es mir einfach und werde für diesen Post einfach "craft" in Variationen verwenden, auch wenn es sich manchmal holprig anhören wird.

Bevor Kirketerp Psychologin wurde und an der Hochschule arbeitete, machte sie bereits selber "crafts" and lehrte sie auch.
Heute leitet sie zertifizierte Bildungskurse für "Craftpsychologie".
Dieses Buch richtet sich nicht nur an Fachleute, die "craft" in der Lehre oder Psychologie nutzen, sondern auch Leute wie ihr und ich, die daran interessiert sind, ihre "craft" bewußter einzusetzen, um Wohlbefinden zu erreichen.

Es gibt zehn Kapitel:
1. "Craftpsychologie" in Kürze
2. Definitionen von und Zusammenhänge zwischen "craft" und Wohlbefinden
3. Das "Craftpsychologie"-Modell
4. Zentrale Forschungsergebnisse in "Craftpsychologie"
5. Methoden und Übungen
6. Vier Arten, "craft" zu betreiben
7. Abschluß und Interventionen
8. Von Nützlichkeit zu Leidenschaft: Die Rolle von "crafts" jetzt und im Laufe der Geschichte
9. Theoretische Grundlagen der "Craftpsychologie"
10. Kurze Zusammenfassung

"Craftpsychologie ist die Psychologie, die sich damit befaßt, warum Menschen "craft" betreiben. Sie untersucht, wie sich "Craftaktivitäten" positiv auf unsere körperliche und geistige Gesundheit auswirken. Sie kann gezielt eingesetzt werden, um  angewandt werden, um effektiv Wohlbefinden zu fördern."
Kirketerp merkt an, daß ihr "Fokus in erster Linie auf hobbybasierten Tätigkeiten liegt, die wir aus reinem Vergnügen ausüben, weil wir sie lieben und gut darin sind".

Wie definieren wir "craft" überhaupt? Es gibt mehrere Definitionen von Forschern aus unterschiedlichen Bereichen. Kirketerp selber definiert sie als "das Meistern von Fähigkeiten, die aus Leidenschaft heraus entstanden sind und in Produkten mit einer Form von Materialität resultieren". Andere Forscher benutzen die Worte "geschickt", "Beherrschung manueller Fähigkeiten" oder "eine Arbeit gut machen".

Vielleicht bin ich von Künstlern beeinflußt, die Leuten sagen, daß es wichtig ist, Kunst zu machen, und daß es nicht immer gute Kunst sein muß, um zu lernen, wie man sich ausdrückt, und übertrage diesen Gedanken auf "craft", aber ich kann dem "Meistern" nicht unbedingt zustimmen.
Am Anfang ist keiner gut (außer Wunderkindern), also ist man entweder unglücklich deswegen und gibt es ganz auf oder man genießt es so sehr, daß es einem egal ist, ob es "gut" ist, und vielleicht wird man besser oder auch nicht. Ich sollte wissen, wovon ich spreche
 😉 Manchmal muß einfach der Augenblick stimmen, um die richtige "craft" anzufangen.

Wie ihr vielleicht an den Kapitelüberschriften erkennen könnt, geht es in diesem Buch nicht um das "Craften" selber, sondern die Psychologie dahinter. Wenn ihr Lehrbücher mögt, werdet ihr damit kein Problem haben, aber ich muß gestehen, daß es Passagen gab, bei denen ich in Versuchung kam, sie zu überspringen - habe ich nicht gemacht - und andere, die interessant waren, weil sie mein eigenes Verhalten oder meine Gefühle über oder während des "Craftens" erklärten, die zu analysieren ich bisher einfach nicht in Erwägung gezogen hatte, wie das gute Gefühl, wenn ich im "Fluß" bin, aber auch, wie ich mich in meinem letzten "Craftkurs" vor ein paar Jahren als Außenseiterin empfand (hab' ihn nicht fertiggemacht, hatte nie das Bedürfnis, an einem anderen teilzunehmen). 

Kirketerp erklärt außerdem ihr "Craftpsychologie"-Modell, das aufzeigt, wie die Vorzüge des "Craftens", wie positive Emotionen, "Flow", Erfolg und mehr das Wohlbefinden unterstützen und beispielsweise vor Streß und Ängsten schützen können.
Es gibt auch viele Zitate von anderen Forscherinnen und Forschern, die verschiedene psychologische Theorien oder Begriffe erläutern. Die Artikel sind in dem umfangreichen Literaturverzeichnis aufgeführt.

Ich hätte mir etwas weniger Theorie erhofft, weil sich manches wirklich zu sehr wiederholte.
Es gibt Blasen mit Zitaten von Leuten, die Kirketerp interviewt hat, aber sie stehen außerhalb des eigentlichen Textes, ohne jeglichen Kommentar. Was ich gerne gesehen hätte, wären diese Beispiele mit Erläuterungen gewesen oder auch eine Relation zwischen theoretischen und empirischen Daten.

Enttäuschend fand ich auch, daß nur wenige "crafts" Erwähnung fanden, in den Blasen ging es zum Beispiel hauptsächlich ums Stricken. Ich war selber jahrelang eifrige Strickerin, als ich jünger war, und meiner Meinung nach kann man Stricken nicht einfach 1:1 mit jeder anderen "craft" vergleichen. Das fängt damit an, daß nicht jedes Projekt mit herumgetragen werden kann, aber auch mit der Vorbereitung, wieviele Werkzeuge man braucht oder was für eine Größe, und es hat außerdem Einfluß auf die Vorstellung, die Menschen von der "Bedeutsamkeit" von verschiedenen "crafts" haben.
Es gibt eine Liste von "crafts" (um ehrlich zu sein, überraschte mich das "Schmieren von Bremsen"), von denen nicht viele im Text selber angesprochen wurden.
Die Autorin konzentrierte sich auf die "crafts", die sie auch selber betreibt, das ist klar, aber vom Titel her hatte ich mehr erwartet.

Das Buch ist allerdings kein so schwerer Lesestoff, selbst wenn man nicht mit psychologischer Forschung vertraut ist - was kein Thema ist, mit dem ich mich bisher besonders intensiv beschäftigt hätte -, also kann man definitiv ein paar interessante Fakten erfahren, die einem dabei helfen, Dinge besser zu verstehen.
Für mich war eines davon die Erklärung von Default Mode Network (DMN) und Central Executive Network (CEN) - zwei der Netzwerke im Gehirn - die mir klarmachte, warum mein Gehirn darauf besteht, alles Peinliche durchzugehen, das ich gemacht habe, seit ich 4 war, wenn ich nachts um 2 nicht schlafen kann.

Die Autorin gibt einem auch ein paar Empfehlungen, wie man seine "craft" gezielt einsetzt. Sie werden nicht für alle funktionieren, ich weiß, daß das bei mir für zwei der Fall ist, aber sie sind dennoch interessant.
Eine davon ist - und tatsächlich war das die, die meine Aufmerksamkeit als erstes erregte, als das Buch angekündigt wurde - ist, mindestens zehn Projekte gleichzeitig am Laufen zu haben, die sich voneinander im Grad der Herausforderung, im Zweck oder in der Umgebung (etwas, an dem man arbeitet, wenn man entweder allein oder mit anderen zusammen ist), unterscheiden, damit man immer das Perfekte für den Moment auswählen kann. Wenn ich so viele habe, werden sie zu WIPs, die vielleicht nie mehr fertigwerden. Ich habe die berüchtigte WIP-Schublade, um das zu untermauern, aber vielleicht könnte ich sie ja einfach als einen Teil der zehn zählen ...

Kirketerp empfiehlt außerdem, nicht nur Aktivitäten zu koppeln, das heißt, man sollte beim "Craften" nicht immer den Fernseher laufen haben - das mache ich, obwohl ich es gewöhnlich einfach ausblende, wenn ich in den "Flow" komme - oder ein Hörbuch usw.

Ich bin zwiegespalten , was das Buch betrifft. Manche Teile habe ich gern gelesen, andere nicht so sehr, weil sie für meinen persönlichen Geschmack gar zu theoretisch und repetitiv waren.
Ich wäre an manchem interessiert gewesen, das fehlte (ich gebe zu, daß einiges von diesem Interesse auf meinen eigenen Erfahrungen beruht, zum Beispiel "craften" zu wollen, es aber nicht mehr so tun zu können, wie ich das gerne würde, und die Konsequenzen daraus ... tut mir leid, wenn ihr das Gefühl bekommt, ich spreche dauernd über meinen Daumen, aber das ist eben eine massive Umstellung für mich). Ich hätte auch gern mehr "crafts" erwähnt gesehen.

Dies ist nur meine persönliche Meinung. Ich bereue nicht, es gelesen zu haben, aber ich denke auch nicht, daß ich es nochmal lesen wollen würde. Vielleicht hätte ich mir während des Lesens ein paar Notizen machen sollen, um die dann zu behalten, aber das ist etwas, in dem ich echt schlecht bin, zumindest wenn ich etwas privat lese.

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