Donnerstag, 23. Januar 2025

Du bist ein besserer Mensch als ich,

Gunga Din!
Das ist die letzte Zeile von Rudyard Kiplings Gedicht "Gunga Din" (das erste Mal 1890 in zwei Zeitungen und 1892 in einer Sammlung veröffentlicht).
Ich weiß, daß Poesie zuvor noch kein Thema auf meinem Blog war, aber tatsächlich geht es in diesem Post auch nicht um das Gedicht, sondern um den davon inspirierten Abenteuerfilm von 1939. Dieser heißt im Original ebenso, in der deutschen Übersetzung jedoch "Aufstand in Sidi Hakim", ein Name, der im gesamten Originalfilm nicht vorkommt, aber ich habe die deutsche Synchronisation nicht und kann daher nicht mehr dazu sagen.
Ich möchte mich auch direkt dafür entschuldigen, daß ich überwiegend auf englische Quellen verlinke, im Deutschen konnte ich nicht wirklich viel dazu finden.
Lisa von Boondock Ramblings hat auf ihrem Blog den "Winter of Fairbanks Jr." laufen und da ich den Film zufällig habe (vor Jahren für meine Cary Grant-Sammlung gekauft), dachte ich mir, ich mache wieder mit.

Wenn ihr den Namen Kipling hört, könnt ihr euch vorstellen, daß es ein bißchen kontrovers wird, denn schließlich gehört sowohl das Gedicht als auch der Film zur Zeit des British Raj.
Wenn man außerdem das Jahr bedenkt, in dem der Film gemacht wurde, weiß man, daß es Brownfacing für die indischen Charaktere gibt, und Stereotypen sowohl für die indischen als auch die britischen Charaktere.

Aufstand in Sidi Hakim ist ein Abenteuerfilm über drei britische Sergeants in Indien - Ballantine (Fairbanks jr.), der romantische Typ, der kurz davor steht, seine militärische Karierre aufzugeben, um zu heiraten und ins Teegeschäft einzusteigen, MacChesney (McLaglen), der harte Kerl mit dem weichen Kern, und Cutter, der Cockney-Witzbold (Grant), der sich mit dem "bhisti" oder Wasserträger des Regiments, Gunga Din, anfreundet und auf Abenteuer aus ist - und auf Schätze.

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Als die Telegrafenverbindung nach Tantrapur abgeschnitten wird, werden die drei Freunde und einige indische Camparbeiter dorthin geschickt, um die Leitungen zu reparieren, werden aber von einer Gruppe Einheimischer im Namen der Göttin Kali angegriffen. Sie schaffen es unter Verlusten gerade mal so heraus, und als sie im Camp Meldung machen, werden die Angriffer durch eine ihrer Waffen als Anhänger des uralten Thuggee-Kults identifiziert. Die Vorgesetzten sind sich einig, daß ein Wiederaufleben von Thuggee im Keim erstickt werden muß, und beschließen, eine größere Truppe zurückzuschicken, aber ohne Ballantine, der das Militär bald verlassen wird.
Um Higginbotham, den Ersatzmann, den sie nicht mögen, loszuwerden, versetzen Cutter und MacChesney den Punsch bei Ballatines Verlobungstanz mit Elefantenelixier. Tatsächlich kann Higginbotham sie am nächsten Tag nicht begleiten und Ballantine stimmt widerstrebend zu, seinen Platz einzunehmen, möchte aber die Reparaturen so schnell wie möglich erledigen, bevor seine Militärzeit endet. Bevor sie fertig sind, trifft Higginbotham mit der Unterstützung und mit Emmy, Ballantines Verlobter, ein.

In der Zwischenzeit hat Gunga Din Cutter davon erzählt, einen goldenen Tempel gefunden zu haben. MacChesney sperrt Cutter ein, um ihn von der Jagd nach dem Gold abzuhalten, aber mit der Hilfe von Annie, der Elefantendame, holt Din ihn heraus und sie machen sich auf den Weg zum Tempel.
Dort entdecken sie, daß dieser den Thugs gehört. Cutter lenkt die Thugs ab und läßt sich gefangennehmen, damit Din entkommen und Hilfe holen kann.
Während Higginbotham Hilfe vom Regiment anfordert, brechen MacChesney und Ballantine sofort mit Din zum Tempel auf, obwohl Emmy versucht, Ballantine davon abzuhalten. Natürlich werden sie prompt selber gefangengenommen.
Es gelingt ihnen, den Guru des Stammes als Geisel zu nehmen und mit sich auf das Tempeldach zu nehmen, von wo aus sie sehen, wieviele Thugs auf die Ankunft des Regiments warten. Da sie ihren Guru aber nicht verlassen wollen, bringt er sich um, damit sie gegen die Briten kämpfen.
Cutter und Din werden verwundet, aber Din nimmt seine letzten Kräfte zusammen, steigt auf den Tempel und bläst sein Horn, bevor er erschossen wird. Bei Dins Begräbnis ernennt der Colonel ihn zum Korporal der britischen Armee, was die ganze Zeit über Dins Traum war, und sagt: Du bist ein besserer Mensch als ich, Gunga Din."

Ich gestehe, daß ich mich schwer damit tat, das zusammenzufassen, weil ich es nicht zu lang machen wollte, aber es passiert so viel im Film, das ich nicht mal erwähnt habe, schließlich ist er fast zwei Stunden lang! Jedenfalls im Original, in der deutschen Version fehlen noch immer einige Minuten.
Es gibt Action, es gibt Humor, es gibt Drama ... und sehr wenig Liebelei. Emmy hat keine Chance gegen die Armee und tatsächlich tritt Ballantine für die Rettungsmission wieder in die Armee ein und bleibt auch, definitiv nicht das, was sie sich erträumt hat.

Dies ist ein Kumpelfilm. Drei Jungs, die die Welt erobern und Abenteuer haben. Warum möchte ich da auf meinen Schenkel klopfen und "Famose Sache, alter Junge, cheerio, pip pip" rufen?
Das ist vermutlich das "Hollywood Raj"-Gefühl, ein Begriff für die englischen Schauspieler, die in den 30er Jahren in Hollywood lebten und miteinander verkehrten, dazu kamen noch Schauspieler aus anderen Ländern wie Australien, Südafrika und den USA, denen dieser Stil behagte. Das führte dazu, daß unzählige "britische" Filme außerhalb von Großbritannien gemacht wurden, Filme, die die alten Klischees und Werte aufrechthielten, von britischen Autoren inspiriert. Selber seltsam anglophil, verstehe ich das, obwohl ich britischen Imperialismus nicht gutheiße.

A propos Imperialismus, der Film war deswegen in Teilen von Indien tatsächlich verboten. Ich habe einen Post mit einem Artikel über Gunga Din gefunden, der für filmindia geschrieben wurde, und wie ihr euch vorstellen könnt, ist er nicht positiv. Er zeigt all die Stereotypen auf und merkt sogar an, daß Dins heldenhafter Tod genutzt wird, um zu beweisen, daß der Film nicht anti-indisch ist.
Die Kommentare zum Film im Post sind aber ebenfalls interessant zu lesen, da manche indischen Kommentatoren sagen, daß sie in der heutigen Zeit darüber lachen oder den Film sogar genießen können, aber daß sie verstehen, wenn Inder damals anders darüber dachten, als Indien seine Unabhängigkeit noch nicht hatte.

Es ist offensichtlich, daß Kiplings Gedicht nicht genug Inhalt für einen ganzen Film bot, also wurde es mit ein paar der Geschichten aus seiner Sammlung "Drei Soldaten" (teilweise unter "Soldatengeschichten" auf Projekt Gutenberg) gemischt.
Tatsächlich haben sich einige Autoren am Drehbuch versucht und bis zum Endresultat gab es einige Variationen.

Ein Großteil des Film wurde in Lone Pine, ungefähr 320 Kilometer von Los Angeles entfernt, gedreht, wo der Regimentsstandort, das Dorf und der Tempel aufgebaut wurden, und der Regisseur George Stevens brauchte so lang, daß der Produktionsmanager Berman schließlich ein Ultimatum stellen mußte, was amüsant war, da er ihn Howard Hawks vorgezogen hatte, weil er schneller war.
Viele der Gags, Stunts und Kampfszenen waren improvisiert, was Stevens als Kameramann für Hal Roach bei Laurel und Hardy-Komödien gelernt hatte.
Mit fast 2 Millionen Dollar war der Film bei weitem der teuerste seiner Zeit, was noch ungewöhnlicher war, wenn man bedenkt, daß RKO nicht zu den großen Studios gehörte.

Auch für die Besetzung gab es mehrere Möglichkeiten.
Ursprünglich sollte Grant Ballantine spielen, aber er wollte Cutter spielen, also holte man Fairbanks jr. für die Rolle von Ballantine dazu.
Für die Rolle von Din hätte RKO gerne Sabu gehabt, aber der Produzent Alexander Korda wollte Sabu zu der Zeit nicht ausleihen, da er gerade "Der Dieb von Bagdad" vorbereitete, also sprachen mehrere Schauspieler vor und sie entschieden sich für Sam Jaffe. Jaffe meinte, er sagte sich "Denk Sabu" und spielte die Rolle mit seinem Konzept davon, wie Sabu sie gespielt hätte. Ich gestehe, daß ich das nicht ganz sehen kann, aber es mag sein, daß ich durch die Filme mit Sabu, die ich gesehen habe, voreingenommen bin. Obwohl er den Mann spielt, der dem Film den Namen gibt, wird Jaffe erst an vierter Stelle genannt und er ist nicht mal auf dem Filmposter!
Joan Fontaine
, die Emmy spielt, war zu dieser Zeit noch kein Star, aber sie hatte sowieso so gut wie keine Leinwandzeit.
Vergessen wir nicht Anna May, die Annie, die Elefantendame, spielt.

Kurz etwas zu Thuggee. Es gibt unterschiedliche Ansätze zur Geschichte von Thuggee.
Thuggee - wie andere Wörter im Englischen - leitet sich von einem Hindiwort ab, in diesem Fall "thagi", was "Täuschung" bedeutet. Inder sagen "phansigars" anstatt "Thugs", das bedeutet "Würger", man sieht außerdem das Wort "thag".
Ein Großteil der populären Vorstellung von Thuggee (wie in Gunga Din und dem zweiten Indiana Jones, der viel von Gunga Din übernommen hat), auch als religiösem Kult, basiert auf den Schriften von William H. Sleeman (inklusive "The Thugs or Phansigars of India"), der der "Thug-Polizei" in den 1830ern vorstand.
Das ist ein ziemliches Kaninchenloch - wie lang gab es "Thags" schon, war es eine vererbte Praxis in einem Stamm, handelte es sich um ein orientalistisches Konstrukt, um die Übernahme durch die Briten zu legitimieren, gab es überhaupt irgendeine religiöse Verbindung, gab es den einen "Thug-Anführer" ... das würde alles zu lang dauern für einen Filmpost, aber falls ihr Interesse daran habt, selber ins Kaninchenloch abzutauchen, werde ich ein paar Quellen anfügen.

Jetzt habe ich eine Menge geredet, aber ihr möchtet vielleicht wissen, was ich denn von dem Film halte?
Ich bin ein wenig hin- und hergerissen und da bin ich nicht die einzige (sogar Bertolt Brecht hat darüber geschrieben!).
Der Film wird als Klassiker angesehen und ich kann verstehen warum, aber es läßt sich nicht abstreiten, daß er ganz sicher ein Produkt seiner Zeit ist.
Wäre er nicht in Indien angesiedelt, mit den typischen Zutaten - die Glorifizierung des britischen Empires auf der einen, Elefanten, einem Tempel und mörderischen Kultanhänger in Lendenschurzen auf der anderen Seite - sondern in einem Fantasieland, müßte man wohl nicht zweimal darüber nachdenken.

Also ja, es gab Momente, in denen ich die Augen verdreht habe - ich bin seit Jahrzehnten professionelle Augenverdreherin, meine Augenmuskeln sind wahrscheinlich die stärksten, die ich habe - aber ich muß zugeben, daß ich auch nicht anders konnte als mich von dieser Kumpelgeschichte mitreißen zu lassen und Teile davon zu genießen.
Ihr werdet euer eigenes Urteil treffen müssen. Falls ihr das tut, laßt es mich wissen!


Quellen (englischsprachig):
Kipling Society: Gunga Din - the poem and readers's guide
Film historian Rudy Behlmer's commentary on the 2004 DVD (highly recommended!)
Memsaab Story: The Gunga Din tamasha, posted
January 31,2010
Kevin Jack Hagopian (New York State Writer Institute): Film Notes - Gunga Din
Gunga Din (film) on English Wikipedia
Back to Golden Days - an old Hollywood blog: Film Friday "Gunga Din", posted December 11, 2016
Park Ridge Classic Film: The Making of Gunga Din, posted January 14, 2014


Ausgewählte Quellen über Thuggee (englischsprachig):
Darren Reid: On the Origin of Thuggee: Determining the Existence of Thugs in Pre-British India. In: The Corvette 4, 2017, 1, pp. 75 - 84 (Open Access)
Sagnik Bhattacharya: Monsters in the dark: the discovery of Thuggee and demographic knowledge in colonial India. In: Pallgrave Communications 6, Art.nr. 78(2020) (Open Access)
Kim A. Wagner: The Deconstructed Stranglers. In: Modern Asian Studies 38, 2004, 4, pp. 931 - 963 (Closed Access)

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