Ich weiß nicht, ob ihr euch je die Quellen am Ende meiner Filmposts anschaut. Falls ihr es tut, ist euch vielleicht schon aufgefallen, daß ich oft Fritzi Kramers Blog "Movies Silently" aufführe. Ich mag, wie sie schreibt, wenn sie also eine Kritik zu einem Film hat, den ich gerade anschaue, dann lese ich sie.
Sie hat außerdem eine Rangliste für Stummfilme auf ihrem Blog, für heute bin ich also direkt zu ihren 5-Sterne-Filmen gegangen und habe "Stürme" von 1928 ausgewählt.
Ich habe ihre Kritik nicht gelesen, bevor ich den Film angeschaut und mir meine eigene Meinung gebildet habe, ich wußte nur, daß sie "Stürme" liebt. Schauen wir mal, ob das mir genauso geht.
Es ist recht passend, daß es im Moment draußen windig ist und meine dünnen kleinen Rolläden klappern. Das ist aber nichts im Vergleich zu "Stürme".
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Wie gewöhnlich fange ich mit der Handlung an (Spoiler voraus!).
Letty Mason reist von Virginia nach Texas, um bei ihrem Cousin Beverly und seiner Familie auf seiner Farm zu leben. Sogar schon im Zug bemerkt sie den konstant wehenden Wind.
Sie fällt dem Mitpassagier Wirt Roddy auf, der eine Unterhaltung beginnt und ihr sagt, daß der Wind Leute verrückt macht, vor allem Frauen.
Am Bahnhof wird Letty nicht von ihrem Cousin abgeholt, sondern von dessen Nachbarn Lige Hightower und Mr. Sourdough. Letty ist davon und von dem heftigen Wind so schockiert, daß sie zu Wirt zurückrennt, der ihr versichert, daß er gelegentlich bei ihr vorbeischauen wird.
Auf dem Weg erzählt Lige ihr vom Wind, vor allem vom "norther", von dem die amerikanischen Ureinwohner glauben, daß er ein Geisterpferd in den Wolken ist, und der so schlimm ist, daß er die wilden Pferde die Berge hinuntertreibt - ein Bild, das Letty von da an verfolgen wird.
Während Beverly höchst erfreut ist, die Cousine zu sehen und willkommen zu heißen, mit der er wie ein Bruder aufgewachsen ist, ist seine eifersüchtige Frau Cora nicht so glücklich über den Neuankömmling. Als sie alle zusammen essen, merkt man, daß Lige und Sourdough sofort von der schönen Letty hingerissen sind, die sehr fehl am Platz wirkt.
Bei einem Fest erzählen sowohl Lige als auch Sourdough Cora, daß sie vorhaben, Letty einen Heiratsantrag zu machen. Cora ist von dem Gedanken, sie aus dem Haus zu bekommen, begeistert.
Dann kommt auch Wirt vorbei, und als ein Zyklon das Fest unterbricht, müssen sie im Keller Schutz suchen, wo er Letty darum bittet, mit ihm wegzugehen.
Lige und Sourdough machen Letty einen Antrag, sie denkt aber, es sei ein Scherz und lacht sie aus. Cora ist enttäuscht und fordert, daß Letty ihr Haus verläßt, also geht sie zu Wirt, der ihr sagt, daß er zwar schon eine Ehefrau hat, sie aber zur Geliebten nehmen will. Sie geht zu Cora zurück und meint, daß sie nirgends hingehen kann und kein Geld hat, also sagt Cora ihr, daß sie dann Lige oder Sourdough heiraten müssen wird.
Letty heiratet Lige, der überglücklich ist, weil er glaubt, daß sie ihn liebt, aber schnell durch ihre Reaktion auf seinen Kuß enttäuscht wird.
Als er versucht, sie noch heftiger zu küssen, wehrt sie ihn ab und sagt ihm, daß er sie dazu gebracht hat, ihn zu hassen, obwohl sie ihn nicht hassen wollte.
Von dieser Wendung schockiert sagt Lige, daß er sie nie mehr berühren wird, und verspricht, genug Geld zu verdienen, um sie wieder zurück nach Virginia zu schicken.
Das ist einfacher gesagt als getan, denn die Zeiten sind schwer, das Vieh stirbt und die Rancher müssen eine Lösung finden, damit sie nicht verhungern. Als Lige zu dem Treffen gehen will, bittet Letty, die von dem andauernden Wind immer verrückter wird, ihn, sie mitzunehmen, damit sie nicht alleinbleiben muß. Als sie ihr Pferd im Wind nicht kontrollieren kann und auch von Liges Pferd fällt, obwohl sie sich an ihm festklammert, bittet Lige Sourdough, sie nach Hause zu bringen.
Als die Rinderzüchter vom Treffen heimkehren, bei dem sie beschlossen haben, die wilden Pferde, die vor dem "norther" davonlaufen, zusammenzutreiben, um dafür Geld von der Regierung zu bekommen, bringen sie einen Verletzten mit - es ist Wirt. Natürlich ist Letty nicht glücklich darüber, ihn im Haus zu haben.
Nachdem Wirt sich erholt hat, besteht Lige darauf, daß er dabei hilft, die Pferde zusammenzutreiben, er aber schleicht direkt zu Letty zurück, die, schon vor lauter Wind verrückt, in Ohnmacht fällt. Wirt bringt sie zum Bett.
Am nächsten Morgen versucht er Letty zu überreden, daß sie mit ihm geht, sie lehnt jedoch ab. Als er meinte, Lige werde sie beide töten, antwortet sie kalt, daß sie hoffe, das würde er tun. Wirt wird aufdringlich und Letty bedroht ihn mit seiner eigenen Waffe, die er auf dem Tisch liegenlassen hat. Er nimmt sie nicht ernst und greift nach der Waffe, die losgeht und ihn tötet.
Da sie nicht weiß, was sie sonst machen soll, begräbt Letty ihn draußen.
Der Wind wird immer stärker und Letty wird wahnsinnig davon.
Sie sieht, wie der Wind Wirts Leiche aufdeckt.
Als jemand versucht, die Tür zu öffnen, die sie mit einer Schaufel festgestellt hat, bricht sie zusammen, es ist aber Lige, der zurückgekommen ist, worüber sie so glücklich ist, daß sie ihn küßt.
Dann gesteht sie, Wirt getötet zu haben. Lige sieht nach draußen, kann aber keine Leiche sehen, also sagt er ihr, daß der Wind sich darum kümmert, wenn jemand aus gerechtem Grund getötet wird.
Er sagt Letty außerdem, daß er jetzt genug Geld hat, um sie nach Virginia zurückzuschicken, aber zu seiner Freude verkündet Letty, daß sie vor dem Wind keine Angst mehr hat und daß sie ihn liebt und bei ihm bleiben will.
Dies war mein erster Stummfilm mit Lillian Gish, der "First Lady of the Silent Screen" - und ihr letzter (ihre Karriere lief danach jedoch noch lang weiter, allerdings nicht so erfolgreich).
Ich hatte von ihr gehört, aber nicht gewußt, was ich erwarten sollte.
Der Film hat keinen Dialog, aber Toneffekte (erinnert ihr euch an "Sonnenaufgang: Lied von zwei Menschen", der die auch hatte?) Leider konnte ich weder sie noch die Filmmusik von Carl Davis, die empfohlen wurde, anhören, weil ich sie nicht fand. Die Filmmusik, die ich hatte, war improvisierte Musik und Kreischen und ich mußte sie abschalten, weil ich sie nicht ertrug. Das Ensemble mag ja "das Unverständliche und Unbequeme angenommen" haben, aber es war schon unbequem genug für mich, auch ohne Gekreische mit anzuschauen, wie Letty verrückt wurde, vielen Dank auch.
Wie ihr wißt, hat die Musik oft einen großen Anteil daran, ob ich einen Stummfilm mag oder nicht, und den hier komplett stumm anschauen zu müssen, war etwas schwierig, aber dafür konzentrierte ich mehr auf das Schauspiel.
Ich kenne Leute, die ein ernsthaftes Problem mit Wind haben, er macht sie nervös und irritiert sie.
Obwohl Winde hier häufiger auftreten und stärker werden, kommt das nicht an das dauernde Wehen im Film heran, ich kann mir also leicht vorstellen, daß Letty davon, seine Kraft zu spüren und ihn die ganze Zeit zu hören, verfolgt wurde. Da ich selber von Katzenstreu, die überall verteilt wird, verrückt werden kann, kann ich auch sehr gut verstehen, daß es jemanden wahnsinnig macht, wenn überall Sand ist. Es hat mich schon nervös gemacht, das nur anzuschauen.
Letty ist eine süße und zierliche junge Frau, die in eine Umgebung gezwängt wird, in der sie, wie schon erwähnt, völlig fehl am Platz wirkt. Um ehrlich zu sein, bezweifle ich, daß sie überhaupt viel darüber nachgedacht hat, wie es sein würde, sie erzählt Wirt von der "schönen Farm" ihres Cousins - was sie definitiv nicht ist.
Also klammert sie sich an die einzige Person, die ihr zivilisiert erscheint, Wirt, und dann ist es ausgerechnet er, der dieses Vertrauen mißbraucht, was sie letztendlich aber stärker macht.
Gish machte eine ganze Menge Emotionen in dem Film durch und drückt sie mit Augen, Händen und ihrem Körper aus.
Dann ist da andererseits Cora, eine Frau, die hart für ihre Familie arbeitet. Es ist kein Wunder, daß sie kein hübsches kleines Ding im Haus haben will, um das die Männer und ihre Familie wie Motten um ein Licht herumflattern und das vom Bügeln Blasen an ihren zarten Händen bekommt, während Cora zur selben Zeit einen ganzen Stier ausnehmen muß (nicht meine Szene, das kann ich euch sagen).
Vielleicht wäre Cora ja nicht so eifersüchtig, wenn Letty etwas mehr versuchen würde, sich anzupassen.
Lige and Sourdough sind vom ersten Moment an, in dem sie Letty kennenlernen, so hingerissen, daß sie nicht mal darüber nachdenken, daß Letty sie vielleicht nicht ernstnehmen könnte. Besonders Lige ist wie ein Welpe mit einem neuen Ball - Sourdough scheint mehr die komische Einlage zu sein - und das Erwachen, nachdem die Heirat, die ihn so glücklich gemacht hat, nicht so läuft, wie er sich das erhofft hat, ist hart. Es verändert ihn aber auch und macht ihn verantwortungsvoller und fürsorglicher.
Ich verstehe ja, warum Letty sich nicht direkt in Lige verknallt, aber ich verstehe nicht, warum sie Wirt vorziehen sollte. Gut, Lige ist zwar ein ungeschliffener Diamant, was sie erstmal herausfinden muß, aber die Art, wie sich Wirt im Zug an sie heranmacht, iih. Außerdem bin ich oberflächlich genug zu sagen, daß Lige echt gut aussieht.
Es gibt Theorien darüber, ob Wirts Leiche echt ist oder nicht. Ist er überhaupt zurückgekommen oder war das eine Halluzination von Letty? Warum konnte Lige die Leiche nicht sehen?
Ich habe das Buch (noch) nicht gelesen, aber dem zufolge, was ich gelesen habe, ist die Vergewaltigung hier sehr echt - und auch das Ende ist anders.
Gish hatte selber die Idee für die Verfilmung, sie wählte auch den Regisseur Victor Sjoström (in den USA auch als Seastrom bekannt) und den Schauspieler Lars Hansen (Lige) aus, mit denen sie schon zuvor an einem anderen Film gearbeitet hatte.
Ihr zufolge war es geplant gewesen, das Ende des Buchs zu verwenden, so wie sie und Sjoström es wollten. Im Buch wartet Letty darauf, daß Lige heimkommt, nachdem sie Wirt getötet hat. Als er nicht kommt, geht sie zum Sterben in die Wüste. Es wird behauptet, daß MGM fand, ein glückliches Ende würde beim Publikum dann doch besser ankommen.
Mehrere Leute sagen allerdings, daß das tragische Ende niemals gefilmt wurde.
Abgesehen davon, daß ich ein Happy End liebe, finde ich, daß es tatsächlich auch ganz gut funktioniert. Es wäre dramatisch gewesen, wenn Letty in die Wüste gegangen wäre, und hätte wahrscheinlich das Bedürfnis mancher befriedigt, eine Art Strafe für Wirts Tod zu sehen, aber mir gefiel die Vorstellung, daß Letty und Lige gewachsen sind und einen Neubeginn bekommen.
Wird dies mein absoluter Lieblingsstummfilm je werden?
Das denke ich nicht (all der Wind und Sand), aber es ist auf jeden Fall ein Film, den ich zum Anschauen empfehlen würde.
Ausgewählte Quellen:
1. Fritzi Kramer: The Wind (1928) - A Silent Review. Auf: Movies Silently, 3. Februar 2013
2. Fritzi Kramer: Silent Movie Myth: "The Wind" had a happy ending slapped on and is too ... windy. Auf: Movies Silently, 29. April 204
3. Benjamin Schrom: The Wind. Essay. Auf: San Francisco Silent Film Festival. 2009
4. Adrian Danks: Open to the Elements: Surveying the Terrain of Victor Sjoström's The Wind. Auf: Senses of Cinema. Mai 2006
Es tut mir leid, daß meine Quellen meist nur englischsprachig sind, aber mein englischer Blog wird einfach mehr frequentiert und der Zeitaufwand für die Recherche ist oft so groß, daß ich nicht auch noch die Zeit finde, adäquate deutsche Quellen zu suchen. Sollte euch ein Artikel interessieren, gibt es Übersetzungsprogramme, die zumindest einen Eindruck vermitteln können.
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