Sonntag, 29. Juni 2025

Sonntagsglimmer - Überraschungen

Vielleicht habt ihr das Wort "Glimmer" schon mal gehört. In der Psychologie sind Glimmer das Gegenteil von Triggern, kleine Momente des Friedens oder der Freude, die positive Gefühle auslösen. Das können ganz einfache Dinge sein, die man vielleicht nicht mal bewußt bemerkt, es kann aber der geistigen Gesundheit helfen, wenn man sie bemerkt und schätzt.

Diese Woche war mein Geburtstag.
Vielleicht erinnert ihr euch an meinen Post von vor ein paar Tagen, in dem ich Luft über ein Stück abließ, das ich für mich selber als besonderes Geschenk hatte machen wollen (zu sagen, daß es ein Geschenk war, war meine Motivation dafür, endlich damit in die Gänge zu kommen). Obwohl ich eine sehr vage Idee habe, wie ich das Stück zwar nicht in der Art retten kann, wie ich es mir vorgestellt hatte, aber eine andere Herangehensweise ausprobieren kann, hat das offensichtlich nicht rechtzeitig hingehauen.

Dann kam ein paar Tage zu früh ein Überraschungspaket an. Ich hatte keinen Schimmer, als ich es aufmachte, ich hatte von dem Shop noch nie gehört und fragte mich, was hier vorging.
Das Paket enthielt eine Katzenfigur, aber keine Karte, gar nichts. Konnte das irgendwie ein Fehler sein? Nein, denn am nächsten Tag bekam ich eine Mail.
Ich lernte M. vor vielen Jahren auf Plurk (einer Seite für soziales Networken und Microblogging) kennen. Wir leben in unterschiedlichen Ländern und haben uns nie persönlich getroffen, aber wir haben nie dan Kontakt verloren, worüber ich mich sehr freue.
Der Betreff der Mail war übersetzt in etwa "Ein Katzengeist zur Feier des 60." (Geist nicht im Sinne von Gespenst), und ich möchte diese Zeilen mit euch teilen, weil ich sie einfach wunderbar finde.
"Es gibt hübschere Katzen, witzigere, die mit mehr Geschichte und wahrscheinlich welche, die besser zu deinem Stil oder deinem Zuhause passen. Was ich aber an dieser hier mag, ist gerade, daß es eine anonyme Katze ist - sie repräsentiert keine bestimmte, sondern kann alle repräsentieren: Katzen aus der Vergangenheit, aus der Gegenwart und aus der Zukunft. Sie ist wie ein Geist, ein Katzentotem, das sagt: "dieses Heim macht Katzen glücklich."
Ist das nicht perfekt?
Und bitte ignoriert die Stimme aus dem Hintergrund, die sagt, er wäre noch viel glücklicher, wenn er mehr Snacks bekommen würde.


Am Geburtstag selber stellte ich die Recyclingtüte in den Hausflur, um sie später hinunterzubringen, und fand eine hübsche Kiste mit einem Geschenk von meinen Nachbarn. Was für eine schöne Überraschung morgens um 5!

Für diesen Tag erwartete ich ein Katzenfutterpaket und dank einer Mail von der Post offensichtlich auch eine vom Drogeriemarkt, was mich verwirrte, da ich nichts von dort bestellt hatte.
Ziemlich früh am Morgen klingelte es, was mich völlig verwirrte, denn es war viel zu früh für den Paketboten ... und hatte sie "Blumen" durch die Gegensprechanlage gesagt?
Tatsächlich Blumen, von einem guten Freund geschickt! Schaut euch das an!


Die nächste Überraschung kam in Form meiner Schwester, die mir etwas aus dem ältesten Café in der Stadt vorbeibrachte. Ich habe da nicht dran gedacht, ein Bild zu machen, sorry. Ich konnte nur "mein Schaaaatz" denken und den Kuchen verspeisen.

Als die angekündigten Pakete ankamen, erinnerte ich mich wieder daran, worum es bei dem Paket vom Drogeriemarkt gegangen war. Vor mindestens drei Monaten hatte ich ein Kästchen bei der Verlosung einer Testbox mit vier Produkten angehakt, als ich auf der Webseite des Marktes gewesen war. Ich hatte das vollkommen vergessen, da ich sowieso nie etwas gewinne!
Was für ein Zufall, daß es genau an diesem Tag ankam.

Außerdem kam diese Woche noch ein Druck an, den ich bestellt hatte, weil er perfekt für mich ist, den zeige ich euch aber in einem anderen Post.

Nun sagt ihr vielleicht, naja, es war ja dein Geburtstag, du mußt doch irgendetwas erwartet haben.
Das tat ich aber echt nicht. Mein Geburtstag ist keine große Sache für mich, keine Feier, keine Party, also waren es wirklich nicht nur die Geschenke, obwohl ich mich natürlich sehr darüber freute, sondern die Überraschungen, die das so besonders machten, und zu wissen, daß jemand an mich gedacht hat (nun, der Drogeriemarkt natürlich nicht).

Und wer weiß, vielleicht bekomme ich das Geschenk an mich selber ja doch noch irgendwann fertig. Wünscht mir Glück!

Samstag, 28. Juni 2025

Einfach nur so Samstag - Sparschweine, Teil 2

Letzte Woche hatte ich einen Post über die Geschichte des Sparschweins und meinte, ich würde einen zweiten Post schreiben, in dem dann auch ein paar meiner eigenen Erinnerungen vorkommen, und hier bin ich nun.

Die erste Sparbüchse, an die ich mich erinnern kann, war aus Holz. Ich bekam sie am Weltspartag von der Bank.
Der Weltspartag wurde während des 1. International Savings Bank Congress in Mailand eingeführt, ein Tag, der die Idee des Sparen auf der ganzen Welt bewerben sollte.
In manchen Ländern ist er inzwischen völlig verschwunden, in anderen ist er jedoch immer noch eine Tradition am 31. Oktober oder, wie in Deutschland, am letzten Arbeitstag davor, da der 31. in manchen Regionen ein Feiertag ist. Manche Banken machen sogar eine Weltsparwoche. Heutzutage liegt das Augenmerk der Organisatoren auf Entwicklungsländern.
Es ist keine Überraschung, daß Deutschland ihn noch an, schließlich haben wir uns immer damit gerühmt, die Weltmeister im Sparen zu sein.
Ich liebte die kleinen Geschenke, die wir bekamen, und auch heute noch steckt mein Klebeband in einem (häßlichen) braunen Abroller aus der Zeit! Damals war die einzige Option für unser bißchen Geld der Weg aufs Sparbuch. Meine Jugendsparbücher aus den 70ern und frühen 80ern hatten die passenden Farben und bunte Blumen, die an Prilblumen erinnerten. Ich wäre nicht überrascht, wenn sie noch irgendwo in einem Stapel alter Briefe oder Papiere stecken würde, sollte ich sie zufällig finden, stelle ich hier noch ein Bild ein.

Meine Sparbüchse war schnell kaputt, ich kann sie euch also nicht zeigen, aber ich habe genau die gleiche auf eBay gefunden, in verschiedenen Formen und mit unterschiedlichen Bildern, meistens Märchenmotive.
Während es dort zwar die Form gibt, die auch ich hatte, gibt es das Motiv nicht, ich bin mir ziemlich sicher, daß ich Schneewittchen hatte. Wer weiß jedoch, vielleicht taucht das auch irgendwann auf?
Am Boden war eine Metallscheibe mit einem Schlüsselloch eingesetzt, im Gegensatz zu anderen Spardosen, die - wie ich in meinem ersten Post erwähnte - tatsächlich zerbrochen werden mußten, um an das Geld zu kommen.
Eine weitere Möglichkeit war, eine Büchse zu haben, die nur auf der Bank geöffnet werden konnte, ganz früher gingen Bankangestellte sogar zu den Kunden, um die Büchsen dort zu öffnen.

Ich erinnere mich noch, daß wir in der Grundschule einen Sparschrank hatten. Er war kleiner als der hier in einer Kneipe und stand in einer Ecke in unserem Klassenzimmer, wahrscheinlich auf einem Tisch.

Public Domain, Bild von by Willy Horsch
(über Wikimedia Commons)


Ich erinnere mich nicht mehr, ob jemand von der Bank in die Schule kam, um die Schränke zu öffnen, das Geld aus den kleinen Einsätzen hinter den einzelnen Einwurfschlitzen zu zählen und den Betrag in das Schulsparbuch einzutragen, aber ich schätze, so muß es gewesen sein. Wenn man sich mein Buch anschaut, scheint das aber nicht besonders regelmäßig passiert zu sein.
Ich war nicht sehr gut im Sparen, nur einmal - kurz nach meinem Geburtstag - hatte ich ein wahrhaftiges Vermögen auf meinem Büchlein, das ich aber schnell wieder abhob.
Entschuldigt das Aussehen, es ist über 50 Jahre alt. Außerdem fiel mir wieder auf, daß nicht nur mein Name, sondern auch meine damalige Adresse falsch eingetragen waren.


Übrigens war "Sparefroh", der kleine Kerl mit Münze als Torso, eine Werbefigur, die 1955 in Stuttgart (wo sonst als bei den Schwaben 
😉) erfunden wurde und die es ja offensichtlich noch in den 70ern gab, obwohl ich mich nicht außer auf meinem Sparbuch nicht daran erinnern kann.
Viel populärer war er in Österreich, wo es ihn heute noch in modernisierter Form gibt.

Für die, die Spardosen sammeln möchten, sind die Möglichkeiten endlos, es wird empfohlen, sich auf ein bestimmtes Aussehen oder Material zu beschränken, es sei denn, man hat unbegrenzten Platz und finanzielle Ressourcen.
Es gibt die einfachen Sparschweine, die man zerbrechen muß - es sei denn, man hat wie ich eine professionelle Ausbildung darin, ein Messer durch den Schlitz zu schieben und die Münzen sorgfältig herauszugeleiten -, oder die mit einem Schlüssel, den man selber oder die Bank hat.
Meine Drumbos (über die ich vor ein paar Jahren geschrieben habe) sind die kleine Größe und müßten deshalb mit Messer benutzt werden.


Sammler unterscheiden außerdem zwischen "still banks" ohne Mechanik oder "mechanical banks", die etwas tun, wenn man Geld einwirft, und die besonders in den USA sehr gefragt sind. Die ersten waren zum Beispiel aus Zinn, in den USA auch aus Gußeisen gemacht.
Hunderte von Variationen wurden hergestellt, mit Musik, mit Zählwerk oder mit Bewegung.
Es gibt auch die Verkaufsautomaten wie meine Stollwerck "Victoria" (über die ich hier geschrieben habe), die einem Schokolade oder Bonbons "verkauften".


Mein eigene Lieblingsspardoes war jedoch mein Tresor. Keine Ahnung, wohin er verschwunden ist, aber wahrscheinlich hat er meine gierigen Kinderhände nicht überlebt, die an die Pfennige darin wollten.
Da ich im Moment keine Spardose hatte, habe ich mir selbst eine zum Geburtstag geschenkt (ja, ich mache die seltsamsten Geburtstagsgeschenke). Der Tresor meiner Kindheit war grau, aber ich denke, ich kann mit einer kleinen Farbänderung leben.
Ich bin mir sicher, daß mein Geld jetzt völlig sicher vor Einbrechern sein wird 
😉



Quellen:

1. World Savings Day and the Piggy Bank. History and curiosity. Auf: UniCredit Webseite, 31. Oktober 2023 (auf Englisch)
2. 
Spardosen. Wer den Pfennig nicht ehrt, Spardosen aller Zeiten. Auf: Kreissparkasse Köln - Geldgeschichte (folgt auch all den verschiedenen Links am Ende für detailliertere Artikel und Bilder von unterschiedlichen Sparbüchsen)
3. Jörg Bohn: Spardosen. Auf: Wirtschaftswundermuseum

Freitag, 27. Juni 2025

Happy Bratcha Day - ähm, Gotcha Day!

Ich denke mal, der Titel sagt schon alles.
Es ist unglaublich, aber vor vier Jahren betrat - naja, eigentlich wurde er getragen - Gundels und meine Welt und veränderte sie für immer.
Ein winziges Kätzchen mit einem dicken Bauch, einem riesigen Ego, dem Drang nach Zerstörung, den Zähnen und Klauen eines mächtigen Raubtiers, den besten Schmusern und Plänen für die Wohnungsherrschaft (weil er nicht nach draußen durfte, um stattdessen die Welt zu übernehmen).

Ich habe seine Geschichte schon zu seinem Geburtstag im April erzählt, also werde ich jetzt einfach ein paar Bilder teilen, alt und neu in willkürlicher Reihenfolge.














Happy Gotcha Day, du großes altes geliebtes Gör! 💗

Donnerstag, 26. Juni 2025

Stummfilme - Das Wachsfigurenkabinett

Ich muß gestehen, daß ich den heutigen Film - "Das Wachsfigurenkabinett" von 1924 auf zwei Mal angeschaut habe. "Das Wachsfigurenkabinett" ist ein Episodenfilm in drei Teilen, wobei der erste Teil am längsten ist, also war es leicht, danach eine Pause einzulegen.
Es scheint, daß meine Aufmerksamkeitsspanne ernsthaft leidet, wenn die Temperaturen in meiner Wohnung über in etwa 
24 °C steigen, und jetzt gerade bin ich bei fast 27. Ich weiß, das hört sich für andere seltsam an, aber ich war nie ein Fan von Hitze.
Auf jeden Fall habe ich etwas zu kämpfen. Es war auch das erste Mal, daß ich einen ausgewählten Film (Der Student von Prag) dafür abgebrochen habe, daß er mich nicht ansprach, Wortspiel beabsichtigt, auch wenn es ein schlechtes ist, und mich mehr als einmal zum Einschlafen brachte.
Ob die Filmqualität schuld war - das Bild war sehr verschwommen - das Aussehen der Hauptfigur - sehr oberflächlich von mir, ich weiß - die Hitze, die meinen Schlafrhythmus völlig durcheinanderbringt, oder etwas ganz anderes, kann ich euch nicht sagen. Vielleicht sollte ich es irgendwann nochmal probieren.

Originalposter, Public Domain
über Wikimedia Commons

Ihr wißt, wie's läuft, hier ist die Handlung mit Spoilern.

Ein junger Dichter ist auf einem Jahrmarkt, wo er sich Geschichten für ein paar Wachsfiguren ausdenken soll.
Der Betreiber des Kabinetts und seine schöne Tochter zeigen ihm die drei Figuren - Kalif Harun Al-Rashid, Zar Iwan der Schreckliche und Spring-Heeled Jack (da die Zensoren nicht glücklich damit waren, daß er Jack the Ripper genannt wurde). Er zeigt ihm, daß der Kalif seinen Arm verloren hat, was den Schreiber direkt auf eine Idee für die erste Geschichte bringt, in der ...

Emil Jannings als der Kalif, Wilhelm Dieterle als der Schreiber/Assad,
Olga Belajeff als die Tochter/Maimune

... der Kalif auf seinem Dach eine Partie Schach spielt, nunja, eigentlich eine Partie Schach verliert. Seine Stimmung wird durch den Rauch, der vom Kamin des Bäckers Assad aufsteigt, nicht verbessert und er sendet den Wesir aus, damit er ihm Assads Kopf bringt.
Der Wesir nimmt ein paar Männer mit, schärft auch sein Schwert, wird dann aber von Assads Ehefrau Maimune und ihrer Schönheit abgelenkt, statt ihn also töten, geht er zurück zum Kalifen, um ihm von ihr zu berichten.
In der Zwischenzeit geraten der eifersüchtige Assad und Maimune in Streit, und um zu beweisen, daß er ein echter Kerl ist, geht Assad zum Palast, um den Wunschring des Kalifen zu stehlen, während der Kalif zu seinem Haus geht, um der schönen Maimune einen Besuch abzustatten.
Assad dringt in den Palast ein und schneidet den Arm des schlafenden Kalifen ab, um an den Ring zu kommen. In Wirklichkeit ist es aber eine Wachsfigur, zurückgelassen, um Haruns Eskapade und den Versuch, Maimune zu verführen, zu vertuschen.
Als Assad heimkommt, versteckt Maimune den Kalifen im Ofen. Assad gesteht sein Verbrechen und die Leibwache macht sich bereit, ihn zu verhaften, aber seine Frau benutzt den falschen Wunschring am Wachsarm, um den Kalifen wieder "zum Leben zu erwecken".
Außerdem "wünscht" sie sich, daß Assad Bäcker von Harun wird, der sie beide schützend unter seinen weiten Mantel nimmt.

Mit der Geschichte zufrieden beginnt der Schreiber mit der nächsten für Zar Iwan den Schrecklichen.

Conrad Veidt ist ein großartiger Iwan der Schreckliche -
ich bin mir sicher, seine unglaublichen Augen helfen dabei!

Iwan wird nicht umsonst der Schreckliche genannt. Er läßt seine Gefangenen gern vergiften und sieht ihnen beim Sterben zu, während die letzten Sandkörner durch eine Sanduhr rinnen, die ihre Namen tragen. Als der Hofastrologe ihn warnt, daß einmal sein Name auf einer Sanduhr enden könnte, läßt Iwan den Giftmischer töten, der aber hat den Namen des Zaren schon auf eine riesige Sanduhr geschrieben, bevor er stirbt.
Am nächsten Tag wird Iwan zur Hochzeit der Tochter eines Adligen eingeladen. Aus Furcht vor Meuchelmördern tauscht er die Kleiden mit dem Adligen und tatsächlich wird der Mann ermordet.
Auf der Hochzeit zwingt er all die Gäste, die um den Vater der Braut trauern, dazu zu tanzen und feiern. Als er die Braut findet, wie sie über dem toten Körper ihres Vaters weint, entführt er sie und den Bräutigam.
Zurück im Kreml läßt er den Bräutigam foltern, als die Braut sich weigert, auf seine Annäherungsversuche einzugehen. Als sie fast aufgegeben hat, kommt der Astrolge mit der riesigen Sanduhr herein, die den Namen des Zaren trägt. Als Iwan vom Gedanken an seinen Tod abgelenkt ist, entkommt das Brautpaar.
Iwan, im Glauben, vergiftet worden zu sein, hat die Idee, die letzten Sandkörner vom Fallen abzuhalten, und so dreht er die Sanduhr herum ... und herum ... und herum ... bis ans Ende seiner Tage.


Werner Krauß als Spring Heeled Jack (Jack the Ripper), sehr gruselig!

Als er mit der letzten Geschichte über Spring Heeled Jack anfängt, schläft der Schreiber ein und beginnt zu träumen, daß er und die Tochter des Betreibers über den Jahrmarkt hinweg von Jack verfolgt werden, der sie töten will.
Gerade als sie glauben, Jack entkommen zu sein, holt er zu ihnen auf und ersticht den Schreiber.
Die Tochter des Betreibers weckt ihn aus seinem Alptraum auf und er stellt fest, daß er sich selber mit seinem Stift gepiekst hat. Er gibt zu, geträumt zu haben, wie Jack sie ihm weggenommen hat, und bekommt ein Happy End zu seiner eigenen Geschichte, als sie sich küssen.

Was euch bestimmt als erstes auffallen wird ist, daß "Das Wachsfigurenkabinett" einer dieser frühen deutschen Filme des Expressionismus ist.
Die Besetzung ist eindrucksvoll mit großen Schauspielern dieser Zeit, Emil Jannings, Conrad Veidt und Werner Krauß, die kunstvolle Kostüme tragen, und das Set, von Regisseur Paul Leni (zusammen mit Walter Maurischat gebaut) bereichert jede Geschichte.

Assads Flucht aus dem Palast. Erinnert euch das Set an etwas?
Die seltsamen Winkel in Das Cabinett des Dr. Caligari vielleicht?

Da ist das kleine Heim des Bäckers und seiner Frau, das mit dem riesigen Kalif darin sogar noch kleiner aussieht. Tatsächlich sieht das Paar ebenfalls ganz schön klein aus, wenn es neben ihm steht.
Durch den großen Zaren sehen die Keller des Kreml sogar noch klaustrophobischer aus. Veidt war 1,89 oder 1,91 (ich habe beides gefunden) und hatte außerdem diesen brennenden Blick, der perfekt für die Rolle war. Von den drei Geschichte war dies seinetwegen meine liebste, obwohl Iwan wirklich kein netter Kerl ist.
Die dritte Geschichte war am kürzesten, aber eindrucksvoll. Ich glaube, wir könnten alle einen solchen Alptraum nachvollziehen.
Werner Krauß, der den Schreibe und seine Liebste über den Jahrmarkt jagt, könnte leicht einer meiner eigenen (glücklicherweise seltenen) schlechten Träume sein. Die Atmosphäre wird nicht nur vom Set unterstützt, sondern auch die Überblendung, die einen geisterhaften Jack dem Liebespaar folgen läßt.

Ich habe gelesen, daß dies ein früher Horrorfilm sei, aber da kann ich nicht komplett zustimmen, denn die Harun-Geschichte, die fast den halben Film ausgemacht hat, ist meiner Meinung nach kein Horror.
Leider hat es schon immer Tyrannen gegeben, die von einer Laune zur nächsten springen und danach handeln, ohne über andere nachzudenken.

Die Geschichte über Iwan ist gruselig und furchterregend, aber nicht so weithergeholt, wenn man sie die Geschichte anschaut.

Dann bleiben noch die sechs Minuten mit Jack, was meiner Meinung nach gut zu dieser Kategorie paßt. Wäre die Geschichte länger gewesen, hätte das guter Horror sein können, aber am Ende wurde das ziemlich schnell weggelacht, als der Schreiber aufgewacht ist.

Ursprünglich waren vier Geschichten geplant gewesen, aber die Geschichte um den Räuberhauptmann Rinaldo Rinaldini nach einem Roman von 1799 mußte aus Geldmangel fallengelassen werden. Ziemlich ironisch, findet ihr nicht, wenn man weiß, daß Rinaldini im Buch um sein Erbe gebracht wurde.

Ich finde, es wäre besser gewesen, eine kürzere erste und längere dritte Geschichte zu haben, der Film hat mir aber trotzdem gefallen.


Quellen (englischsprachig):

1. Fritzi Kramer: Waxworks (1924) - A Silent Film Review. Auf: Movies Silently, 3. Februar 2013
2. Alex Humphrey: Waxworks [Das Wachsfigurenkabinett] (1924) Review. Auf: Love Horror, 6. November 2020
3. Graham Fuller: Blu-ray: Waxworks (1924) review. Auf: theartsdesk.com, 24. November 2020

Es tut mir leid, daß meine Quellen meist nur englischsprachig sind, aber mein englischer Blog wird einfach mehr frequentiert und der Zeitaufwand für die Recherche ist oft so groß, daß ich nicht auch noch die Zeit finde, adäquate deutsche Quellen zu suchen. Sollte euch ein Artikel interessieren, gibt es Übersetzungsprogramme, die zumindest einen Eindruck vermitteln können.

Dienstag, 24. Juni 2025

Aus meinem Kinderbuchschrank - Kasperle von Josephine Siebe

Ich weiß nicht, ob mir das wirklich jemand erzählt hat, ob ich es mir selber ausgedacht oder geträumt hatte (was witzig wäre), aber im Alter von fünf glaubte ich, wenn man dreimal dasselbe träumte, würde es wahr werden.
Ich habe immer lebhaft geträumt und in späteren Jahren hatte ich auch sich wiederholende Träume, aber der besondere Traum, auf den ich damals wartete, wollte sich einfach nicht einstellen.
Also setzte ich mich auf meine Bettcouch, kniff die Augen zusammen und konzentrierte mich sehr stark. Ihr möchtet wissen, wovon ich wollte, daß es wahr würde? Ich wollte sooo sehr ein lebendiges Kasperle haben.
Ich schlief nicht ein, ich träumte nicht, ich bekam kein lebendiges Kasperle, die Enttäuschung war groß.
Die Schuld für diese Enttäuschung gab ich Josephine Siebe und ihren Kasperle-Büchern.

Eine leinengebundene Ausgabe des ersten Bandes von 1951

Die Geschichte des Kasperle (auch Kasperl oder Kasper, je nach Region) ist lang. Es ist eine Puppe (überwiegend Handpuppe), die ihren Ursprung vermutlich in Österreich hat. In deutschsprachigen Ländern kannte man sie seit dem Ende des 18. Jahrhunderts.

Public Domain über Wikimedia Commons

Ähnliche Puppen sind zum Beispiel Punch aus dem Vereinigten Königreich, Guignol aus Frankreich oder Pulcinella aus Italien.
Diese Art von Puppenspiel war urspünglich nicht auf Kinder ausgerichtet und konnte recht gewalttätig sein und später auch für politische Zwecke verwendet werden, zum Beispiel den Nationalsozialisten.
In den 20ern tauchte jedoch auch ein pädagogischer Kasper auf, der versuchte, ein jüngeres Publikum zu lehren, das Richtige zu tun. Dies ist auch die Art Puppentheater, die heute noch existiert.

Ein Freund von uns hatte als Hobby mit einem seiner Freunde ein Puppentheater aufgebaut. Nachdem dieser Freund verstorben war, nahm der Ex seinen Platz für gelegentliche Aufführungen in einer Bücherei ein. Natürlich war das lang, bevor alle möglichen Geräte komplett übernahmen.
Es war toll, die Reaktionen der Kinder zu sehen, die meinen sehr ähnlich waren, als ich als Kind ein Puppenspiel gesehen hatte. Ich habe keine Ahnung, ob das auch jetzt noch funktionieren würde oder ob die Kinder einfach immer jünger werden. Es gibt da draußen nämlich noch Puppentheater, ich sehe manchmal Plakate in der Stadt hängen.

Eine Ausgabe des siebten Buches von 1957,
die das typische Kasperle mit einer großen Nase,
in bunter Kleidung und mit einer Zipfelmütze zeigt

Aber was ist nun mit dem lebendigen Kasperle?
Mehrere Jahre lang arbeitete Josephine Siebe als Redakteurin für die Frauenbeilage einer Zeitung und schrieb Artikel, Rezensionen und Feuilletons, dazu gehörten auch Beiträge über die Frauenbewegung.
Zwischen 1900 und1940 schrieb sie fast 70 Kinderbücher, die bekanntesten sind die sieben Kasperle-Bücher, die zwischen 1921 und 1930 erschienen. Wie ihr daraus ablesen könnt, daß ich sie noch in den frühen 70ern gelesen habe, waren sie recht beliebt und tatsächlich sind sie noch gedruckt oder als E-Books erhältlich, die deutschen findet man außerdem auf Projekt Gutenberg-DE.
Siebes Bücher wurden von einigen der bekanntesten Illustratoren der Zeit illustriert, in Farbe oder in Schwarz-weiß.

Kasperle trägt in dieser Szene nicht seine eigenen Kleider, da er sie, um weniger
aufzufallen, zurückgelassen hat, was nicht zu klappen scheint!

Die Geschichte beginnt in einem kleinen Waldhaus. In diesem Haus lebt ein Holzschnitzer, Meister Friedolin, mit seiner Frau Annette und ihrem Adoptivtöchterchen Liebetraut. Er schnitzt Kasperlepuppen und seine Frau macht die Kleidung dafür.
Eines Tages sagt Liebetraut, sie wünsche sich, die Puppen wären lebendig und Meister Friedolin erzählt ihr, daß sein Ur-Ur-Ur-Großvater ein lebendiges Kasperle hatte. Er war ihm eines Nachts im Wald begegnet und hatte ihn mit nach Hause genommen, dann begann er, nach seinem Vorbild Puppen zu schnitzen anstatt der Heiligenbilder und des Hausrats, die er vorher gemacht hatte. Nachdem Friedolins Vater aber gestorben ist, ging das Geheimnis, wo das Kasperle war, verloren.
Eine Weile später sucht Friedolin etwas in seinen Schränken und findet einen kleinen Spalt. Als er zieht, öffnet sich eine kleine Tür und heraus kommt das verlorene Kasperle! Sie finden eine Notiz bei ihm, in der steht, daß der Lehrbub des Vorfahren ihm einen Schlaftrunk gegeben hat. Nun verstehen sie auch, warum ein Händler aus der Stadt dauernd versucht, die alten Schränke zu kaufen. Er ist ein Nachfahre des Lehrbubs und wußte daher vom Kasperle.

Nach einem kleinen Streit rennt Kasperle in den Wald, reist dann herum und hat Abenteuer, mit einem Bauer, in einem Schloß, in einer Schule, mit einem Gärtner - und da trifft er Herrn Severin, der weiß, woher er gekommen ist. Kasperle ist nicht wie Pinocchio, der sich von einer Puppe in einen echten Jungen verwandelt hat. Er kommt von einer fernen Insel, wo die Kasperle leben, aber keiner weiß, wo diese Insel ist.
Am Ende bringt Herr Severin Kasperle ins Waldhaus zurück, verliebt sich in Liebetraut und heiratet sie. Kasperle ist glücklich darüber, zurück zu sein, denkt sich aber, auf der Insel, wo er zuhause ist, könnte es sogar noch besser sein.


Über die nächsten paar Bücher hat Kasperle viele Abenteuer und ich liebte sie alle. Er geriet oft in Schwierigkeiten, wurde eingesperrt und entkam wieder, hatte Feinde und sehr gute Freunde, kam nach Hause zurück, und er fand sogar seine Insel, verließ sie aber am Ende wieder, weil ihm seine Freunde fehlten.


Ich verbrachte als Kind so manch glückliche Stunde mit Kasperle und kaufte mir irgendwann selber ein paar ältere Ausgaben von allen sieben Büchern, die übrigens auch in mehrere Sprachen übersetzt wurden.
Wenn Kasperle zuviel gegessen hat oder irgendwo herunterfällt, ist er sich sicher, daß er sterben wird, aber statt "ich sterbe" sagt er "ich stirbse". Ich liebte dieses Wort, als ich klein war, und verwende es sogar heute noch manchmal.
Vielleicht ist Kasperle, wie ich selbst gern gewesen wäre. Er war völlig frei und impulsiv und dachte definitiv nie zuviel über etwas nach.

Habt ihr je von Siebes Kasperle gehört oder die Bücher vielleicht sogar selber gelesen?


Quelle:

Nina Preißler: Siebe, Josephine - Leipziger Frauenporträts. Auf: Webseite Stadt Leipzig, 2014

Samstag, 21. Juni 2025

Einfach nur so Samstag - Sparschweine, Teil 1

Dieser Post wurde von einem weiteren "daily thread" in meinem Schmuckforum inspiriert. "Habt ihr ein Sparschwein gehabt? Wie hat es ausgesehen?"
Hört sich das nicht wie ein weiteres großartiges Kaninchenloch an?
Ihr müßt nämlich wissen ... ich hatte tatsächlich selber mehr als eins im Laufe der Jahre. Ihr wahrscheinlich auch?


Woher kommen Sparschweine aber eigentlich her und warum heißen sie so? Schließlich sehen nicht alle auch wirklich wie Schweine aus.

Schauen wir uns doch mal die Geschichte des Spardose, Sparbüchse, wie auch immer sie nennen wollt, an.
Hättet ihr gedacht, daß es schon seit der Antike gibt?
Ich habe zwei verschiedene Informationen zur ältesten bekannten Spardose auf der Welt gefunden. Die erste ist eine, "Thesauros" (oder einer Quelle zufolge "Naiskoi") genannt, die die Form eines Tempels hat und in Priene gefunden wurde, einer antiken griechischen Stadt (heute auf türkischem Boden) und auf das 2. Jahrhundert vor Christus datiert wird.

Spardose in der
Antikensammlung Berlin,
Bild von Marcus Cyron
,
CC BY-SA 3.0
(über Wikimedia Commons)

Eine weitere Quelle sagt jedoch, daß das Irakische Nationalmuseum in Bagdad 1990 eine sogar noch ältere in ihrer Ausstellung zeigte, obwohl nicht klar ist, ob sie noch existiert.
Sie wurde in einem Wohnhaus in Babylon gefunden und auf das Ende des 4. oder den Anfang des 3. Jahrhunderts vor Christus datiert. Sie wurde auf einer Töpferscheibe gefertigt und sieht wie eine Amphore aus, in die an der Seite ein Schlitz geschnitten wurde.
Diese einfach herzustellenden Spardosen, die auf der ganzen Welt beliebt waren und noch produziert werden, mußten zerbrochen werden, um an das Geld zu kommen ("die Bank sprengen"). Ihr könnt hier ein Bild davon finden.

Tontöpfe, die in Nepal benutzt werden,
Bild von Krish Dulal
, CC BY-SA 3.0 
(über Wikimedia Commons)

Im Laufe der Zeit gab es Spardosen in allen möglichen Formen und Materialien, aber wo kommt das Schwein ins Spiel?
Das älteste Sparschwein in Deutschland ist aus dem 13. Jahrhundert (wieder gibt es unterschiedliche Meinungen dazu, in diesem Fall darüber, ob es tatsächlich ein Sparschwein ist oder einfach eine Schweinefigur).
Dann ist da noch die Information über eines von 1576, 
aber es sieht eher so aus, als ob diese Geschichte einen satirischen Hintergrund hatte und dann als Wahrheit weiterverbreitet wurde.
Schweine sind seit der Antike ein Symbol für Glück und Wohlstand. Es gibt verschiedene Theorien bezüglich der Gründe. Wir sagen ja, jemand "hat Schwein", wenn ein unerwarteter Glücksfall eintritt. Also macht es Sinn, daß gerade ein Schwein dafür verwendet wird, um durch Sparen diesen Wohlstand zu erreichen.

Verifizierte Sparschweine aus dem 12. Jahrhundert wurden auf der Insel Java gefunden, obwohl es sich hier eigentlich um Wildschweine handelt.
Ich frage mich, ob das hier aus dem 14./15. Jahrhundert wohl altershalber zerbrochen ist oder weil jemand das Geld herausholen wollte ...

Majapahit Terracotta-Sparschwein,
Trowulan, Ostjava,
Bild von Gunkarta
CC BY-SA 3.0
(über Wikimedia Commons)

In Stuttgart gibt es ein Schweinemuseum mit über 50000 Stücken, das eine interessante Mischung aus Geschichte, Kunst und Kitsch ist.
Ja, ich war selber schon dort und war sehr froh, daß es in dem zugehörigen Restaurant auch eine vegetarische Auswahl gab.
Natürlich haben sie auch ein paar Sparschweine hinter Glas.



Woher kommt aber der Begriff "Sparschwein"? Er wird ja auch oft für Ersparnisse im allgemeinen oder für Spardosen, die nicht mal wie ein Schwein aussehen, verwendet.
Gab es erst das Schwein als Figur, die dann zum Sparschwein wurde, oder entwickelte sich die gewöhnliche Tonspardose irgendwie zum Sparschwein?
Im Englischen gibt es zur "piggy bank" verschiedene Theorien. Aber gab es wirklich eine Tonart, die "pygg" genannt und zur Herstellung von Schüsseln und Töpfen benutzt wurde, in denen Westeuropäer ihr Geld sammelten und dann irgendwann Töpfer anfingen, Sparschweine zu machen?
Wurde das Wort "pig" allgemein für Töpferwaren benutzt?
Wenn eine dieser Theorien stimmt, wie kam das Schwein dann nach Deutschland, wurde es einfach übersetzt? Was ist mit dem möglichen Sparschwein aus dem 13. Jahrhundert? Was gab es zuerst, das "Sparschwein" oder die "piggy bank"?
Stimmt es, daß deutsche Einwanderer dabei halfen, die Schweineform in den USA beliebt zu machen?
Merriam-Webster sagt uns, das Wort "piggy bank" wurde das erste Mal 1917 benutzt, das Oxford English Dictionary spricht von 1913.
Werden wir es je wissen? Ist es überhaupt wichtig?

Es gibt noch soviel mehr zur Geschichte von Spardosen, daß ich beschlossen habe, hier aufzuhören und einen zweiten Post darüber zu schreiben, in dem ich dann auch ein paar meiner eigenen Erinnerungen teilen werden, die dank dieses Posts geweckt wurden.
Den Post könnt ihr hier finden, sobald er live ist.



Ausgewählte Quellen:

1. Spardosen. Wer den Pfennig nicht ehrt, Spardosen aller Zeiten. Auf: Kreissparkasse Köln - Geldgeschichte 
2. Twisted tail: The great piggy bank mystery. Auf: BBC. StoryWorks (auf Englisch)
3. David M. Robinson: Some Roman Terra-Cotta Savings-Banks. In: American Journal of Archaeology, 28(1924),3, pp. 239 - 250 (open access, auf Englisch)
4. Hans Graeven: Die thönerne Sparbüchse im Altertum. In: Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts, 16(1901), pp. 160 - 189 

Donnerstag, 19. Juni 2025

Stummfilme - Der große Eisenbahnraub

Heute habe ich noch einen Kurzfilm für euch. Als ich mit diesem Projekt anfing, fand ich eine Liste von Stummfilmempfehlungen. Der hier stan darauf und einen Western hatten wir ja noch nicht.
Betreten wir also die Welt des Westerns mit
 "Der großen Eisenbahnraub". Also irgendwie, aber dazu komme ich noch.

In den frühen 1900ern, als Filme noch eine Neuheit waren und überwiegend kurze Einblicke in das gewöhnliche Leben gegeben hatten - wer könnte den Zug vergessen, der in einen Bahnhof einfuhr oder Arbeiter, die eine Fabrik verließen, fesselnder Stoff! (ich will mich gar nicht lustig machen, zur der Zeit war es das wirklich) - war ein Film von 12 Minuten (obwohl die Versionen auf YouTube unterschiedliche Längen haben, vielleicht liegt es an der Geschwindigkeit?) und mit einer Handlung schon ziemlich unglaublich.



Erstmal zur Handlung (mit Spoilern).
Der Titel verrät ja schon etwas.
Zwei maskierte Männer dringen in ein Telegrafenbüro der Eisenbahn ein und zwingen den Mitarbeiter, den Zug anzuhalten und dem Lokführer die Anweisung zu geben, an dieser Station Wasser nachzufüllen, bevor sie ihn bewußtlos schlagen und fesseln.
Die Bande versteckt sich hinter dem Wassertank und schleicht sich dann in den Zug. Zwei der Banditen dringen in den Postwaggon ein, wo der Mitarbeiter gerade die Post prüft. Er wird getötet und die Räuber öffnen die verschlossene Geldtruhe mit Dynamit.
Inzwischen gehen die anderen Banditen zur Lokomotive. In einem Kampf auf dem Tender wird der Heizer getötet und vom Zug geworfen. Der Lokführer wird zum Abkoppeln der Lokomotive gezwungen. Die Banditen befehlen den Passagieren, die Waggons zu verlassen, und nehmen sich ihre Wertsachen. Ein Fahrgast, der zu entkommen versucht, wird erschossen.
Danach flüchtet die Bande in der Lokomotive. Nach ein paar Meilen verlassen sie den Zug und gehen zu ihren Pferden, die sie in der Nähe an ein paar Bäumen angebunden haben.
Die Szene schneidet zum Telegrafenbüro zurück, wo der Mitarbeiter versucht, telegrafisch um Hilfe zu bitten, bevor er wieder bewußtlos wird. Seine Tochter kommt herein, zerschneidet die Seile und weckt ihn auf, indem sie im Wasser ins Gesicht schüttet.
Als nächstes sehen wir Tänzer in einem Tanzlokal, als der Telegrafenangestellte hereinkommt, um zu erzählen, was geschehen ist. Die Männer nehmen sich ihre Waffen und verfolgen die Banditen.
Als sie sie finden, wird einer der Banditen erschossen, die anderen drei entkommen. Sich in Sicherheit wiegend, gehen sie die Postsäcke durch, aber der Suchtrupp schleicht sie ohne Pferde an sie heran. Ein Kampf bricht aus, der das Leben der Banditen und das einiger Mitglieder des Trupps kostet.
Der Anfährer der Outlaws zielt und schießt aus nächster Nähe auf die Zuschauer.

Ihr denkt, ich habe das Bild versehentlich ein zweites Mal
eingefügt? Nein.
Aus dem Edison-Filmkatalog 1904:
"Dieser Abschnitt der Szene kann entweder am Anfang
gezeigt werden oder am Schluß, das
darf der Vorführer entscheiden.

Für einen Kurzfilm von 12 Minuten ist die Zahl der Toten ganz schön hoch (ich glaube, nicht mal "Inspektor Barnaby" könnte da mithalten).
Warum habe ich gesagt, daß dies "irgendwie" ein Western ist?
Für uns sieht er wie einer aus, wir haben Pferde, wir haben Cowboys, die ganze Umgebung paßt. Für die Leute damals aber konnte das ihr alltägliches Umfeld sein und der Film könnte direkt aus der Zeitung stammen.
Zugüberfälle "traten kurz nach dem Bürgerkrieg auf" und "waren in den 30ern überholt". Die Anzahl der Toten bei Räubern und Fahrgästen konnten hoch sein, vor allem, wenn sich Mannschaft und Passagiere wehrten, wenn aber alles klappt, konnte die Beute den Versuch durchaus wert sein. Da frühe Überfälle oft ungestraft blieben und Wertsachen nun eher mit dem Zug als mit der Postkutsche transportiert wurden, wurde die Vorstellung eines Verbrechens, für das man keine besonderen Fähigkeiten brauchte, in den USA recht populär.
Der "Wilde Westen" war auch schon zuvor auf Film gezeigt worden, zum Beispiel Aufnahmen von Annie Oakley oder  Buffalo Bill, aber nie mit einer Handlung, also könnte man sagen, daß dies die Faszination für Western anstachelte.
Ich habe auch gelesen, daß dies der erste Film mit einer Geschichte war und auf einem Blog wurde tatsächlich erklärt, warum sie fanden, daß er mehr Geschichte erzählte als Méliès's Reise zum Mond, aber da konnte ich nicht zustimmen. Dann fand ich ein Zitat aus einem TCM-Artikel. Der Link funktionierte nicht mehr, aber im Zitat hießt es, daß der Film "der erste einflußreiche erzählerische Film wurde, in dem der Schnitt fantasievoll war und zur Erzählung beitrug."
Damit konnte ich leben.

Der Film nutzte Parallelmontagen, also das Hin- und Herwechseln zwischen zwei Szenen, die zeitgleich geschehen, in diesem Fall zwischen den Banditen und dem Suchtrupp.
Während es zwar Sets gab, die wie eine Bühne aussahen, spielt ein großer Teil der Handlung auch draußen, was dem Film ein realeres Aussehen gab, und nochmal, die Handlung war etwas, das die Leute nachvollziehen konnten, entweder weil sie dort lebten oder durch Zeitungsartikel.
Es ist etwas amüsant, hier die "Uhr" an der Wand zu sehen, aber zur selben Zeit sieht man einen Zug an dem großen Fenster vorbeifahren. Hier ist es ein sogenannter "matte shot", der der Szene Wirklichkeit verleiht.


Oder nehmt diese Szene. Ihr habt nich nur den "Spezialeffekt" der Explosion, sondern im Hintergrund seht ihr auch durch die offene Waggontür, daß der Zug an Bäumen vorbeirauscht, ebenfalls ein "matte shot".


Der Film war ein Riesenerfolg. Stellt euch mal vor, wie er auf das Publikum gewirkt haben muß.
Er war dynamisch, zeigte Gewalt und Gerechtigkeit, und es gab sogar einen komischen Moment, als ein Mann in das Tanzlokal kommt und die Männer auf seine Füße schießen, um ihn zum Tanzen zu bringen (wenn das mal kein Cowboyklischee ist, aber so etwas scheint tatsächlich vorgekommen zu sein). Es ist kurz, es hat nichts mit dem Rest des Films zu tun, aber sogar heute noch haben wir manchmal solche Szenen. Alles, um die Zuschauer zu unterhalten.

Auf uns wirkt manches davon heute witzig, so wie die offensichtliche Puppe, die der Bandit vom Zug wirft. Mir machte allerdings nicht mal der Draht in Dracula fast 30 Jahre später etwas aus. Wer weiß, wäre es ein Keaton-Film gewesen, hätten sie vielleicht einen Stuntman runtergeworfen.
Ich war beeindruckt von der Menge an Fahrgästen, die aus dem Zug aussteigen. Ich gestehe, ich mußte kurz an ein Clownauto denken, aber dann fielen mir Erinnerungen an meine Pendlerei ein und plötzlich wirkten die Anzahl der Fahrgäste auf mich ganz normal.
Und das theatralische Spiel? Ich hab's geliebt. Wenn man schon nicht schreien kann, wenn man stirbt, sollte einem wenigstens erlaubt sein, dramatisch zu sterben. Je mehr Stummfilme ich anschaue, um so mehr schließe ich meinen Frieden mit gewrungenen Händen und Augenrollen.

Glaubt es oder nicht, dieser Schauspieler - Gilbert M. Anderson - ist außerdem
einer der Banditen und auch das Greenhorn in der Tanzlokalszene,
er wurde später als "Broncho Billy" ein richtiger Westernstar. 

Wenn ihr Western mögt, sollte ihr diesem Film eine Chance geben.
Es gibt auch Versionen, in denen einige der Kleider oder Effekte handbemalt sind, aber nicht die, die ich angeschaut habe, also kann ich euch nicht sagen, ob das die Erfahrung noch steigert.

Der Film inspirierte übrigens auch einen weiteren vom selben Regisseur, Edwin S. Porter.
Ihr könnt "Der kleine Eisenbahnraub" von 1905, der uns eine Kindergang zeigt, die für Süßigkeiten einen Miniaturzug überfallen, hier anschauen. Ich fand das Ende klasse. Es war aber nicht jeder so glücklich mit diesem Kurzfilm, weil sie dachten, er würde Kinder zu Kriminellen machen!



Ausgewählte Quellen (englischsprachig):

1. Fritzi Kramer: The Great Train Robbery (1903) A Silent Film Review. Auf: Movies Silently, 3. November 2013
2. Jeff Arnold: The Great Train Robbery (Edison, 1903). Auf: Jeff Arnold's West, 8. März 2021
3. Chris Scott Edwards: The Great Train Robbery (1903). Auf: Silent Volume, 12. Juli 2009
4. The Fascinating Story of 1903's Biggest Movie. Auf dem YouTube-Kanal "Toni's Film Club"
5. Rick Ruddell und Scott Decker: Train Robbery: A Retrospective Look at an Obsolete Crime. In: Criminal Justice Review, 42(2017),4, Seiten 333 - 348 (Closed Access)

Es tut mir leid, daß meine Quellen meist nur englischsprachig sind, aber mein englischer Blog wird einfach mehr frequentiert und der Zeitaufwand für die Recherche ist oft so groß, daß ich nicht auch noch die Zeit finde, adäquate deutsche Quellen zu suchen. Sollte euch ein Artikel interessieren, gibt es Übersetzungsprogramme, die zumindest einen Eindruck vermitteln können.

Dienstag, 17. Juni 2025

Nostalgie - Glanzbilder

Letzten Samstag habe ich über die Tradition des Poesiealbums geschrieben. Ich habe Glanzbilder erwähnt und daß wir welche in einem Geschenk für eine in Ruhestand gehende Kollegin verwendet hatten.
Was ich nicht erwähnt hatte war, daß ich vielleicht ein kleines bißchen mehr gekauft habe als wir brauchten, hauptsächlich weil wir verschiedene Bilder verwenden wollten und dabei völlig über Bord gingen, von Erinnerungen überwältigt.
Sprechen wir über Glanzbilder.


Glanzbilder haben im Deutschen auch noch viele andere Namen, von denen ich allerdings die meisten noch nie gehört hatte. Es gibt da wohl auch regionale Unterschiede.
Sie heißen zum Beispiel Oblaten, Poesiebilder, Kleebilder, Lackbilder, Vielliebchen, Philippchen und mehr.

Ihre Geschichte begann im 19. Jahrhundert. Zunächst waren sie schwarz-weiß und mußten von Hand ausgeschnitten werden.
Die Erfindung des Farbdrucks in Form der Chromolithographie im Jahr 1837 ermöglichte es, Ephemera in großer Anzahl, in guter Qualität und zu niedrigen Preisen zu drucken. Unter diesen Ephemera waren Serien von Sammelbildern, die verschiedenen Produkten als Werbung beilagen, in speziellen Alben gesammelt werden konnten und auch getauscht wurden (was natürlich heute noch beliebt ist, obwohl die Bilder mit der Zeit von Werbeartikeln zu selbständigen Produkten wurden).


Um 1860 begann die Berliner Fabrik Hagelberg damit, Bögen mit mehreren Bildern zu drucken, prägen und stanzen, die durch kleine Papierstege verbunden waren.
Bis 1900 war Berlin die Hochburg der Glanzbildproduktion, es gab aber auch viele andere Hersteller in anderen Länden, obwohl sie oft nicht ausschließlich Glanzbilder herstellten.
Glanzbilder wurden in Sammelalben verwendet, die auch mit Gedichten oder anderen Erinnerungsstücken gefüllt wurden. Auf Englisch heißen die Bilder "scraps" und das Anlegen solcher Alben "scrapbooking". Ich kannte zwar den Ausdruck Scrapbook, wußte aber nicht, woher er kam, weil das etwas ist, was ich selber nie gemacht hatte. In Deutschland, aber auch anderen Ländern, in denen Deutsch oder Holländisch gesprochen wird, wurden die Bilder auch für Poesiealben benutzt.


Die Motive waren oft sentimental und romantisch, Engel, Kätzchen, Welpen, Vögel, Blumen, Schmetterlinge, saisonale Themen, Kinder und vieles mehr.
Sie waren bunt, für mehr Tiefe auch geprägt und natürlich liebten wir die beglimmerten, also die mit Glitzer, am meisten, die waren aber auch teurer.


Glanzbilder sind übrigens nicht wie Aufkleber selbstklebend. Sie mußten in ein Album geklebt werden.
Es gab aber auch einen anderen Weg, wie ich dank eines Posts von einer schwedischen Bloggerin herausgefunden habe. Sie hat Sammelalben mit klebrigen Blättern gezeigt, auf die man die Bilder auflegen und dann mit einer Plastikfolie schützen konnte (es gibt ein Video dafür).
Glanzbilder sind auch heute noch beliebt, dank einer Nostalgiewelle, auch wenn das ein bißchen kitschig ist. Es gibt nur noch zwei große Firmen, eine in Deutschland, die tatsächlich erst in 1948 damit anfing und sie weltweit vertreibt, eine in England, die auch Papiermasken und vintage inspirierte Karten macht.
Sie mögen ja nicht mehr im altmodischen Poesiealbum auftauchen, werden aber immer noch gesammelt und in Bastelarbeiten wie Scrapbooking, Collagen, Decoupage oder der Kartenherstellung verwendet.


Interessant ist auch, daß der Miteigentümer der deutschen Firme in Seniorenheime ging (noch geht?), um dort kleine Ausstellungen zu machen und über Glanzbilder zu sprechen.
Die Geschichten und der visuelle Eindruck sollen Erinnerungen in den Menschen erwecken und sie zum Nachdenken über positive Erfahrungen in ihrem Leben bringen.


Ich habe welche von meinen Bildern verschenkt, die vermutlich ihren Weg in Freundschaftsbücher, die Nachfolger der Poesiealben, finden werden, habe aber auch ein paar behalten, obwohl ich noch keine Idee habe, was ich damit machen werde.
Tatsächlich habe ich darüber nachgedacht, ein weiteres Poesiealbum anzufangen, aber das würde bedeuten, daß das Album herumgeschickt werden müßte, da die meisten meiner Freunde nicht in meiner Stadt leben, und das hört sich für mich dann doch nach einem zu großen Aufwand für sie an.
Also schätze ich mal, ich werde sie einfach ab und zu anschauen ... und mich selber daran erinnern, daß ich mein Poesiealbum immer noch nicht gefunden habe! 
😆



Quellen (deutsch und englisch):

1. Die Geschichte der Glanzbilder-Produktion. Auf: Ernst Freihoff - Glanzbilder - Reliefs / Glanzbilder Historie
2. Scrap Reliefs Collection. Auf: Mamelok Papercraft (auf Englisch)
3. Peter Kolakowski: Glanzbilder. Auf: DW (Deutsche Welle), 19. November 2009
4. Glanzbilder - heile Welt auf Papier gebannt. In: Mindener Tageblatt, 22. Dezember 2012 (über Wayback Machine)
5. Hanna Andersson: Collectible vintage Scrap die-cuts | Glanzbilder or Bokmärken. Auf: Studio iHanna, July 27, 2020 (mit einem Video, auf Englisch)
6. Scrapbooking and the origin of scrap relief. Auf: Fantastik, 11. Januar 2024 (auf Englisch)