Als ich mein Stummfilmprojekt ankündigte, habe ich euch erzählt, daß ich damit aufgewachsen bin - nochmal, Wiederholungen, so alt bin ich nicht.
An was ich mich aus der Zeit am besten zu erinnern scheine, sind die Komödien. Laurel und Hardy (Kurzfilme), Harold Lloyd, Charlie Chaplin und natürlich Buster Keaton.
Für heute habe ich einen Buster-Keaton-Film ausgewählt, der nicht abendfüllend ist, aber ich konnte mich nicht daran erinneren, je davon gehört zu haben und er hörte sich nach Spaß an.
Es ist "Sherlock Jr." von 1924 über einen Filmvorführer, der davon träumt, ein Detektiv zu sein und die Liebe seines Mädchens zu gewinnen.
Der Film beginnt mit der Einführung der Hauptcharaktere - "Der Junge", der aus einem Buch lernt "Wie man ein Detektiv wird", sein Boss, der ihm sagt, er sollte stattdessen seinen Job machen, "Das Mädchen", "Der Vater des Mädchens", der "nichts zu tun hatte, also stellte er einen Mann als Hilfe dabei ein" (ich liebe es!) und "Der örtliche Scheich" (der Name ist eine Anspielung auf einen anderen Film), der ebenfalls am Mädchen interessiert ist.
Der Junge möchte dem Mädchen, das offensichtlich aus einer wohlhabenderen Familie kommt, eine große Schachtel Pralinen schenken, er hat aber nicht genug Geld. Also kauft er ihr schließlich die kleine Schachtel, ändert das Schild aber von 1 $ auf 4 $ und zeigt ihr beiläufig den Preis, um sie zu beeindrucken. Dann steckt er ihr einen Ring mit einem winzigen Stein an den Finger, für den sie die Lupe braucht, die der Junge dabei hat. Man sieht, daß sie ihn wirklich mag, denn obwohl sie enttäuscht ist, verbirgt sie das vor ihm.
Inzwischen hat der Scheich das Haus betreten. Da auch er kein Geld hat, den Jungen aber ausstechen will, nimmt er die Taschenuhr des Vater aus dessen Weste, die an der Garderobe hängt, um sie zu versetzen und die große Schachtel Pralinen zu kaufen.
Als er sie dem Mädchen überreicht, kommt der Vater herein, um zu erzählen, daß seine Uhr gestohlen wurde. Unser Möchtegern-Detektiv sagt, daß er den Fall übernehmen wird, und schaut in sein Buch. Der Scheich sieht, daß die erste Regel ist, alle zu durchsuchen, und schiebt den Pfandschein in die Tasche des Jungen.
Als der Vater den Jungen durchsucht, findet er den Pfandschein über 4 $, also geht der Austausch des Preisschilds damit nach hinten los, der Vater sagt ihm, daß er das Haus verlassen muß und das Mädchen gibt ihm den Ring zurück. Man kann aber sehen, daß beide deswegen sehr bestürzt sind.
Der Junge verdächtigt den Scheich und beschattet ihn ohne Erfolg, also geht er zurück ins Kinto.
Das Mädchen aber geht zur Pfandleihe und bittet um eine Beschreibung des Manns, der die Uhr gebracht hat. Genau da kommt zufällig der Scheich vorbei und der Pfandleiher erkennt, daß er derjenige ist, was das Mädchen daraufhin ihrem Vater berichtet.
Inzwischen hat der Junge den Film gestartet und schläft ein.
Sein Traumselbst steht auf und sieht, daß die Charaktere im Film sich in die aus seinem Leben verwandelt haben, also tritt er in die Leinwand ein.
Nachdem er zunächst hinausgeworfen wurde und dann eine Reihe von unterschiedlichen Szenen durchläuft, wird er - "the crime-crushing criminologist" (der verbrechenvernichtende Kriminologe) namens Sherlock Jr. - gerufen, weil vom Film-Scheich und seinem Komplizen eine Perlenkette gestohlen wird. Er sieht sehr schick aus in seinem eleganten Outfit, komplett mit Zylinder und Gamaschen, und schaut sich die schöne Dame der feinen Gesellschaft sehr genau an.
Die Diebe versuchen alles, um ihren Hals zu retten und den Detektiv umzubringen, aber er entkommt all ihren Versuchen sehr nonchalant ...
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"Am nächsten Tag hatte das Genie das Geheimnis vollständig aufgelöst - mit Ausnahme des Aufspürens der Perlen und des Auffinden des Diebs." |
Er folgt dem Scheich, von seinem Assistenten begleitet, und es gelingt ihm schließlich, die Halskette zurückzuholen und auf das Motorrad des Assistenten zu springen, der leider herunterfällt, ohne daß Sherlock Jr. es merkt.
Als nächstes kommt eine unglaubliche Verfolgungsjagd des Autos voller Gangster, die hinter dem Detektiv auf dem führerlosen Motorrad herrasen, der von einer Gefahr in die nächste fährt.
Einer der Gangster hat die junge Dame in seiner Gewalt, aber Sherlock Jr. schafft es, sie zu retten, und sie entkommen im Wagen der Gangster.
Zu diesem Zeitpunkt wacht der Junge wieder auf und stellt fest, daß alles nur ein Traum war, aber dann taucht das Mädchen auf, um ihm zu sagen, daß sie herausgefunden haben, daß er unschuldig ist. Also folgt er Hinweisen aus der Endszene des Films, hält ihre Hände, küßt diese, steckt ihr den Ring wieder an den Finger und küßt sie. Nur das letzte Bild des Paars auf der Leinwand und ihren zwei Babys verwirrt ihn sichtlich.
Nachdem die ersten Vorführungen nicht gut genug für ihn liefen, machte Keaton mehrere Schnitte an "Sherlock Jr.", aber trotzdem erhielt der Film gemischte Kritiken und wurde nicht als witzig betrachtet.
Deshalb sah auch Keaton selber diesen Film nicht als einen seiner guten an, aber mit der Zeit begannen Leute, ihn als Meisterstück zu loben.
Es gibt darin Theatermagie, Filmmagie, unglaubliche Stunts und eine Menge Übung. Ihr könnt hier ein Making Of-Video sehen, das einiges erklärt, und es ist zutiefst faszinierend.
Zwei meiner Lieblingsszenen sind
- der Teil, als die Gangster versuchen, Sherlock Jr. zu töten, zum Beispiel mit einer Bombe in einer Billardkugel - diese Trickstöße hatte er so geübt
- wie die Gangster Sherlock Jr. auf dem Motorrad nachjagen, das ist absolut unglaublich - obwohl auch ein bißchen getrickst wurde, hatte er tatsächlich trainiert, das Motorrad so zu lenken, wie verrückt ist das?
Ich kann mich ehrlich nicht daran erinnern, daß ich jemals einen ganzen Buster-Keaton-Film angeschaut hätte, das müssen eigentlich alles Ausschnitte in den zusammengeschnippelten Serien meiner Kindheit gewesen sein.
Natürlich war mir bewußt, daß er überwiegend seine eigenen Stunts machte und daß viele davon todesmutig waren, aber ich glaube nicht, daß ich bis jetzt je wirklich die Chance hatte, das zu begreifen.
Es gibt zum Beispiel diesen Stunt, bei dem Keaton durch den Wasserdruck den Halt verlor und seinen Kopf an eine Stahlschiene schlug. Trotz schwerer Kopfschmerzen filmte er weiter und erst Jahre später wurde bei einem Arzttermin herausgefunden, daß er sich tatsächlich den Hals gebrochen hatte!
Und ich komme nicht ohne Stöhnen aus meinem Bett hoch 🤪
Natürlich kannte ich ihn nur mit versteinertem Gesichtsausdruck, aber ich hatte nie den Effekt wertschätzen können, den es auf Szenen haben konnte, die normalerweise nach großer Emotion verlangen würden.
Ich habe aber nicht nur bei den Stunts nach Luft geschnappt, sondern fand auch toll, wie er die Beziehung zwischen zwei Menschen zeigte, die aus unterschiedlichen Welten zu kommen scheinen, aber dennoch so süß miteinander umgehen. Ich schätze, zur Zeit bin ich einfach empfänglich für herzerwärmende Dinge.
Es mag ja keine große Handlung geben - Keaton sagte, er wolle, daß es sich wie ein Traum anfühle, und man merkt, daß es von jemandem gemacht wurde, der das Medium Film liebte - aber vergeßt nicht, es ist auch kein abendfüllender Film. Wenn ich etwas aus diesen 44 Minuten gelernt habe, dann ist es, daß ich mich darauf freue, mehr zu sehen.
Ausgewählte Quellen (englisch):
1. Kieran Judge: 'Sherlock Jr.' at 100 - Review. Auf: The Film Magazine, 21. April 2024
2. Jeffrey Vance: "Sherlock Jr." (1924). Auf: Library of Congress - Programs - National Film Preservation Board, Oktober 2024
3. David A. Punch: Sherlock Jr: Keaton's Cinematic Genius. Auf: The Twin Geeks, 2. September 2019
4. Chris Scott Edwards: Sherlock, Jr. (1924). Auf: Silent Volume, 5. Juli 2009
5. David Johansson: Sherlock Jr. Auf: San Francisco Silent Film Festival. Winter Event 2009.
Es tut mir leid, daß meine Quellen meist nur englischsprachig sind, aber mein englischer Blog wird einfach mehr frequentiert und der Zeitaufwand für die Recherche ist oft so groß, daß ich nicht auch noch die Zeit finde, adäquate deutsche Quellen zu suchen. Sollte euch ein Artikel interessieren, gibt es Übersetzungsprogramme, die zumindest einen Eindruck vermitteln können.
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