Dienstag, 8. Oktober 2024

Comfy, Cozy Cinema 2024 - Kikis kleiner Lieferservice

Ich bin kein Riesenfan von Anime. Meine erste Erfahrung war "Heidi - Kindheit in den Bergen" (Original: "Arupusu no shôjo Haiji), die Serie von 1974 über die Abenteuer der kleinen Heidi nach den Büchern von Johanna Spyri, die im deutschen Fernsehen das erste Mal von 1977 bis 1978 ausgestrahlt wurde. Wir waren nicht an diesen Animationsstil gewöhnt, vor allem die extreme Darstellung von Emotionen in den Augen und oft riesigen Mündern, und doch waren wir auch irgendwie fasziniert davon.
Irgendwie ist der Stil für mich manchmal zu überwältigend und manchmal überhaupt nicht. Mit Heidi, von dem ich mir ziemlich sicher bin, daß ich sie mit meinem kleinen Bruder angeschaut habe, hatte ich kein Problem, aber ich konnte mich zum Beispiel nie mit Dragon Ball anfreunden.
Erst Jahre später sah ich eine Dokumentation über das weltweite Heidi-Phänomen und erfuhr daraus unter anderem, wieviel Recherche das Studio in diese Serie investiert hatte. Dabei war übrigens auch Hayao Miyazaki, einer der Gründer von Studio Ghibli ...

... was eine schöne Überleitung zu dem Film ist, über den ich sprechen möchte. Comfy Cozy Cinema 2024 ist eine Kollaboration von Lisa von Boondock Ramblings und Erin von Still Life, With Cracker Crumbs. Sie schauen sich Filme an und sprechen darüber und diese Woche haben sie "Kikis kleiner Lieferservice" von Studio Ghibli ausgesucht.

Ich kenne zwei Versionen, den Animefilm von 1989 (Original: Majo no takkyûbin) und die Realverfilmung von 2014. Tatsächlich hatte ich den Animefilm nie ganz gesehen, aber die Realverfilmung in einer schlaflosen Nacht zufällig entdeckt (was der Grund dafür war, ihn überhaupt anzuschauen, denn ich bin normal auch kein Fan von Realfilm-Remakes), weswegen ich schließlich endlich das Original besorgte.

Ich möchte gar nicht über die Produktion, Regie, Kritiken sprechen, das könnt ihr alles selber nachlesen. Hier ist nur, was ich über den Film denke.
Bei "Kikis kleiner Lieferservice" geht es um Unabhängigkeit, darum, seinen eigenen Weg im Leben zu finden, etwas über sich und seine eigenen Fähigkeiten herauszufinden, den Versuch, Selbstzweifel und Hindernisse zu überwinden, und darum, sich an neue Umgebungen und neue Menschen anzupassen, die, mit denen man sich sofort versteht, die, die man erst genauer kennenlernen muß, bevor man sie mag, und die, die dich nicht mögen und umgekehrt - manchmal völlig grundlos.

Kiki ist eine junge Hexe, die der Hexentradition folgt, ihr Zuhause mit 13 Jahren zu verlassen und unabhängig ein Jahr lang in einer Stadt zu leben.
Die einzige Zauberkraft, die Kiki hat, ist, auf einem Besen fliegen zu können und nicht einmal darin ist sie perfekt.
Nichtsdestotrotz ist sie bereit, auf dem Besen ihrer Mutter ins Unbekannte zu fliegen, von ihrem schwarzen Kater Jiji begleitet, und landet in der Metropole Koriko (was eine Mischune aus verschiedenen Städten im 50er Flair ist, tatsächlich reiste Miyazaki nach zur Recherche nach Schweden und nutzte eine Menge davon für Koriko).

Koriko empfängt Kiki nicht unbedingt mit weit offenen Armen, aber es gibt Menschen, die sie willkommen heißen, darunter Osono, die mit ihrem Mann zusammen eine Bäckerei führt und ihr einen freien Raum anbietet, nachdem Kiki dabei hilft, einer Kundin etwas zu bringen, das sie in der Bäckerei vergessen hat.
Dies bringt sie auch auf die Idee, einen Lieferservice zu eröffnen.

Von da an geht es im Film darum, wie Kiki noch mehr neue Menschen kennenlernt, die ihr Leben auf die ein oder andere Art beeinflussen, Tombo, den Nachbarn, der von allem, was fliegt, fasziniert ist, sie eingeschlossen, eine alte Dame, genannt Madame, die sehr nett zu ihr ist, Ursula, die im Wald lebt und Künstlerin ist, aber auch die Enkelin der alten Dame, die Kiki sehr rüde und undankbar zu sein scheint, als sie ihr zum Geburtstag eine Pastete ausliefert, in die ihre Großmutter und Kiki eine Menge Arbeit gesteckt haben.

Tatsächlich ist Kiki ziemlich schnell von Leuten genervt, was ich für absolut normal für einen Teenager halte. Sie lernt, daß man Menschen eine Chance geben muß, bevor man über sie urteilt, und freundet sich zum Beispiel mit Tombo an, nachdem sie das anfangs abgelehnt hat, aber es ist nicht leicht für sie und sorgt für solche Selbstzweifel bei ihr, daß sie dadurch sogar ihre Kräfte verliert.
Nicht nur kann sie Jiji nicht mehr verstehen, der wie ihr Alter Ego war, der genauso schnell wie sie genervt war - beispielsweise von der Nachbarskatze Lili - und der der perfekte Unterhaltungspartner für sie war, dem sie ihre Gedanken und Zweifel für Feedback zuwerfen konnte, sondern sie verliert auch ihre Fähigkeit zu fliegen, was dazu führt, daß sie noch mehr an sich zweifelt.

Kikis Stimmung hebt sich etwas, als Ursula sie zum Übernachten in ihre Hütte einlädt und ihr sagt, daß es eine Zeit gab, in der auch sie Selbstzweifel hatte, daß man das aber überwinden kann, wenn man sich bemüht, und daß die Magie dann zurückkommen kann
Für Kiki kommt dieser Moment, als sie im Fernsehen den Unfall eines Luftschiffs sieht, durch den Tombo in Lebensgefahr gerät. Sie will ihm so sehr helfen, daß ihre Macht zu fliegen zurückkommt, nicht leicht, aber gerade noch rechtzeitig.

Am Ende sieht man, wie Kiki ein Teil von Koriko geworden ist, im Flug mit Tombo, der das "Luftrad", das er gebaut hat, perfektioniert hat. Sie schreibt einen Brief nach Hause, um ihren Eltern zu sagen, daß das Jahr kein Problem für sie sein wird, weil sie in ihrer Stadt wirklich glücklich ist.

Die wichtigste Frage aber ist, ob sie Jiji wieder verstehen kann (ihr wißt schon, ich und Katzen), aber ach, das kann sie nicht. Es erinnert mich an den Mary Poppins-Band, in dem die jüngsten Babys die Sprache der Tiere und sogar der Sonne verstehen, und auf einmal ist alles weg, weil sie in eine neue Lebensphase eingetreten sind.
Kiki braucht Jiji nicht mehr als Gesprächspartner und Jiji hat nun ein Leben mit Lili, aber das heißt nicht, daß sie keine Freunde mehr sind.

Der Film mag etwas langsam erscheinen, aber vielleicht war es gerade das, was ich sehr genossen habe. Es gibt keine großen Actionszenen außer der Rettungsmission am Schluß, und doch geschieht in jeder Szene etwas Wichtiges, jede ist ein kleiner Schritt in Kikis Reise zum Erwachsenwerden.
Ich liebe auch die kleinen Details, wie als Kikis Kleid etwas hochgeschoben ist und ihre Schuhe ausgezogen sind, als sie Ursulas Boden schrubbt, als Ausgleich dafür, daß Ursula ihr mit einem Teil aus ihrer ersten Lieferung hilft, oder wie Kiki sich Wäscheklammern an ihre weiten Ärmel macht, damit sie nicht im Weg sind, als sie Madame dabei hilft, den alten Holzofen für die Pastete vorzubereiten, als der elektrische Ofen kaputt ist (nur ein Beispiel für die Mischung aus Tradition und modernem Leben übrigens, genau wie Kikis traditionelles schwarzes Hexenkleid, gepaart mit einer großen roten Haarschleife).


Ich möchte auch noch den Realfilm erwähnen, aber viel kürzer, da die Botschaft diesselbe ist.
Ich hatte das Gefühl, sie haben versucht, ihn etwas moderner zu machen, indem sie zeigen, wie Kiki mit ein paar der anderen Mädchen interagiert oder wie sie mit mehr Intoleranz von ein paar Leuten umgehen muß, weil sie eine Hexe ist.
Zum Beispiel wird sie verdächtigt, das geliebte Babynilpferd im Zoo verhext zu haben, wodurch es seinen Schwanz verloren hat und sehr krank geworden ist. Die Rettungsmission in diesem Film ist es, das Nilpferd trotz Sturm zu einem Professor, der auf einer Insel lebt, zu bringen, damit er es heilen kann (indem er den fehlenden Schwanz mit einer Uhr ausbalanciert ... hä?). Die Geschichte fand ich echt seltsam, nicht zu vergessen, daß das computeranimierte Nilpferd einfach nicht gut aussah.
Es gibt keine Ursula, sondern eine Sängerin, der Teil funktionierte ganz okay, war aber auch nicht wirklich aufregend.
Kiki selber war nicht ganz so schlecht, wie manche fanden, aber für mich fehlte ihr die Süße der Anime-Kiki und anfangs erinnerte sie mich mehr an eine junge Möchtegern-Goth-Hexengöre moderner Zeiten.
Tombo und seine Freunde waren mir etwas zu Slapstick, aber sie nahmen auch nicht sooviel vom Film ein.
Trotzdem war es für ein einmaliges Anschauen in einer schlaflosen Nacht ein ganz lustiger Film und ich denke, die Botschaft kam rüber.

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