Komödie, Science-Fiction, Horror, Romantik, Krimi, Abenteuer, Märchen, Slapstick, Animation, gibt es etwas, das noch auf meiner Stummfilmreise fehlt? Tatsächlich ja - Dokumentation.
Eine offensichtliche Wahl wöre der erste Film gewesen, der Dokumentation genannt werden kann (darüber kann man sich streiten, da eine Menge davon aufgrund der Realitäten des Filmemachens im Jahr 1922 gestellt wurde und außerdem das Leben der Inuit darstellte, wie es einmal gewesen war, nicht wie es zur Zeit war, als der Film gedreht wurde) - "Nanuk der Eskimo" - aber ich werde ehrlich sein, ich war einfach nicht bereit zu Jagdszenen und dem Leben von Polarhunden zu dieser Zeit.
Stattdessen rief ich eine Liste von Stummfilm-Dokumentationen auf und suchte mir "Zum Gipfel der Welt" aus, ohne daß ich genau wußte, worum es gehen würde, obwohl natürlich nicht schwer zu erraten ist, daß es mit Bergsteigen zu tun hat, ein Thema, das mich nicht wirklich interessiert.
Natürlich bin ich von der Majestät des Himalaya und Mount Everest - in Nepal als Sagarmatha und in Tibet als Qomolangma bezeichnet - fasziniert, wie könnte man das nicht sein, aber warum jemand dort hinaufsteigen möchte, ist mir ist mir und meinem streng nicht-abenteuerlichen Gemüt zu hoch.
Natürlich hatte ich nicht an Esel und Yaks gedacht, die schwere Lasten schleppen müssen, und nach ungefähr einer halben Stunde verloren sie mich, als sie mir einen Babyesel zeigten, der auf dem Marsch geboren wurde, und sagten, wieviele Meilen dieses arme Baby laufen mußte. Dafür hatte es nicht freiwillig gemeldet!
Was sollte ich jetzt machen?
Ich ging zur Liste zurück, aber nichts davon hörte sich an, als wäre es für mich geeignet.
Verständlicherweise, denn das war noch die Zeit der großen Entdecker, und etwas zu erforschen hatte immer irgendwie mit Tieren zu tun, entweder Nutz- oder Wildtieren, und damit auch mit unweigerlich mit Szenen, die ich nicht sehen wollte. Sogar die Filmmacher, die zeigen wollten, was Menschen mit Wildtieren machen, benutzten genau diese Wildtiere, um Situationen für ihre Dokumentationen zu stellen - zum Beispiel Merien C. Cooper und Ernest B. Schoedsack, berühmt für "King Kong".
Ich weiß, daß das andere Zeiten waren und diese Filme darum in mehr als einer Hinsicht interessant sind, nicht nur für ihren Inhalt, sondern auch wie und warum dieser Inhalt gesammelt wurde, aber dafür ist meine Haut dieser Tage einfach nicht dick genug.
Ich werde weitersuchen und habe einen Film schon auf der Liste, aber für diesen Post brauchte ich nun etwas Kurzes und Schnelles.
Was ich fand, war "Suspense" von Lois Weber aus dem Jahr 1913, der in der Public Domain ist und den man hier anschauen kann (mit englischen Zwischentiteln, man versteht ihn aber auch ohne).
Da es sich hier um einen Stummkurzfilm von 10 Minuten handelt, ist die Handlung recht schnell erzählt (Spoiler wie gewöhnlich!).
In einem entlegenen Haus kündigt ein Dienstmädchen, indem sie ihrer Arbeitgeberin, einer Mutter mit kleinem Baby, nur eine Notiz hinterläßt. Den Schlüssel legt sie unter die Matte. Als die Mutter die Notiz findet, verschließt sie Türen und Fenster.
Ein Tramp hat das Dienstmädchen weggehen gesehen, geht sich das Haus anschauen und findet den Schlüssel. Als die Frau ihn bemerkt, ruft sie ihren Mann an, der spät arbeiten muß, aber der Tramp kappt die Leitung.
Der Eheman beeilt sich, ihr zu Hilfe zu kommen, indem er sich das erste Auto schnappt, das auf der Straße geparkt ist, und davonrast, verfolgt vom Eigentümer und der Polizei.
Während die Frau sich mit ihrem Baby im Schlafzimmer eingesperrt und eine Kommode vor die Tür geschoben hat, schaut sich der Tramp im Haus um, und der Mann wird aufgehalten, als er einen Mann anfährt, der mitten auf der Straße steht, und ihm wieder aufhilft.
Der Tramp hört Geräusche von und bricht ins Schlafzimmer ein, mit einem Messer bewaffnet. Genau da treffen die Autos beim Haus ein. Schüsse, die dem Ehemann gelten, versetzen den Tramp in Panik, er rennt die Treppe hinunter, wo er vom Ehemann und der Polizeit überwältigt wird.
Der Mann rennt nach oben und findet seine Frau und das Baby unverletzt. Er erklärt alles und natürlich wird ihm verziehen.
Ich muß gestehen, daß ich vorher noch nie von Lois Weber gehört hatte, noch so ein Beispiel nicht nur für jemand, der Stummfilme gemacht hat, sondern vor allem auch eine Frau, deren Leistungen in Vergessenheit geraten waren.
![]() |
Public Domain |
Tatsächlich war Weber eine Pionierin des frühen Films, die "erste amerikanische Frau, die bei einem abendfüllenden Film Regie führte" und die "führende weibliche Regisseurin-Drehbuchschreiberin im frühen Hollywood", nicht zu vergessen, daß sie außerdem Schauspielerin war, zum Beispiel als die Mutter in "Suspense". Irgendwann hatte sie sogar ihr eigenes Studio.
Dies soll aber kein Post über Lois Weber (und ihren Mann Phillips Smalley, mit dem sie bis zu ihrer Scheidung hauptsächlich gearbeitet hat) werden, vor allem, da ich bis jetzt noch keinen ihrer anderen Filme gesehen habe, die überlebt haben. Sie hat viel produziert, aber wie es vielen Stummfilmen ging, ist eine Menge davon verlorengegangen.
Am Ende sind vier Links (auf Englisch), falls ihr mehr über sie wissen möchtet, und wer weiß, vielleicht taucht sie ja irgendwann in einem anderen Post von mir auf.
Nun zum Film.
Der Titel verspricht nicht zuviel.
Wie auch andere Filme wurde "Suspense" wohl von einem französischen Grand Guignol-Theaterstück von 1902 inspiriert - "Au Téléphone" von André de Lorde und Charles Foley - das jedoch kein glückliches Ende hatte. Der Ehemann muß zuhören, wie seine Familie umgebracht wird, ohne daß er zu Hilfe kommen kann.
Weber nutzte verschiedene Techniken, um Spannung aufzubauen, zum Beispiel den Split Screen, der die drei Erzählstränge zeigt - den Ehemann im Büro, die Ehefrau und das Baby daheim, und der einbrechende Tramp.
In der Verfolgungsjagd sieht man das Spiegelbild der Verfolger, die näherkommen.
Es gibt interessante Blickwinkel wie in dem Moment, in dem die Frau aus dem Fenster schaut und den Tramp draußen sieht.
Es gibt natürlich viel mehr über die technische Seite des Films zu sagen, aber das überlasse ich den Experten. Stattdessen möchte ich euch erzählen, was mir so durch den Kopf ging, als ich ihn ein zweites Mal anschaute, denn für einen Kurzfilm von 10 Minuten gibt es recht viel zu sehen, und ihr kennt ja mich und mein komisches Gehirn. Ich habe immer Fragen.
-Das Dienstmädchen, das überlegt anzukündigen, daß sie gehen wird, sich aber dagegen entscheidet. Glaubt sie, sie wird es nicht durchziehen können, wenn sie der Mutter ins Gesicht blickt?
Hätte er sie nicht gesehen, wäre der Tramp vielleicht gar nicht auf die Idee gekommen, sich das Haus anzuschauen, und unwissentlich hat sie es ihm sogar noch einfacher gemacht, als sie den Schlüssel unter die Matte legt. Warum hat sie das überhaupt gemacht? Warum hat sie ihn nicht einfach mit der Notiz auf dem Tisch liegenlassen?
Und warum geht die Mutter nicht hin und holt den Schlüssel unter der Matte heraus, als sie alle Türen abschließt?
- Der Tramp, der die Brote ißt, etwas herumwühlt, nicht sehr überzeugend, und dann auf die Frau losgeht. Ich habe von Leuten gehört, die an Tatorten essen oder trinken, aber gewöhnlich erst, nachdem die Tat vollbracht ist.
Warum der plötzliche Drang, einen "einfachen" Einbruch noch schlimmer zu machen?
- Der Ehemann, der den Mann auf der Straße anfährt. Ich finde es ja nett, daß er nicht einfach weiterfährt, sondern aussteigt, ihn abklopft, ihn fragt, ob er okay ist, aber dann nimmt er sich Zeit, zweimal (!) nach seinen Verfolgern zu schauen, bevor er wieder ins Auto steigt und weiterfährt. Oh, meine Frau ist in Gefahr, la-di-da ...
Hört sich das alles danach an, als hätte mir der Film nicht gefallen? Ganz und gar nicht. Das sind einfach nur Dinge, über die ich nachgedacht habe, nachdem ich ihn ein zweites Mal angesehen habe.
Natürlich mußte das alles genauso sein, um das Spannungsgefühl zu steigern, was perfekt funktioniert hat.
Von dem her, was ich gelesen habe, hatten Webers Filme oft soziale Themen, also scheint "Suspense" eine Ausnahme zu sein, und natürlich ist auch vieles von ihrem Werk verloren, aber ich setze sie auf jeden Fall für mehr auf meine Filmliste.
Quellen (englisch):
Über "Suspense"
1. Fritzi Kramer: Suspense (1913) A Silent Film Review. Auf: Movies Silently, 24. April 2016
2. Short of the Month: Suspense (dir. Lois Weber and Phillips Smalley, 1913). Auf: Nitrateglow, 11. Februard 2022
3. "At the telephone" - Englische Übersetzung von "Au téléphone" von André de Lorde. In: "One-act plays for stage and study, second series, 1925, edited by Walter Prichard Eaton"
Über Lois Weber:
1. Angelica Aboulhosn: Lois Weber: An Early Hollywood Filmmaker with Her Own Studio. In: Humanities, vol. 44(2023), Ausgabe 4
2. Shelley Stamp: Lois Weber. Auf: Women Film Pioneers Project. 15. Oktober 2019
3. Lea Stans: "The Muse Of The Reel" - The Pioneering Work of Director Lois Weber. Auf: Silent-ology, 25. Januar 2018
4. Travis Lee Ratcliff: A History of Silence: The Cinema of Lois Weber. Auf seinem YouTube-Kanal
Es tut mir leid, daß meine Quellen meist nur englischsprachig sind, aber mein englischer Blog wird einfach mehr frequentiert und der Zeitaufwand für die Recherche ist oft so groß, daß ich nicht auch noch die Zeit finde, adäquate deutsche Quellen zu suchen. Sollte euch ein Artikel interessieren, gibt es Übersetzungsprogramme, die zumindest einen Eindruck vermitteln können.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen